Wer hat's gesagt?
„Es ist der systematische Rassismus, der in der Politik und in der medialen Berichterstattung vorherrscht und sich auf die Mehrheitsgesellschaft abfärbt. Diesen Brandstiftern ist es zu verdanken, dass sogar nach dem Anschlag von Hanau im Jahr 2020 mehr als 900 Angriffe auf Muslime und Moschen verzeichnet wurden.“
Richtig!
Leider Falsch. Die richtige Antwort wäre "Generation Islam".
Die Gruppe Generation Islam (GI) wird wegen ihrer Nähe zur Hizb ut-Tahrir (HuT) als islamistisch eingestuft. Das Ziel der sehr aktivistischen Bewegung HuT ist es, einen modernen, islamischen Staat als Alternative zu Kapitalismus und säkularer Demokratie zu errichten. Der Hizb ut-Tahrir wird vorgeworfen, zur Gewalt aufzurufen, daher ist sie in Deutschland seit 2003 verboten.
Neben außenpolitischen Themen behandelt Generation Islam in den u.a. auf Instagram, Facebook und YouTube veröffentlichten Beiträgen besonders die Diskriminierungserfahrungen von Muslimen in Deutschland.
Die Gruppe hat 67.100 Abonnent*innen auf YouTube, 66.700 Follower*innen auf Instagram und 72.486 auf Facebook (Stand 28.02.22).
Welche Aussagen stecken in dem Zitat?
Generation Islam thematisiert den rassistischen Terroranschlag am 19. Februar 2020 in Hanau. Der Täter tötete dabei gezielt neun Menschen aus der muslimisch-migrantischen Community. Die Gruppe brandmarkt in dem Zitat Rassismus als Ursache für den Mord.
Das heißt, dass sie nicht ausschließlich den Täter selbst für die Tat verantwortlich macht, sondern auch das gesellschaftliche Klima anklagt, das eine solche Tat hervorbringt. Für Generation Islam ist struktureller und institutioneller Rassismus offenkundig schuld an dem Anschlag: also die Ausgrenzung, ungleiche Behandlung und Diskriminierung von nicht-weißen Menschen in der Gesellschaft und in staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen. Besonders hervorgehoben wird in dem Zitat die oftmals negative Art und Weise, wie Politik und Medien über Muslime und den Islam sprechen bzw. berichten. Dies hetze Menschen gegen sie auf.
Was sagen Rechtsextremist*innen dazu?
Das rechtsextreme Gesellschaftsverständnis schließt die muslimische Community aus. Rechtsextremist*innen verstecken ihren Rassismus oftmals hinter Begriffen wie Ethnopluralismus, meinen aber immer noch: „Deutschland den Deutschen“. Und „deutsch“ ist man, ihrem Verständnis nach, nur durch Geburt und nicht rechtliche Zugehörigkeit.
Solche Haltungen sind auch in der Mitte der Gesellschaft verbreitet und spielen Islamist*innen in die Hände. Denn dadurch können besonders junge Menschen mit Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen empfänglich für islamistische Manipulationsversuche werden.
Beide Extremismen brauchen einander und arbeiten mit Pauschalisierungen . Ebenso wie Rechtsextremist*innen alle Muslime als Islamist*innen darstellen, sehen Islamist*innen in allen nichtmuslimischen Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit potenzielle islamhassende Rechtsextremist*innen.
Zudem schlagen Rechtsextremist*innen ähnliche Lösungen für gesellschaftliche Missstände vor, nämlich den Rückzug aus der demokratischen Gesellschaft und die Abgrenzung nach außen.
Wo liegt das Problem?
Mit der Aussage erzeugt Generation Islam das Bild einer Gesellschaft, in der Staat und Medien allen Muslimen feindlich gegenüberstehen und in der muslimischen Menschen keine Möglichkeit haben, die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu ändern, indem sie sich politisch engagieren.
Diese Kritik ist einerseits berechtigt. Denn strukturellen und institutionellen Rassismus gibt es tatsächlich. Problematisch daran ist das Feindbild, das hier geschaffen wird. „Die“ Nichtmuslim*innen werden pauschal als islamfeindlich beschrieben. Die Welt wird in „gut“ und „böse“ aufgeteilt. Dieses Schwarz-Weiß-Denken kann Ohnmacht und Wut befördern, ohne dass demokratische Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Tatsächlich geht es Initiativen wie Generation Islam weniger darum, Muslime zu empowern und gleiche Rechte einzufordern. Das Ziel ist es vielmehr, die Gräben weiter zu vertiefen und Menschen muslimischen Glaubens zu einem Rückzug aus der Gesellschaft aufzufordern.
Was sagen?
Kritik an Rassismus ist legitim: Struktureller Rassismus, also die Ausgrenzung, Ungleichbehandlung oder Diskriminierung muslimischer und muslimisch gelesener Personen in der Gesellschaft ist ein Problem. Das prangern viele Parteien, Vereine und Personen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft an. Sie fordern die Gleichwertigkeit aller Menschen ein und engagieren sich gegen Diskriminierungen und Rassismus. Deshalb ist es notwendig, Pauschalisierungen zu vermeiden.
Was tun?
Auch wenn Kritik am Rassismus legitim ist, sollte man sich fragen, wer mit welcher Absicht diese Kritik äußert und ob die pauschalisierende Argumentation ausschließlich dazu dient, strukturellen Rassismus anzugehen oder nur mit der Absicht geäußert wird, Menschen zu manipulieren. Wenn du dich wirklich gegen Rassismus engagieren möchtest, ist es nicht besonders hilfreich, die Welt in „wir“ und „sie“ oder „gut“ und „böse“ zu unterteilen. Es braucht nämlich alle, um Veränderungen anzuregen.
