Wer hat's gesagt?
„Alte Menschen lebten früher bei ihren Kindern, aber durch die individualistische Ideologie des Kapitalismus sind die menschlichen Beziehungen auf Zweckbeziehungen degradiert worden.“
Richtig!
Leider Falsch. Die richtige Antwort wäre "Islamische Fakten".
Islamische Fakten (IF) ist ein Facebook- und Instagram-Account, der mit wenig Text und bunten Bildern vermeintliche Fakten über den Islam vermittelt. Die meist unverfänglich klingenden, kurzen Aussagen liefern angebliche „Wahrheiten“ über „den“ Islam. Der Islam, so wirkt es hier, bietet einfache, eindeutige und unverhandelbare Antworten auf alle Fragen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Betreiber des Accounts ein islamistisches Weltbild vertreten.
Die Gruppe hat auf Facebook 241.178 Follower*innen, auf Instagram 35.100. Ihr YouTube-Kanal wird von 6850 Personen abonniert.
Welche Aussagen stecken in dem Zitat?
In dem Zitat wird das gesellschaftliche Problem der Einsamkeit vieler Menschen im Alter thematisiert. Islamische Fakten kritisiert den Prozess der Individualisierung und die damit in Verbindung gebrachten negativen Folgeerscheinungen in kapitalistischen Gesellschaften.
Der Individualismus, so die These, trage dazu bei, dass sich Menschen aus familiären Zusammenhängen herauslösten. Die Familie würde nicht mehr als Hort der Gemeinschaft und Fürsorge verstanden. Beziehungen zu Familienmitgliedern würden nur aufrechterhalten, solange sie einen Nutzen hätten.
Rechtspopulistische und -extreme Akteure argumentieren ähnlich. Auch sie wollen den Individualismus aufheben, allerdings zugunsten einer völkischen und homogenen Gemeinschaft in einem starken Nationalstaat. Menschliche Existenz wird dem rechten Denken nach nur als Gruppenexistenz verstanden – und Solidarität gilt nur den Angehörigen der eigenen Gemeinschaft.
Wo liegt das Problem?
Einsamkeit besonders in Kombination mit Altersarmut ist ein reales, gesellschaftliches Problem. Weder Altersarmut noch Einsamkeit sind aber ausschließlich Folge von Individualisierungsprozessen. Arbeitslosigkeit, negative Rentenentwicklung und steigende Nebenkosten sind die wichtigsten Ursachen von armutsbedingter Einsamkeit im Alter. Selbstisolierung ist oftmals die Folge. Grund hierfür ist die Scham über die eigene Armut, das fehlende Geld, um sich ein Bus- oder Bahnticket zu kaufen oder an kulturellen Angeboten teilzunehmen. Das anzugehen ist wichtig!
Islamische Fakten verschiebt aber mit ihrem Lösungsvorschlag, dass alte Menschen wieder bei den Kindern aufgenommen werden sollen, ein strukturelles Problem in den privaten Bereich. Ausgeblendet wird dabei, dass die wenigsten Menschen die zeitlichen und finanziellen Ressourcen haben, ihre Angehörigen überhaupt zu Hause pflegen zu können.
Zudem funktioniert so ein System nur, wenn eine Person die Beschäftigung reduziert oder aufgibt, um die Angehörigen zu Hause zu pflegen. In der Regel machen das Frauen und begeben sich dadurch oftmals in finanzielle Abhängigkeit von ihren Partnern.
Ein weiteres Problem, das mit dieser Kritik am Individualismus einhergeht, ist die dahinterstehende Ideologie. Der Individualismus stellt den Menschen und seine Autonomie ins Zentrum. In der islamistischen Ideologie kommt Individuen aber eine geringe Bedeutung zu. Vielmehr steht das Streben nach einer kollektiven Identität in einer homogenen Gemeinschaft, nämlich der umma (Gemeinschaft der Muslime), im Vordergrund.
Was tun?
Viele Organisationen, Stiftungen und Verbände, aber auch Kommunen und Städte probieren mit neuen Ideen und Konzepten, altersbedingte Isolation und Altersarmut zu bekämpfen. Die Forderung nach Grundeinkommen für alle Menschen, die Erweiterung der Pflegezeit oder sogar ein Gehalt für pflegende Angehörige sind nur einige Ideen, die derzeit auf politischer Ebene diskutiert werden. Einsamkeit in Pflegeheimen entsteht häufig auch durch die Überlastung der Pfleger*innen.
