Leo* ist 22 Jahre alt, studiert Physik und engagiert sich in einer katholischen Jugendgemeinde, ohne sich selbst als gläubig zu bezeichnen:
Wir feiern Weihnachten jedes Jahr gemeinsam mit der Großfamilie und nutzen dabei die bundesweiten Feiertage, um aus den verschiedensten Ecken Deutschlands zusammenzukommen. Wenn man sich teilweise ein ganzes Jahr nicht gesehen hat, gibt es da auch immer etwas zu erzählen. Ob sich nun mein jüdisch-stämmiger Opa an seine Zeit in der DDR erinnert, mein Onkel aus seinem Alltag als Feuerwehrmann berichtet oder meine Tanten mit ihren – bald – vier Kindern und einem eigenen Leipziger Kino ihren Jahresrückblick teilen, gern zugehört habe ich da schon immer. In so einer bunten Familie gibt es bei 20 verschiedenen Leuten wahrscheinlich 21 verschiedene Perspektiven … Das ist für mich das Schönste und Wichtigste an diesem Fest.
Der christliche Ursprung von Weihnachten spielt für mich – wenn überhaupt – nur am Rande eine Rolle. Ich selbst bin nicht getauft und auch nicht wirklich christlich aufgewachsen, weshalb mir der Bezug zur Religion irgendwie fehlt. Als ich noch jünger war, gab es da mal einen Pfarrer in unserer Gemeinde, den ich als Menschen und Persönlichkeit sehr beeindruckend fand und dem ich immer gern zugehört habe. Wäre der nicht so früh weggezogen, wäre mein heutiger Blick vielleicht ganz anders. So bleibt mein Glaube in gewisser Weise ein Findungsprozess, weil ich – auch aus der wissenschaftlichen Perspektive, die ich über das Studium gelernt habe – nichts völlig ausschließen möchte.
Adventskranz, Weihnachtsbaum und früher auch mein Opa, der sich als Weihnachtsmann verkleidet, sind aber alles Traditionen, die auch ohne einen Glauben funktionieren. Sie sind auch so schön und gemeinschaftlich. Mittlerweile sollten wir davon einiges mit Blick auf die Nachhaltigkeit überdenken. Ich versuche schon, damit anzufangen. Wenn mir jemand zu Weihnachten ein Geschenk machen will, dann achte ich zum Beispiel darauf, mir ganz konkrete und praktische Dinge zu wünschen, über die ich mich dann auch wirklich langfristig freuen kann. Dieses Jahr weiß ich zum Beispiel schon, dass mich alle zu Weihnachten unterstützen, damit ich mir meinen lang ersehnten Wunsch erfüllen kann, ein eigenes Teleskop zu kaufen. Auch das Essen zum Fest ist bei uns, aus ostdeutscher Familientradition, eher einfach gehalten. An ‚Heiligabend‘ gibt es – statt des typischen Gänsebratens – entweder Wiener mit Kartoffelsalat oder Soljanka, eine Art russische Gulaschsuppe.“
Beyza ist 18 Jahre alt, hat gerade ihr Lehramtsstudium in Spanisch, Englisch und Ethik begonnen und engagiert sich als gläubige Muslimin in ihrer Gemeinde:
„Für mich bedeutet Ramadan immer eine Art Neustart, durch den ich nicht nur die Nähe zu meinem Glauben und Allah, sondern auch zu mir selbst wiederfinden kann. Einen ganzen Monat lang geht es nicht nur darum, tagsüber nichts zu essen oder zu trinken, sondern auch um die Dankbarkeit und den Umgang mit den uns zur Verfügung gestellten Ressourcen. Der momentan sehr aktuelle Gedanke der Nachhaltigkeit ist dabei eigentlich schon lange Kern dieser religiösen Tradition, was vielen gar nicht so bewusst ist. Die Tradition des Ramadans steht auch für den Versuch, sich – im Unterschied zum Gesellschaftssystem, in dem wir leben – weniger um Materielles zu sorgen, Geduld zu üben und sich selbst zu reflektieren. Im aktiven Verzicht lernt man, wie wenig dem Körper bereits ausreicht, um ’satt‘ zu werden, und wie viel von dem, was wir konsumieren, nicht wirklich notwendig ist. Ich sehe es als Privileg, dass ich für mich diesen Kern und einen so starken und klaren Bezug zu meiner Religion gefunden habe.