Wenn Du aber dennoch etwas gegen Rassismus tun willst, kannst Du schon bei Dir anfangen. Frage dich selbst: Welche Vorurteile stecken in dir? Welche Privilegien genießt du vielleicht? Ein guter Einstieg ins Nachdenken ist zum Beispiel das Buch „Exit Racism“ von Tupoka Ogette.
Für Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind:
Solidarisiert euch und werdet euch eurer eigenen Privilegien bewusst. Nutzt beispielsweise eine achtsame Sprache, die niemanden abwertet. Informiert euch, wie ihr euch verhalten könnt, wenn jemand anderes in eurem Beisein Opfer von Rassismus wird (zum Beispiel hier).
Für Personen, die selbst Rassismuserfahrungen machen:
Bildet Allianzen, um über eure eigenen Rassismuserfahrungen in einem sicheren Raum sprechen zu können und um euch mit anderen zu solidarisieren. Organisationen wie Les Migras oder die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. setzen sich für migrantische Anliegen ein und schaffen so Sichtbarkeit.
Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, erleben Rassismus direkt. Nichtbetroffene können manchmal nicht nachvollziehen, warum etwas als rassistisch eingeschätzt wird. Damit ihr euch oder andere für Rassismus und den Umgang damit sensibilisiert, könnt ihr mithilfe eurer Lehrperson einen Workshop zum Thema Rassismus machen. (Hier, hier oder hier findet ihr mehr Informationen).
Und: Ihr könnt die Familien und Angehörigen der Betroffenen einer rassistischen Tat unterstützen. „Gegen das Vergessen, gegen das Verschweigen, gegen die Angst“ (Initiative 19. Februar Hanau).
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Was sind Narrative überhaupt?
Narrative sind in aller Munde. Ob in Politik, in den Medien oder in der Psychologie: Überall wird von Narrativen gesprochen. Aber was sind Narrative und was haben sie mit Extremismus zu tun?
Die meisten Menschen begegnen Narrativen das erste Mal in Kinderbüchern, Comics, Liedern, Spielfilmen oder Computerspielen – immer gibt es spannende Geschichten, die uns in andere Leben, Zeiten und Welten mitnehmen. Denn Narrative bezeichnen zunächst einmal die einzelnen, miteinander verbundenen Handlungsstränge einer Geschichte.
Der englische Schriftsteller E. M. Foster macht den Unterschied zwischen einer auf Fakten basierten Geschichte und einer Handlung mit einem Beispiel deutlich. In dem Satz „The king died, and then the queen died“ (Der König starb und dann starb die Königin) werden zwei Ereignisse geschildert, die auch unabhängig voneinander passiert sein können. Doch in dem Satz „The king died, and then the queen died of grief“ (Der König starb und dann starb die Königin vor Gram) erfahren wir einen Grund, der beide Ereignisse miteinander verbindet. Was erzählt wird, was ausgelassen wird und welchen Ereignissen wie viel Raum gegeben wird, das ist ausschlaggebend dafür, wie wir die Ereignisse wahrnehmen.
Narrative werden aber nicht nur in Unterhaltungsmedien genutzt. Sie nehmen besonders im politischen Denken und in öffentlichen Diskussionen eine zentrale Stellung ein. Denn in ihnen stecken oft überzeugende und motivierende Geschichten, die Geschehnissen einen Sinn geben. Sie ermöglichen es uns, schwierige und komplizierte Zusammenhänge zu verstehen. Sie beeinflussen unser Bild von uns und von anderen. Sie können darüber hinaus dazu beitragen, dass wir uns als Teil einer Gruppe verstehen – oder eben auch nicht. Kurzum: Narrative haben Einfluss auf unsere Weltsicht.
Und was hat das jetzt mit Extremismus zu tun?
Angesichts der Wirkweise von Narrativen ist es wenig überraschend, dass auch populistische oder extremistische Personen oder Gruppierungen Narrative nutzen, um ihre rassistische, sexistische oder menschen- und demokratiefeindliche Weltsicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Narrative erfüllen damit eine wichtige ideologische Funktion.
Oftmals sprechen Narrative Themen an, in denen Gesellschaftskritik oder Fragen zu Werten und Religion, Identität und Zugehörigkeit, Gender und Pluralismus angesprochen werden. In Form von Brückennarrativen können sie sowohl in politischen Randgruppen wie auch im gesellschaftlichen Mainstream anzutreffen sein. Narrative verbinden extremistische politische Spektren mit der Mitte der Gesellschaft. Dies zu erkennen ist jedoch nicht immer leicht.
Autor*innen
Das Quiz ist im Rahmen des außeruniversitären Bildungsangebots „MasterClass: Präventionsfeld Islamismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung entstanden. Es ist das Abschlussprojekt der Arbeitsgruppe von Nicole Bopp, Merve Genç, Pirkko Jahn, Sarah Müller und Bence Zámbó. Betreut wurden sie von Maral Jekta (ufuq.de).
Die Inhalte, Aussagen und Themensetzungen dieses Angebots liegen in der Verantwortung der Arbeitsgruppe. Sie wurden in redaktioneller Autonomie gestaltet und spiegeln die Meinung der Autor*innen wider und repräsentieren nicht notwendigerweise die Meinungen und Standpunkte der Bundeszentrale für politische Bildung.