WENN SIE FEMINISMUS IN DREI WORTEN ERKLÄREN MÜSSTEN…

Unbequem, wie sagt man, lebensbejahend, … schön.

WAS WAR FÜR SIE DER AUSLÖSER, SICH ALS FEMINISTIN ZU BEZEICHNEN?

Ich habe 2006 einen Freiwilligendienst bei einer schwul-lesbischen Jugendorganisation in Stockholm gemacht. Die hatten eine Broschüre über Heteronormativität auf Schwedisch, die ich in ein furchtbares Englisch übersetzt habe. Ich fand es wahnsinnig interessant, wie auf vermeintlich natürliche Weise davon ausgegangen wird, dass wir alle heterosexuell leben – überhaupt auf eine bestimmte Art und Weise Männer und Frauen sind. Und meine Reaktion war dann eben: „Voll scheiße!“ Ich hab mich dann nicht gleich als Feministin bezeichnet, aber da verstanden, dass das die coolen Leute sind, von denen ich mehr lesen will.

BEI H&M UND ZARA KANN MAN JETZT T-SHIRTS KAUFEN, AUF DENEN GROSS DAS WORT „FEMINIST“ STEHT. IST FEMINISMUS JETZT HIP?

Ja, schon. Man kann das natürlich belächeln und manchmal tue ich das auch. Da hast du dann ein Shirt, was von Kindern in Bangladesch hergestellt wird: ja, geil. Und man kann dann auch Leute wie Beyoncé belächeln, die trotzdem allen Schönheitskonventionen folgen. Aber dann sehe ich auch Jugendliche, für die sie ein Vorbild ist und über ihre Positionierung zum Feminismus kommen. Und wenn das passiert, ist ja irgendwie auch alles gut.

UND WAS KANN MAN DAGEGEN TUN?

Dagegen muss man nichts tun. Wenn eine Bewegung groß wird, dann wird sie eben vereinnahmt. Da ver-schwendet man seine Zeit, darüber zu diskutieren, was die richtige Form ist. Interessanter ist es, sich mit den Inhalten zu beschäftigen, um die es gehen soll – um Ökonomie zum Beispiel. Aber auch um die Frage, wie man die Arbeit in unserer Gesellschaft besser verteilen und weibliche Arbeit anerkennen kann, was bis jetzt hauptsächlich über Geld läuft.

ES GIBT IMMER MEHR MÄNNER, DIE SICH ZUM FEMINISMUS BEKENNEN. WIE WICHTIG SIND FEMINISTEN?

Total! Feminismus will ja kein Wohlfühlparadies für Frauen schaffen, sondern eine neue Gesellschaft, in der alle Geschlechter gleichberechtigt miteinander leben. Da gehören Männer natürlich auch dazu. Und man sieht es ja auch im Privaten: Wenn du sagst, ich will Karriere machen, ich will aber auch ein Kind und du hast einen Freund, der dann aber nicht sagt: „Ich bleib jetzt die Hälfte der Zeit zu Hause“, dann wirst du relativ schnell merken, dass das Ganze nicht funktioniert. Jede Frau, die heterosexuell lebt, will ja einen anständigen Freund haben.

JETZT MAL WEG VOM PRIVATEN UND HIN ZUM BERUFLICHEN: SEIT KURZEM SIND SIE GEMEINSAM MIT EINER KOLLEGIN STELLVERTRETENDE CHEFREDAKTEURIN DER „TAZ“, MIT EINEM MÄNNLICHEN CHEF-REDAKTEUR. EINE KLASSISCHE VERTEILUNG. INWIEFERN HÄNGEN DEUTSCHE REDAKTIONEN IN VERALTETEN ROLLENBILDERN FEST?