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die immer versucht hat, mir Antworten auf meine Fragen zu geben, und mich gleichzeitig ermutigt hat, mehr zu hinterfragen und mich nicht einfach zufriedenzugeben. Gerade bei all den negativen Bildern und Vorurteilen, die es über den Islam gibt, möchte ich meine Religion klar und bewusst ausleben und mich mit dem, was ich tue, auch selbst identifizieren. Das funktioniert nur, wenn ich immer wieder Fragen stelle, mich mit den Antworten konfrontiere und mich selbst reflektiere, besonders eben auch während des Ramadans. Diese Zeit hilft mir auch dabei, mich zu motivieren, viel zu lesen oder anders produktiv zu werden.
Obwohl Ramadan oft gar nicht als typisches Fest gesehen wird, hat er in unserer Familie immer einen festlichen Charakter. Zum Beispiel haben wir jedes Jahr eine Art Moschee-Kalender mit dreißig Türchen, ein bisschen wie im Advent, bei dem sich hinter jeder Tür ein ‚Hadith‘, also eine Überlieferung des Propheten und etwas Süßes verbirgt. Und natürlich können auch die gemeinsamen Mahlzeiten zum Fastenbrechen bei ‚Sahur‘ – kurz vor Sonnenaufgang – und ‚Iftar‘ – nachdem die Sonne untergegangen ist – etwas Festliches an sich haben. Häufig werden dann Familienmitglieder oder Bekannte eingeladen, um diese Tradition gemeinsam zu begehen. Das können aber auch Menschen sein, für die das religiöse Fasten oder die Kultur etwas ganz Neues ist, das sollte nichts Exklusives sein. Ich finde es sogar besonders schön, auf diese Weise voneinander zu lernen und in Welten eintauchen zu können, die man vorher gar nicht gekannt hat. Gerade in einer Gesellschaft, die sonst sehr individualistisch und auf gewisse Weise ‚einsam‘ ist.
In muslimischen Ländern Ramadan zu feiern, muss nochmal eine ganz andere Erfahrung sein. Wenn auf den Straßen und vor den Geschäften auch nachts so viel Leben ist, dass die beiden Mahlzeiten zu Ramadan in der Gemeinschaft eingenommen werden, ganze Stadtviertel morgens von Trommeln geweckt werden oder die Gebetsrufe der Moscheen durch die Straßen klingen.“
Tom ist 22 Jahre alt, studiert katholische Theologie und Sozialwissenschaften auf Lehramt, engagiert sich bei den Maltesern als Rettungshelfer und in einer politischen Hochschulorganisation:
„Auch wenn St. Martin ein Fest ist, das vermutlich eher von einer katholischen Minderheit gefeiert wird, ist es für mich besonders wichtig, weil ich es mit großer und enger Gemeinschaft, aber auch mit schönen Traditionen, besonders aus meiner Kindheit, verbinde und es mir immer noch unheimlich viel gibt. In dem rheinischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war das auch jedes Jahr eine Riesensache. Neben den Martinsumzügen mit Laternen und einem Gottesdienstbesuch gab es zum Beispiel immer ein großes Martinsfeuer, an dem sich die gesamte Nachbarschaft auf den ersten Glühwein des Jahres getroffen hat, bevor es dann zum gemeinsamen festlichen Essen mit der Familie nach Hause ging. Als Kinder sind wir dann noch von Haus zu Haus gezogen, haben Martins-Lieder gesungen und dafür Süßigkeiten gesammelt, ein bisschen wie bei Halloween, um diese dann – meistens gerecht – untereinander aufzuteilen.
Das ist ja auch der Ursprungsgedanke dieses Festes. Nach dem Vorbild des heiligen Martin von Tours, der um 370 nach Christus gelebt haben und als Offizier in der römischen Legion seinen Mantel mit einem Obdachlosen vor den Toren der Stadt geteilt haben soll, geht es an diesem Tag darum, sich dem bewusst zu werden, was man hat, und es mit denen zu teilen, die nicht so viel haben. Daher gibt es in der Kirche auch häufig gesonderte Spendenaktionen. Und auch Hoffnung spielt für mich bei dem Fest eine große Rolle, die sich schon dadurch ausdrückt, dass die beginnende, dunkle Jahreszeit an diesem Tag mit Licht gefüllt wird.
