Die Plattform ermöglicht es Nutzer*innen, selbstproduzierte Videoaufnahmen live zu übertragen. Mittlerweile nutzen 140 Millionen Menschen im Monat den Dienst. Deutschland ist mit einem Marktanteil von über 7,1 % auf Platz 2 der Liste der Länder mit den meisten Zuschauer*innen (Dean, 2022). Ca 21 % der Twitch-Nutzer*innen sind zwischen 13 und 17 Jahre alt (Firsching, 2021). 79,8 % der Twitch-Nutzer*innen sind männlich (Rabe, 2023). Das Ungleichgewicht hinsichtlich der Geschlechterverteilung spiegelt sich auch in der Liste der erfolgreichsten Twitch-Streamer*innen wider. Unter den Top 10 befindet sich nur eine weibliche Streamerin.

Abbildung 2: Pokimane gehört mit 9,3 Mio. Follower*innen zu den erfolgreichsten Twitch-Streamer*innen weltweit. Quelle: pokimanes Twitch-Kanal.

Wie fing es an?

Anfangs lag der Fokus der Plattform auf Gaming und E-Sports.[1] Bis heute machen die beiden Sparten einen Großteil der Streams aus. Gamern wie „Ninja“ folgen 18,5 Millionen Nutzer*innen (TwitchTracker, 2023). 2016 führte Twitch die Streaming-Kategorie IRL (In Real Life) ein, um Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Alltagsleben zu streamen. Seitdem hat sich IRL-Streaming zu einem der beliebtesten Genres auf Twitch entwickelt. Nutzer*innen laden Live-Videos hoch, die sie bei verschiedenen Aktivitäten zeigen: beim Essen, beim Einkaufen auf dem Flohmarkt oder sogar beim Schlafen. Und das nicht nur für einige Minuten, sondern teilweise stundenlang.

Und so funktioniert es:

Beim Öffnen der Startseite werden Nutzer*innen eine Mischung aus empfohlenen Streams, beliebten Spielen und manchmal auch Informationen über den Kanal angezeigt.

Abbildung 3: Eine typische Startseite von Twitch. Quelle: Twitch.

Die Zusammenstellung der empfohlenen Streams beruht auf einer Kombination der Abonnements der Nutzer*innen, beliebten Inhalte sowie algorithmischen Empfehlungen, die auf Vorlieben und Interessen der Nutzer*innen zugeschnitten sind. Mithilfe eines Filters auf der linken Seite können die angezeigten Inhalte eingegrenzt und die Streams nach Kategorien durchsucht werden. Unter „Du folgst“ wird eine Liste der Streams der Kanäle angezeigt, die Nutzer*innen entweder abonniert haben oder denen sie folgen. Hier wird auch angezeigt, ob diese gerade live sind. Klicken Nutzer*innen auf einen Stream, werden sie zu dem Kanal weitergeleitet, auf dem der Stream angezeigt wird. Wenn ein Stream live ist, kann dieser aufgerufen werden.

Jede Twitch-Übertragung besteht aus zwei grundlegenden Komponenten: der Chatbox und dem Video-Feed. Der Video-Feed des Streamers ist der Hauptinhalt des Streams. In der Regel handelt es sich um eine Aufnahme des Computer-Desktops des jeweiligen Streamers oder eines Programmfensters. Dieser Teil des Streams zeigt den Inhalt, mit dem Streamer*innen interagieren. Mithilfe einer „Face-Cam“ fügen Streamer*innen meistens ein Video-Feed des eigenen Gesichts ein, um die eigenen Reaktionen auf das zu zeigen, was gestreamt wird.

Was zeichnet Twitch aus?

