Diese Kontroversen spiegeln eine zunehmende Pluralisierung individueller Lebenswelten, die die Verbindlichkeit von gesellschaftlichen Normen infrage stellt. So steht die zunehmende Sichtbarkeit und rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Beziehungen für einen gesellschaftlichen Wandel, der mit der Auflösung von heterosexuellen Normen und damit auch mit Verunsicherungen verbunden ist. Schließlich geht mit der rechtlichen Anerkennung und Gleichstellung unterschiedlicher Lebensentwürfe auch die Infragestellung von Privilegien einher, die mit unhinterfragten Postulaten über eine heterosexuelle Norm (Heteronormativität) verbunden sind. Ähnlicher Widerstand verbindet sich mit Lebensentwürfen, die von einer vermeintlichen „christlichen Leitkultur“ abweichen und dabei auch gesellschaftlichen Wandel sichtbar machen.

Diese Verunsicherungen – auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene –, die durch gesellschaftliche Öffnung und Pluralisierung ausgelöst werden, gelten in der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung als ein Hintergrund, vor dem die mobilisierende Wirkung von extremistischen Narrativen auch jenseits der politischen Ränder der Gesellschaft zu verstehen ist. Mit ihrem ideologischen Angebot einer „nostalgische[n] Schließung gegenüber der kulturellen Modernisierung“ (Merkel 2016, S. 12) versprechen sie eine Gemeinschaft, die den oder die Einzelne*n von den Herausforderungen im Umgang mit Unterschieden und Konflikten entlastet.

Dagegen zielen Bildungsangebote auf die Entwicklung von selbstbestimmten, urteils- und handlungsfähigen Menschen. Dies setzt die Anerkennung von unterschiedlichen Selbstverständnissen, Orientierungen und Lebensentwürfen und mithin von gesellschaftlichem Pluralismus voraus. So sensibilisieren Bildungsprozesse für unterschiedliche lebensweltliche Erfahrungen und gesellschaftliche Ungleichheiten, die sich in individuellen Lebensentwürfen widerspiegeln. Zugleich geht es darum, Handlungskompetenzen zu fördern, um (junge) Menschen im Umgang mit Unterschieden und Pluralismus und damit verbundenen Widersprüchen und Konflikten zu stärken. Mit diesen Zielsetzungen verbinden sich auch präventive Wirkungen, die dem Rückzug auf überhistorische Normen und homogenisierenden Gemeinschaftsangeboten vorbeugen.

Dieser Beitrag setzt sich mit der Bedeutung von Antipluralismus in islamistischen und rechtsextremen Ideologien auseinander und fasst zentrale Narrative (die Abgrenzung der Gemeinschaft nach außen, die Homogenisierung der Gemeinschaft nach innen sowie die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen als Ausdruck von gesellschaftlichem Wandel) zusammen, die insbesondere in sozialen Medien verbreitet werden. Für das islamistische Spektrum wurden Videos ausgewertet, die in den vergangenen Monaten auf YouTube-Kanälen veröffentlicht wurden und sich als „Peripherie des religiös begründeten Extremismus (PrE)[1]“ beschreiben lassen. Für das rechtsextreme Spektrum werden unterschiedliche Plattformen berücksichtigt, mit denen eine breitere Öffentlichkeit erreicht wird.

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Einzelnachweise

  1. „Die Peripherie des religiös begründeten Extremismus“ ist ein Arbeitsbegriff, der von modus|zad Monitoring Trendanalysen eingeführt wurde. Er fast die im Projekt aufgenommenen islamistischen, salafistischen und hybriden Kanäle zusammen. Die Kanäle der hybriden Gruppe zeigen islamistische und salafistische Versatzstücke, sie lassen sich jedoch nicht eindeutig einer der beiden anderen Gruppen zuordnen. Zurückspringen