Zuerst muss man dazu sagen, dass die „taz“ vorher 15 Jahre von einer Frau geleitet wurde, meist mit zwei männlichen Stellvertretern. Das war eine lange Überlegung, aber die „taz“ wollte eben unbedingt Georg, weil er der Richtige für diesen Job war und ist. Die „taz“ hat lange die Quote bei den überregionalen Zeitungen nach oben gezogen. Da haben alle hingeschaut, wenn es um weibliche Führungskräfte ging. Das hat aber auch verdeckt, dass es bei allen anderen viel schlechter aussah. Jetzt hat sich das umgekehrt: Die „Bild“ hat eine Chefredakteurin und wir einen Chefredakteur. Dadurch ist die „Bild“ aber nicht weniger sexistisch geworden. Und wir bei der „taz“ haben auch bei den Führungspositionen ein Verhältnis von 50:50 und das hat, glaube ich, keine andere deutsche Tageszeitung.

WAS MUSS SICH ALSO IN DER BRANCHE ÄNDERN?

Dafür, wie viele kompetente Journalistinnen es gibt, ist es wahnsinnig verrückt, dass bei der „Zeit“ oder dem „Spiegel“ immer noch Investigativressorts gegründet werden, in denen keine einzige Frau sitzt. Es muss den Leuten einfach auffallen, dass da etwas nicht stimmt. Im Moment fühlt es sich manchmal eher noch so an wie: „Hier müssen wir jetzt nochmal eine Frau reinsetzen.“ Das sollte eher ein natürlicher Zustand sein.

UND WIE KANN MAN DEN ERREICHEN?

Durch gezielte Förderung. Zum Beispiel mit bezahlten Coachings für Frauen, die zum ersten Mal eine Füh-rungsposition übernehmen, weil die sich im Gegensatz zu Männern vielleicht doch noch unsicher fühlen in der Rolle. Oder dass ich auch Führungspositionen in Teilzeit oder als reduzierte Stelle anbiete. Und indem ich für ein anderes Diskussionsklima in der Redaktion sorge, bei dem nicht der, der am lautesten reinredet, die meiste Wortmacht hat, sondern auch die zu Wort kommen, die nicht so dicke Backen machen – indem sich alle melden müssen.

VOR IHRER ZEIT BEI DER TAZ HABEN SIE FÜR DAS FEMINISTISCHE „MISSY MAGAZINE“ GESCHRIEBEN. WIE FUNKTIONIERT FEMINISTISCHER JOURNALISMUS?

Der kann ganz unterschiedlich aussehen. Bei „Missy“ haben wir vornehmlich über Frauen berichtet. Aufträ-ge gingen an Autorinnen und Fotografinnen, wir hatten auch männliche Autoren, irgendwann kam eine gender-queere Person dazu. Heute berichtet Missy stärker über Frauen mit Migrationsgeschichte und über Personen, die genderqueer sind. Das Feministische ist, die Perspektive zu finden, die gerade nicht so stark repräsentiert wird und zu fragen, wie wir die abbilden können.

WAS MÖCHTEN SIE JUNGEN JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN MIT AUF DEN WEG GEBEN?

Beschäftigt euch mit Sprache und beschäftigt euch mit Geschlecht! Macht nicht die gleichen Fehler wie die Journalisten und Journalistinnen vor euch und schaut lieber einmal länger, ob ihr nicht eine weibliche Expertin für ein Thema findet. Sucht auch nach weiblichen Protagonistinnen. Stellt Frauen nicht aufgrund ihres Frauseins Fragen. Und helft euch gegenseitig: Gerade für weibliche Journalistinnen ist es wichtig, nicht in so ein Konkurrenzdenken zu verfallen. Vor allem aber: Habt Bock, Verantwortung zu übernehmen.


Der Artikel ist im Magazin *Innen_Leben erschienen. Die Ausgabe entstand im Rahmen des Workshops „Gender, Identitäten & Politik“ vom 17. bis 20. August 2017 in Berlin. Organisiert vom Projekt politikorange der Jugendpresse Deutschland.