Besonders die Interaktionsmöglichkeit im synchronen Chat-Fenster hebt Twitch von Konkurrenten ab. Streamer*innen kommunizieren darüber während der Liveübertragung mit ihren Zuschauer*innen. Sie lesen die Fragen und Kommentare aus dem Chat vor und beantworten oder kommentieren diese unmittelbar. Die Kommunikation im Live-Chat erfolgt in der Regel in Echtzeit und ist aufgrund des Tempos und der Vielzahl unterschiedlicher Diskussionen, die gleichzeitig geführt werden, für Neulinge unübersichtlich und chaotisch. Zuschauer*innen kommunizieren mit Streamer*innen oder untereinander mittels u. a. Abkürzungen, Emoticons, sog. Emotes, und konventionalisierter Chat-Codes.

Dabei werden verschiedene Themen von unterschiedlichen Gruppen in einer relativ kurzen Zeit parallel diskutiert. Oftmals nehmen die Diskussionen eine unvorhersehbare Wendung. Dabei tragen einzelne Personen zu mehreren Gesprächen bei, die dann sehr abrupt enden.

Anders als bei klassischen Sendeformaten werden Zuschauer*innen zudem in alle Phasen des Produktionsprozesses einbezogen. Technische oder redaktionelle Probleme werden in Livestreams sichtbar gemacht und gemeinsam gelöst. Dadurch bauen Streamer*innen und Zuschauer*innen eine enge Beziehung auf.

Abbildung 4: Das Icon „Jebaited“ wird oftmals genutzt, wenn jemand versucht, Streamer*innen oder andere Zuschauer*innen per Chat zu trollen. Quelle: Polygon.

 

 

 

 

 

Abbildung 5: Das Emote „Kappa“ wird oftmals verwendet, um Sarkasmus oder Ironie auszudrücken. Quelle: Polygon.

 

Typisch für Twitch sind eigene Emoticons, die sog. Emotes. Dabei handelt es sich um Bilder oder Symbole, die im Chat verwendet werden, um Emotionen wie Freude, Aufregung oder Unterstützung auszudrücken (vgl. Abb. 4 und 5). Sie werden oft und gerne genutzt, da sie eine Nachricht schneller und effizienter vermitteln können als Text allein. Neben den allgemein zugänglichen Emotes, die von Twitch zur Verfügung gestellt werden, gibt es kanalspezifische, die von einzelnen Streamer*innen erstellt und nur im Chat des jeweiligen Kanals verwendet werden. Diese kanalspezifischen Emotes tragen zusätzlich zum Gemeinschaftsgefühl bei.

Politische Inhalte auf Twitch

Ursprünglich für Gaming entworfen, finden sich mittlerweile auf Twitch zunehmend auch politische Inhalte. Verschiedene Politiker*innen nutzen seit 2020 die Plattform, um sich mit ihren Wähler*innen auszutauschen und neue jüngere Wähler*innen zu gewinnen, die im politischen Prozess oft unterrepräsentiert sind. Besonders jüngere US-amerikanische Politiker*innen streamen ihre Reden, Frage- und Antwortrunden sowie Wahlkampfveranstaltungen auf der Plattform.

Abbildung 6: Die demokratische US-Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez spielte 2020 mit dem linken Streamer HasanAbi und anderen Prominenten „Among Us“, um zur Wahlbeteiligung aufzurufen. Der Stream brach den Rekord für den meistgesehenen ersten Stream eines Kanals. Mittlerweile wurde das Video 2.291.064 Mal angesehen. Quelle: AOCs Twitch-Kanal.

Aber auch in Deutschland wagen sich einige Politiker*innen und Parteien an den Streamingdienst, allerdings bisher nur mit mäßigem Erfolg.

Wie schief Twitch-Auftritte von Politiker*innen hierzulande verlaufen können, zeigt der Auftritt des CDU-Politikers Philipp Amthor. Amthor wollte, gemeinsam mit der Jungen Union, Gamer*innen auf Twitch für das Wahlprogramm der CDU begeistern (Rademacher, 2021).

