Diese Übung dient dazu, gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse, Privilegierungen und Deprivilegierungen zu verdeutlichen und für ungleiche Chancenverteilung in der Gesellschaft zu sensibilisieren.
- Einfühlung in die realen Lebensbedingungen gesellschaftlicher Minderheiten oder kultureller Gruppen
- Förderung von Empathie mit Menschen, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören
- Reflexion der eigenen Position in der Gesellschaft
- Reflexion und Verstehen gesellschaftlicher Verhältnisse
75 Minuten
- Rollenkarten
- Fragen
- angemessene Raumgröße
Alle Teilnehmer*innen ziehen jeweils eine Rollenkarte. Die Teilnehmenden sollen sich in ihre Rolle hineinversetzen. Folgende oder ähnliche Fragen können gestellt werden, um den Prozess zu beschleunigen: Wie heißt du? Wie war deine Kindheit? Wie sieht dein Alltag aus? Wo lebst du? Was machst du in deiner Freizeit? Die Karten sollen niemandem gezeigt werden, es soll auch kein Gespräch über die „neue“ Identität stattfinden.
Anleitung
Nun stellen sich die Teilnehmer*innen in einer Reihe an einer Wand des Raums auf. Kündigen Sie an, dass eine Reihe von Fragen gestellt wird. Alle, die in ihrer Rolle eine Frage mit „Ja“ beantworten können, bewegen sich ein Stück vor. Antworten sie dagegen mit „Nein“ oder wissen keine Antwort bzw. sind sich unsicher, so bleiben sie dort stehen, wo sie sich gerade befinden. Es geht bei der Beantwortung der Fragen um eine subjektive Einschätzung, die wichtiger ist als sachliche Richtigkeit. Stellen Sie nun der Reihe nach die Fragen. Lassen Sie den Teilnehmenden nach jeder Frage einen Moment Zeit, damit diese sich die Frage für sich im Stillen beantworten können, und fordern Sie sie dann auf, sich ggf. ein Stück nach vorne zu bewegen. Stellen Sie alle Fragen, die Sie ausgewählt haben. Die Teilnehmer*innen bewegen sich schweigend nach vorn oder bleiben am Platz. Sie sollen dabei ihre Rolle immer noch für sich behalten. Wenn alle Fragen gestellt sind, bleiben die Teilnehmenden für den ersten Teil der Auswertung in ihrer Rolle an ihrem Platz.
Die hier vorgeschlagenen Rollen sind zum Teil klischeehaft. Einerseits kann dadurch das Einfühlen erleichtert werden. Andererseits werden Rollenklischees durch die Rollenbeispiele wiederholt und nicht aufgebrochen. Stellen Sie Ihre eigenen Bausteine her! Einzelne Rollen, die entstehen, können auf den ersten Blick sehr unrealistisch erscheinen. Thematisieren Sie in diesem Fall, wie untypisch einige Identitäten nun einmal sind. Die Rollenkarten können auch mit Namen versehen werden, dies erleichtert möglicherweise das Einfühlen.
Varianten
Variante 1:
Im Anschluss an die Auswertung kann die Übung ein zweites Mal durchgeführt werden, wobei die Teilnehmenden keine Rollenkarten bekommen, sondern in ihrer eigenen Person auf die Fragen antworten. Auf diese Weise kann die eigene gesellschaftliche Positionierung und die damit einhergehende Macht der Teilnehmenden herausgearbeitet werden. Zudem können eigene Handlungsspielräume deutlich gemacht werden.
Variante 2:
Die Teilnehmenden werden gebeten, in Kleingruppenarbeit ihrerseits ressourcenorientierte Fragen zu formulieren, mit denen auch diejenigen, die bislang „hinten“ standen, einen Schritt vorwärts gehen können. Jede Frage wird auf einer Moderationskarte gesammelt und im Anschluss wird ein zweiter Durchlauf mit denselben Rollenkarten gespielt (alle gehen zurück auf „Null“). In aller Regel zeigt sich ein ganz anderes Bild – dies kann zur Auswertung genutzt werden. Deutlich wird zum einen die Schwierigkeit, Ressourcen zu entdecken und zu formulieren (für viele Teilnehmende ist dies immer noch eine ungewohnte Perspektive). Zum anderen wird deutlich, dass sich dadurch strukturelle Benachteiligungen nicht aufheben lassen.