Weil viele Feste und Feiertage heutzutage so stark kommerzialisiert werden, gehen diese Gedanken leider oft genug unter, was ich sehr schade finde. Dazu kommt, dass die Tradition um St. Martin nur sehr regional, das heißt zum einen westeuropäisch und deutsch, zum anderen aber auch dort besonders in rheinischen und bayrischen Regionen, verbreitet ist und dadurch auch immer weniger gelebt wird. Ich sehe es als meine Aufgabe und Verantwortung, gerade auch als Theologie-Student, den Glauben nicht nur in einer Blase aus katholischen Christinnen und Christen auszuleben, sondern eine Community zu schaffen, die sich nach außen offen und inklusiv präsentiert. Eigentlich ist der Martinstag ja auch ein sehr kommunikatives Fest, durch das man die Chance hat, sich als Nachbarschaft und Gemeinde besser kennenzulernen und zu vernetzen. Ohne ihre religiöse Bedeutung und den Bezug zur Kirche geht für mich aber der Sinn dieser Feste verloren. Ich bin in meiner Familie fast der einzige, der zu jedem dieser Anlässe – dazu gehören auch Sonntage – in den Gottesdienst geht.“
Gabriela ist 18 Jahre alt, studiert Pädagogik, ist Jüdin und auch politisch engagiert:
„Mein Antrieb, Chanukka zu feiern, beschränkt sich nicht bloß auf die religiöse oder spirituelle Bedeutung dieses Festes. Hinter dem, was vielen durch die acht brennenden Kerzen der Menora als jüdisches ‚Lichterfest‘ bekannt ist, verbirgt sich ein bedeutsamer historischer Kontext, was Chanukka gleichzeitig zum Gedenkfest an den Widerstand der Makkabäer und den Kampf gegen Unterdrückung und Assimilation des Judentums macht. Das Wunder, dass das Öl das Licht der Menora für ganze acht Tage lang brennen ließ, obwohl es eigentlich nur für einen Tag ausgereicht hätte, bekommt dadurch noch eine ganz andere Bedeutung.
Ich selbst bin nicht religiös aufgewachsen und betrachte meine jüdische Identität als einen ‚Koffer‘ aus Sprache, Religion und besonders Kultur, die ich – zum Beispiel durch das Feiern solcher Feste – für mich bewahren möchte. Es geht mir dabei auch um ein historisches Bewusstsein und um eine ausgelebte Gemeinschaft, in der der religiöse Bezug etwas Persönliches und Individuelles ist und damit eher im Hintergrund bleibt. So können auch alle gemeinsam feiern, über die Grenzen der Religion hinaus, wie wir es zum Beispiel dieses Jahr zu Chanukka in einer gemischten Gruppe aus Jüd*innen und Muslim*innen gemacht haben. Da gab es die typischen Süßspeisen, Latkes und Sufganiyot, kleine, frittierte Kartoffelpuffer und gefüllte Hefekrapfen, die – in Öl gebacken – auch an das Wunder des Öls erinnern sollen. Wir haben Chanukka-Lieder gesungen und gemeinsam die Kerzen von rechts nach links angezündet, wie wir es auch zu Hause immer machen.
Eine andere schöne Tradition zu Chanukka ist das Glücksspiel. Mit einem vierseitigen Kreisel, einem sogenannten Dreidel, wird um echtes oder Schokoladen-Geld gespielt, was besonders den Kindern großen Spaß macht. Und meistens wird auch gemeinsam mit der Familie, Großeltern oder Bekannten festlich gegessen. Wenn die Oma bei jedem Treffen wieder fragt, wie es denn mit den Schulnoten aussieht und ob du inzwischen die Beste in der gesamten Klassenstufe bist, kann das auch echt mal anstrengend werden. Aber das gemeinsame Bewahren von Traditionen, noch über Generationen hinweg, das fasziniert mich daran sehr. Für mich ist das Schönste am Feiern auch gleichzeitig der Kern von Chanukka: die Botschaft, sich – auch in Unterzahl – nicht unterkriegen zu lassen, und dass es sich lohnt, auch mal an Wunder zu glauben.“
veröffentlicht am 21.12.2021