Entgegen den Erwartungen nutzten Zuschauer*innen die Chat-Funktion, um ihn auf seinen Lobbyskandal rund um das IT-Unternehmen Augustus Intelligence anzusprechen, worauf Amthor aber partout nicht reagieren wollte (Rademacher, 2021).

Politisch aktiv durch Twitch?

Tatsächlich wurde herausgefunden, dass die Nutzung von Twitch mit politischer Partizipation zusammengehen kann. In der Studie „Conspiracy Beliefs, Misinformation, Social Media Platforms, and Protest Participation“ zeichnen Forscher*innen nach, dass für Nutzer*innen von Twitch und TikTok die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an politischen Demonstrationen zweimal höher ist als bei Nutzer*innen von Facebook und YouTube. Für jene, die sich dem politischen rechten Spektrum zuordnen, verdreifacht sich sogar die Wahrscheinlichkeit. Dem Live-Chat wird in dem Zusammenhang eine wesentlich mobilisierende Rolle zugeschrieben (Boulianne & Lee, 2022, S. 31–37).

Die Studie „The Political Turn of Twitch – Understanding Live Chat as an Emergent Political Space“ ermöglicht einen vertieften Einblick in die Diskussionsdynamiken im Twitch-Chat (Ruiz-Bravo, Selander, & Roshan, 2022). Die Autor*innen zeichnen nach, wie der Twitch-Chat beim Streaming eines E-Sport-Events zu einem politischen Forum umfunktioniert wurde. Dies geschah, indem ein Teil der Zuschauerschaft die Proteste gegen Chinas Einfluss in Hongkong im Chat thematisierte. Beobachtet werden konnte, dass während der Diskussion unterschiedliche Akteure verschiedene Prozesse anstießen. Identifiziert wurde (1) eine Mobilisierungsgruppe, die die Transformation des Chatrooms zum Protestraum anfänglich initiierte und mitunter Parolen in den Chat schrieb. Darüber hinaus gab es die Gruppe der (2) Spammer[2], die politische Botschaften (z. B. Slogans wie „Free Hongkong, the revolution of our times“) wiederholten. Die „Awareness Creator“ gaben im Chat mehr Hintergrundinformationen. Sie erklärten den Kontext der Proteste und warum diese nötig seien. Die sichtbare Befürwortung der Proteste gegen China regte weitere Nutzer*innen zur Teilnahme an der Diskussion im Chat an. Zu dieser Gruppe zählten zum Beispiel die „Mimics“ und „Critics“. Mimics ahmten die Aktionen und Nachrichten der Spammer nach oder antworteten auf die Nachrichten mit Satire. So reagierten einige der „Mimics“ auf die Slogans der Aktivist*innen mit „Free King Kong“. Die Autor*innen identifizierten zudem die Gruppe der „Critics“. Zu ihnen zählten sie sowohl Nutzer*innen, die die Politisierung des Chatrooms antrieben, als auch jene, die die politischen Positionen der Protestierenden kritisierten (Ruiz-Bravo et al., 2022, S. 3173–3177).

Desinformation auf Twitch

Bislang sind die Auswirkungen von Desinformation auf die Twitch-Nutzer*innen und platform-spezifische Gegenmaßnahmen kaum erforscht. In der Literatur herrscht aber Einigkeit darüber, dass Twitch aufgrund des antisemitisch motivierten Terroranschlags in Halle, der auf der Plattform live gestreamt wurde, sowie weiterer Vorfälle die eigene Rolle neu überdacht und die Community-Richtlinie aktualisiert hat (Rafael & Hoang, 2022).

Zwar sind nach wie vor problematische Akteure wie etwa „ISchutzstaffel“ auf der Plattform zu finden, aber die Verschärfung der Richtlinien zeige Expert*innen zufolge bereits Wirkung (Browning, 2021, Prinz, 2021 und O’Connor, 2021). Und tatsächlich haben diese meistens nur wenige Follower*innen und zeigen keine strategische Vorgehensweise, um Nutzer*innen zu erreichen.