Auswertung – Phase 1
Die Auswertung erfolgt zunächst an dem Ort, wo die Teilnehmenden in ihrer Rolle verblieben sind. Fordern Sie sie auf, ihre eigene Position für sich selbst zu reflektieren:
- Schaut euch einmal um, wo ihr gerade seid. Wo sind die anderen? Wie fühlt sich das an? Bewegen Sie sich nun auf dem Spielfeld und sprechen Sie einzelne Personen bezüglich ihrer Position an. Dabei sollen sowohl Personen, die ganz vorne sind, als auch solche, die weit zurück geblieben sind, sowie Personen aus dem Mittelfeld angesprochen werden (wenn die Gruppe relativ klein ist, können auch alle befragt werden).
- Wie fühlst du dich (innerhalb deiner Rolle)?
- Wie ist es, so weit vorne zu sein? Oder wie ist es, immer nicht voran zu kommen?
- Wann haben diejenigen, die häufig einen Schritt nach vorne machten, festgestellt, dass andere nicht so schnell vorwärts kamen wie sie?
- Wann haben diejenigen, die weit hinten blieben, gemerkt, dass die anderen schneller vorwärtskamen?
Nachdem sich die Einzelnen zu ihrer Position geäußert haben, werden sie gebeten, ihre Rolle den anderen in der Gruppe vorzustellen. Die hinten Stehenden bemerken meist schnell, dass sie zurückbleiben, während die Vorderen häufig erst zum Schluss bemerken, dass andere nicht mitkamen. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass auch in der Realität denjenigen in privilegierten Positionen häufig ihre Privilegien so selbstverständlich sind, dass sie diese überhaupt nicht wahrnehmen, wohingegen diejenigen in marginalisierten Positionen ihre Deprivilegierung meist alltäglich spüren.
Auswertung – Phase 2
Für den zweiten Teil der Auswertung sollen die Teilnehmer*innen ihre Rollen „abschütteln“, „ausziehen“ oder „abstreifen“ und „wegwerfen“, um aus den Rollen herauszukommen. Die weitere Auswertung findet im Stuhlkreis im Plenum statt.
Allgemein:
- Wie ist es euch mit der Übung ergangen?
- Konntet ihr euch in die Situation der von euch gespielten Personen/Rollen hineinversetzen?
- Konntet ihr euch die jeweiligen Lebensbedingungen vorstellen? Was war unklar, wo wart ihr euch unsicher?
- Wie leicht oder schwer war es einzuschätzen, ob du einen Schritt nach vorn machen kannst
- Wo warst du dir unsicher?
- Welche Fragen sind dir besonders im Gedächtnis geblieben
- Bilder und Stereotype zu den einzelnen Rollen:
- Woher hattet ihr die Informationen über die Lebenssituation der gespielten Rollen?
- Warum wissen wir über bestimmte Personen/Rollen viel und über andere gar nichts? (Hier kann auf die Bedeutung der Medien eingegangen werden.)
- Übertragung auf die gesellschaftliche Realität:
- Was hat dich in deinem Handeln eingeschränkt? (Bedeutung von Differenzlinien entlang von Kategorien wie Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, Religion, sozialer und finanzieller Status etc.)
- Inwiefern spiegelt die Übung deiner Meinung nach die Gesellschaft wider?
- Welche Möglichkeiten zur Veränderung ihrer Situation haben die verschiedenen Gruppen oder Individuen?
- Worauf haben sie keinen Einfluss?
- Was sollte sich ändern? Was können wir ändern? (Übertragung auf die eigene Situation)
- Wo würdest du selbst stehen, wenn du diese Übung ohne Rollenkarte in eigener Person mitgemacht hättest?
- Wie könntest du mit deinen eigenen Privilegien verantwortungsvoll und konstruktiv umgehen?
- Oder wie könntest du deiner Marginalisierung entgegentreten?