Vielleicht gibt es auch in deiner Nähe Organisationen oder Gruppen, in denen du dich ehrenamtlich um Senioren kümmern kannst. In vielen Städten haben sich regelmäßige Treffen zwischen jungen und alten Menschen etabliert. Über mehrere Generationen hinweg wird dabei gemeinsam gesungen, gekocht, erzählt oder andere gemeinsame Aktivitäten werden organisiert. Hier kannst auch du aktiv werden und an einem
solchen Projekt teilnehmen oder sogar selbst eines gründen.
Zudem wurden in einigen Städten Wohnprojekte gegründet und Versuche alternativer Lebensweisen gestartet, in denen Menschen unterschiedlichen Alters gleichberechtigt zusammenleben und sich gegenseitig unterstützen.
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Was sind Narrative überhaupt?
Narrative sind in aller Munde. Ob in Politik, in den Medien oder in der Psychologie: Überall wird von Narrativen gesprochen. Aber was sind Narrative und was haben sie mit Extremismus zu tun?
Die meisten Menschen begegnen Narrativen das erste Mal in Kinderbüchern, Comics, Liedern, Spielfilmen oder Computerspielen – immer gibt es spannende Geschichten, die uns in andere Leben, Zeiten und Welten mitnehmen. Denn Narrative bezeichnen zunächst einmal die einzelnen, miteinander verbundenen Handlungsstränge einer Geschichte.
Der englische Schriftsteller E. M. Foster macht den Unterschied zwischen einer auf Fakten basierten Geschichte und einer Handlung mit einem Beispiel deutlich. In dem Satz „The king died, and then the queen died“ (Der König starb und dann starb die Königin) werden zwei Ereignisse geschildert, die auch unabhängig voneinander passiert sein können. Doch in dem Satz „The king died, and then the queen died of grief“ (Der König starb und dann starb die Königin vor Gram) erfahren wir einen Grund, der beide Ereignisse miteinander verbindet. Was erzählt wird, was ausgelassen wird und welchen Ereignissen wie viel Raum gegeben wird, das ist ausschlaggebend dafür, wie wir die Ereignisse wahrnehmen.
Narrative werden aber nicht nur in Unterhaltungsmedien genutzt. Sie nehmen besonders im politischen Denken und in öffentlichen Diskussionen eine zentrale Stellung ein. Denn in ihnen stecken oft überzeugende und motivierende Geschichten, die Geschehnissen einen Sinn geben. Sie ermöglichen es uns, schwierige und komplizierte Zusammenhänge zu verstehen. Sie beeinflussen unser Bild von uns und von anderen. Sie können darüber hinaus dazu beitragen, dass wir uns als Teil einer Gruppe verstehen – oder eben auch nicht. Kurzum: Narrative haben Einfluss auf unsere Weltsicht.
Und was hat das jetzt mit Extremismus zu tun?
Angesichts der Wirkweise von Narrativen ist es wenig überraschend, dass auch populistische oder extremistische Personen oder Gruppierungen Narrative nutzen, um ihre rassistische, sexistische oder menschen- und demokratiefeindliche Weltsicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Narrative erfüllen damit eine wichtige ideologische Funktion.
Oftmals sprechen Narrative Themen an, in denen Gesellschaftskritik oder Fragen zu Werten und Religion, Identität und Zugehörigkeit, Gender und Pluralismus angesprochen werden. In Form von Brückennarrativen können sie sowohl in politischen Randgruppen wie auch im gesellschaftlichen Mainstream anzutreffen sein. Narrative verbinden extremistische politische Spektren mit der Mitte der Gesellschaft. Dies zu erkennen ist jedoch nicht immer leicht.
Autor*innen
Das Quiz ist im Rahmen des außeruniversitären Bildungsangebots „MasterClass: Präventionsfeld Islamismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung entstanden. Es ist das Abschlussprojekt der Arbeitsgruppe von Nicole Bopp, Merve Genç, Pirkko Jahn, Sarah Müller und Bence Zámbó. Betreut wurden sie von Maral Jekta (ufuq.de).
Die Inhalte, Aussagen und Themensetzungen dieses Angebots liegen in der Verantwortung der Arbeitsgruppe. Sie wurden in redaktioneller Autonomie gestaltet und spiegeln die Meinung der Autor*innen wider und repräsentieren nicht notwendigerweise die Meinungen und Standpunkte der Bundeszentrale für politische Bildung.