Abbildung 7: Beispiel von einem Account, das verbotene NS-Symbolik nutzt.

Es ist anzunehmen, dass dies auch mit der Sicherheitsstrategie des Dienstes zu tun hat: Kanal-Moderator*innen, Künstliche Intelligenz, Chatbots von Drittanbietern sowie Inhaltsmoderator*innen sollen dafür sorgen, dass die Streams und Chaträume sicher und für alle Zuschauer*innen angenehm sind.

Abbildung 8: Der mehrstufige Sicherheitsansatz von Twitch.

Streamer*innen werden darüber hinaus dazu angeregt, verschiedene präventive Maßnahmen zu ergreifen. Eine besondere Rolle kommt dabei den Kanal-Moderator*innen, auch „Mods“ genannt, zu. Diese sind meistens selbst Follower*innen, die die jeweiligen Content-Creator*innen aktiv bei der Einhaltung der Commuity-Richtlinien unterstützen.

Twitch stellt ihnen zwei Moderationstools zur Verfügung: „AutoMod“ und „Blockierte Begriffe“. Diese automatisierten Systeme helfen dabei, unangemessene Inhalte durch die Kennzeichnung von Schlüsselwörtern zu erkennen und zu blockieren, bevor sie im Chat für andere sichtbar werden. Insgesamt lag die Moderationsquote im zweiten Halbjahr 2022 bei 95,92 % (Twitch, 2022).

Im März 2022 verschärfte Twitch ihre Community-Richtlinien, um aktiv gegen die Verbreitung von Desinformation vorzugehen. „Verbreiter schädlicher Falschinformationen“ [3] sollen so von der Plattform entfernt werden.

Ob die Sicherheitsmaßnahmen dabei helfen, langfristig problematische Inhalte und Falschinformationen auf Twitch zu vermeiden, ist noch unklar[4].

Insgesamt ist es aber auffällig, dass auf Twitch vergleichsweise viele Inhalte zu finden sind, die sich gegen HateSpeech  richteten (O’Connor, 2021). Besonders präsent sind linke und progressive Streamer*innen. Dem US-amerikanischen Streamer HasanAbi (USA) allein folgen 2,3 Mio. Nutzer*innen.

Angesichts der Schnelllebigkeit der Chats und der Masse an Informationen, Texten und Emotes, die in den Chats live gepostet werden, liegt die Annahme nah, dass es für menschliche Moderator*innen in zuschauerstarken Kanälen sehr schwer sein sollte, den Chat im Blick zu behalten.

Abbildung 09: Auch aktuell sind auf Twitch nach wie vor Akteure wie „RedPillPatriot“ zu finden, die in nur einem Stream verschiedene Desinformationen und Verschwörungserzählungen zu Corona, Impfung, politischen Institutionen bedienen.

Zudem sind die verschiedenen Formen von Desinformation (u. a. bewusste Falschinformationen, Dekontextualisierung, manipulative politische Werbung, authentischer und irreführender Pseudojournalismus) oftmals schwer identifizierbar.

Ob und wie maschinengesteuerte Spracherkennung in der Lage ist, alle Formen von Desinformation auf Twitch zu erkennen, muss noch untersucht werden.

Abbildung 10: Der Buchstabe „O“ wurde hier durch runde Emotes ersetzt und ein zusätzliches „M“ hinzugefügt, damit die Beleidigung „Homo“ nicht erkannt wird. (Kim et.al, 2021, S. 4)

Klar ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt semantische Nuancen, wie sie etwa in Satire vorkommen, nicht erkannt werden. Die Schwächen der Tools werden bereits jetzt ausgenutzt, indem beispielsweise Wörter oder Buchstaben durch Emotes oder Variationen verbotener Begriffe ersetzt werden (Kim, Wohn, & Cha, 2021).

Wie kann Desinformation auf Twitch begegnet werden?

Wie beschrieben bilden Twitch-Kanäle und insbesondere das Chat-Fenster einen eigenständigen Kommunikationsraum, in dem politische Debatten geführt werden und Nutzer*innen für die jeweiligen politischen Anliegen mobilisieren können. Eine ähnliche Herangehensweise kann bei manchen Streamer*innen auch in Bezug auf den Umgang mit Desinformationen beobachtet werden.

Erwähnenswert ist in diesem Kontext der Kanal freiheitstream .Dieser re-streamt[5] Livestreams von Demonstrationen verschiedener politischer Lager. Neben tagesaktuellen Inhalten wie der Besetzung des Braunkohleortes Lützerath in Nordrhein-Westfalen im Januar 2023 zeigen die re-streamten Live-Videos auch. Versammlungen, auf denen beispielsweise der russische Angriffskrieg in der Ukraine oder die Covid-19-Pandemie thematisiert werden. Häufig verbreiten dort Redner*innen oder Teilnehmer*innen Desinformationen. Diese werden im moderierten Live-Chat von der Community diskutiert und eingeordnet, begleitet von Moderator*innen, die zudem für eine gemäßigte Gesprächsatmosphäre sorgen. Zur Widerlegung der Desinformationen teilen die „Mods“ und andere User*innen wissenschaftliche Quellen oder posten Links, beispielsweise zur Website des Bundesgesundheitsministeriums. Regelmäßig versuchen auch rechte Akteur*innen die Chats zu unterwandern, werden jedoch schnell in Diskussionen verwickelt. Mit rund 7.000 Follower*innen besitzt „freiheitstream“ zwar nur eine kleine Reichweite, die nicht mit den „big playern“ auf Twitch vergleichbar ist. Dennoch setzt der Kanal seine Öffentlichkeit gelungen ein, um einen Beitrag gegen die Verbreitung von Desinformation zu leisten.

Die Rolle, die dabei den jeweiligen Streamer*innen, Moderator*innen und Nutzer*innen zukommt, ist bemerkenswert. Wie wichtig diese im Umgang mit Regulierung aus Sicht der Nutzer*innen sind, weisen Cai und Wohn in ihrer Studie „What are Effective Strategies of Handling Harassment on Twitch? Users’ Perspectives“ nach. Danach befragt, wer ihrer Meinung nach für die Durchsetzung der Regeln auf Twitch zuständig sein sollte, antworteten die Befragten, dass die Streamer*innen, gefolgt von den Kanal-Moderator*innen und den Zuschauer*innen die Verantwortung tragen sollten. Das Unternehmen wurde erst an vierter Stelle genannt (Cai & Wohn, 2019, S. 167). Diese Art der Selbstverwaltung unterscheidet Twitch von konkurrierenden Plattformen.

Die in Rahmen von Isso! durchgeführte Informationsraumanalyse zeigt zudem, dass Jugendliche ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Existenz von Desinformationen in Social Media haben. In Interviews mit Jugendlichen wurde dies auch in Bezug auf Twitch bestätigt.

Ich würde jetzt nicht sagen, dass da falsche Informationen verbreitet werden, aber es gibt halt viele Influencer, die dann auch Twitch haben und dort dann live gehen und irgendwas erzählen, was sie dann vielleicht auch gesehen haben. Oder sie sprechen über irgendeinen TikTok und niemand weiß jetzt okay, von welcher Quelle kommt das und ist diese Quelle überhaupt sicher?“ (Quelle: 17-jährige Schülerin)

Das Bewusstsein junger Nutzer*innen für Desinformation, der mehrstufige Sicherheitsansatz von Twitch und die relativ hohe Präsenz progressiver Streamer*innen und Nutzer*innen bieten gute Rahmenbedingungen für den kritischen Umgang mit Desinformation auf der Plattform. Da dennoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass Jugendliche diese immer erkennen, können pädagogische Fachkräfte sie überdies für plattformübergreifende Orientierungsroutinen wie sie im „Isso-Dossier zum plattformübergreifenden Umgang mit Desinformation“ dargelegt sind, sensibilisieren.Überdies können sie gemeinsam mit den Jugendlichen erkunden, wie die Plattform funktioniert und ob und wie Jugendliche sich auf Twitch Informationen aneignen. Wenn die Jugendlichen Twitch nutzen, um sich über politische Geschehen zu informieren, kann gemeinsam nach Streamer*innen gesucht werden, die sich mit politischen Themen befassen. Empfehlenswert sind Kanäle von Polit-Streamern wie Kluptatwins oder der Der Radikale Demokrat.

Abbildung 11: Der Radikale Demokrat lädt sogar Zuschauer*innen dazu ein, mit ihm live zu diskutieren, wenn sie ihre Perspektive auf ein Thema einbringen wollen. Quelle: Twitch-Kanal von Der Radikale Demokrat.

 

Bei beiden Kanälen handelt es sich um „Reaction-Streams“. Bei diesen werden YouTube-Videos oder Ausschnitte aus bspw. einer politischen TV-Debatte gemeinsam auf Twitch angesehen und diskutiert. In den Diskussionen ist zu erkennen, dass der Austausch verschiedener Perspektiven erwünscht ist. Solche Diskussionen können das kritische Denk- und Urteilsvermögen, Konfliktfähigkeit und Ambiguitätstoleranz von Nutzer*innen schärfen. Sie können auch dazu beitragen, dass Diskussionsteilnehmende oder Zuschauer*innen widerstandsfähiger gegen Ideologien mit absolutem Wahrheitsanspruch werden.

Darüber hinaus können pädagogische Fachkräfte Twitch nutzen, um Bildungsprogramme zu erstellen, die genaue und zuverlässige Informationen zu einer Vielzahl von Themen liefern und dazu beitragen, kritisches Denken und Medienkritikfähigkeit zu fördern.

In dem Beitrag „Zwischen Echokammer und Echtzeit. Twitch in der non-formalen Bildung“machen die Autor*innen darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die Plattform ein von Jugendlichen oft genutzter digitaler Raum ist, in dem bereits viel politische Bildungsarbeit geleistet wird, und stellen die speziellen Potenziale von Twitch für die schulische und außerschulische Bildung vor. Dafür beschreiben sie drei methodische Settings, die sich für die Arbeit mit Jugendlichen anbieten. Zwar geht es in den Methoden nicht vordergründig um Desinformation. Das Thema kann aber in allen drei Methodensettings (bspw. in der Nachbesprechung) eingearbeitet werden (Koch, Mendelova, & Schwabe, 2020).

 

veröffentlicht am 22.02.2023

 

Literaturverzeichnis

Boulianne, Shelley/Lee, Sangwon (2022). Conspiracy Beliefs, Misinformation, Social Media Platforms, and Protest Participation. Media and Communication Volume 10, Issue 4., S. 30–41.

Browning, Kellen (2021). Extremists Find a Financial Lifeline on Twitch. Online verfügbar: https://www.nytimes.com/2021/04/27/technology/twitch-livestream-extremists.html [Zugriff: 12.02.2022].

Cai, Jie/Wohn, Donghee Yvette (2019). What are Effective Strategies of Handling Harassment on Twitch? Users‘ Perspectives. Conference Companion Publication of the 2019 on Computer Supported Cooperative Work and Social Computing (CSCW ’19). Association for Computing Machinery, S. 166–170.

Dean, Brian (2022). Twitch Usage And Growth Statistics: How Many People Use Twitch in 2022? Online verfügbar: https://backlinko.com/twitch-users [Zugriff: 12.02.2022].

Firsching, Jan (2021). 10 Jahre Twitch: Twitch Statistiken und Highlights. Online verfügbar: https://www.futurebiz.de/artikel/twitch-statistiken/ [Zugriff: 18.02.2022].

Kim, Jaeheon/Wohn, Donghee Yvette/Cha, Meeyoung (2021). Understanding and identifying the use of emotes in toxic chat on Twitch. Online Social Networks and Media, Volume 27, January 2022, 100180, 1-12.

Koch, Timo/Mendelova, Lucia/Schwabe, Ole (2020). Zwischen Echokammer und Echtzeit. Twitch in der non-formalen Bildung. Online verfügbar: https://api.politischbilden.de/documents/5fb6b2caec5604.18610647.pdf [Zugriff: 12.02.2022].

O’Connor, Ciaran (2021). Gaming and Extremism: The Extreme Right on Twitch. Institute for Strategic Dialogue (ISD). Online verfügbar: https://www.isdglobal.org/wp-content/uploads/2021/08/05-gaming-report-twitch.pdf [Zugriff: 12.02.2022].

Prinz, Mick (2021). Rechtextremismus im Livestream – Was passiert auf Twitch? Online verfügbar: https://www.belltower.news/gaming-rechtextremismus-im-livestream-was-passiert-auf-twitch-111417/ [Zugriff: 12.02.2022].

Rabe, Lena (2023). Anzahl der Visits von twitch.tv von März 2019 bis Januar 2023. Online verfügbar: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1021471/umfrage/anzahl-der-visits-pro-monat-von-twitchtv/ [Zugriff: 18.02.2022].

Rafael, Simone/Hoang, Viet (2022). Handlungsempfehlungen: Was tun gegen Radikalisierungen in Online-Subkulturen? In S. R. Buitrago, Radikalisierungsnarrative online Perspektiven und Lehren aus Wissenschaft und Prävention (S. 251-271). Wiesbaden: Springer VS.

Ruiz-Bravo, Nadia/Selander, Lisen/Roshan, Maryam (2022). The Political Turn of Twitch – Understanding Live Chat as an Emergent Political Space. Conference: Proceedings of the 55th Hawaii International Conference on System Sciences | 2022 (S. 3170-3179). Hawaii: HICCS. [Zugriff: 12.02.2022].

Tech Transparency Project (2022). Amazon Owned Twitch Spreading Russian Misinformation on Ukraine. Online verfügbar: https://www.techtransparencyproject.org/articles/amazon-owned-twitch-spreading-russian-misinformation-ukraine [Zugriff: 13.02.2022].

Twitch (2022). Transparenzbericht für das 1. Halbjahr 2022. Online verfügbar: https://safety.twitch.tv/s/article/H1-2022-Transparency-Report?language=de [Zugriff: 12.02.2022].

TwitchTracker (2023). Ninja. Online verfügbar: https://twitchtracker.com/ninja/statistics [Zugriff: 07.02.2022].

 

Einzelnachweise

  1. E-Sports, die Abkürzung für „Electronic Sports“, bezeichnet das wettbewerbsorientierte Spielen von Videospielen. Zurückspringen
  2. Spammer sind im Twitch-Kontext nicht immer negativ konnotiert. Zurückspringen
  3. Unter der Bezeichnung versteht Twitch Nutzer*innen, die die Plattform dazu nutzen, um  (1) in beharrlicher Weise (2) weithin widerlegte und verbreitete (3) schädliche Falschinformationen zu verbreiten. Zurückspringen
  4. Trotz der verschärften Community-Richtlinien konnten in 2022 verschiedene mitunter reichweitenstarke Twitch-Kanäle gefunden werden, die aktiv russische Propaganda zum Ukrainekonflikt verbreiteten (Tech Transparency Project, 2022). Zurückspringen
  5. „re-streamen“: Auf Streaming-Plattformen angebotene Livestreams werden gespiegelt und parallel auf einem anderen Kanal ausgestrahlt. Ziel hierbei ist es, mit der eigenen Reichweite eine größere Aufmerksamkeit für den Stream zu erzielen. Zurückspringen