In sozialen Medien spielen Berichte über Krisen und Konflikte eine große Rolle. Oft finden sich darin auch Darstellungen von Gewalt, die in Zeitungen oder Fernsehberichten aus ethischen und rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden. In sozialen Medien ist Gewalt dagegen ungefiltert und ohne Kontext schon für Kinder und Jugendliche sichtbar und schürt Emotionen. Nicht selten geht dies auch mit psychischen Belastungen wie Unruhe, Stress und Ängsten einher.
Konflikte, über die in Massenmedien
kaum berichtet wird
All dies gilt selbstverständlich auch für muslimische Jugendliche und junge Erwachsene. In sozialen Netzwerken, in denen es auch um religiöse und herkunftsbezogene Themen geht, spielen beispielsweise die Verfolgungen und Vertreibungen von Muslim*innen in Myanmar, der Israel-Palästina-Konflikt oder der Krieg im Jemen eine große Rolle. Aktuell ist es vor allem die Unterdrückung von Muslim*innen in Kaschmir und der muslimischen Minderheit der Uiguren in China (Abbildung 1), über die in zahllosen Beiträgen in sozialen Medien, die von jungen Muslim*innen genutzt werden, berichtet wird.
Dabei gibt es bisweilen deutliche Unterschiede, über welche dieser Krisen und Konflikte in welchen Medien berichtet wird. So spielt beispielsweise der Krieg im Jemen, an dessen Folgen seit 2015 etwa 230.000 Menschen ums Leben kamen, in größeren Zeitungen oder im Fernsehen nur am Rande eine Rolle. Auch über die Verfolgung von Muslim*innen in Kaschmir finden sich in deutschsprachigen Medien nur selten Berichte – auch wenn täglich immer neue Berichte über die Gewalt in diesen Ländern in sozialen Medien veröffentlicht werden.
Solidarität und Gerechtigkeit
– oder islamistische Ideologie?
In islamistischen Medien nehmen die Themen Solidarität und Gerechtigkeit großen Raum ein. Islamistische Akteur*innen greifen die Betroffenheit und Wut, die von diesen Ereignissen ausgelöst werden, auf und nutzen sie, um für die eigene Ideologie zu werben. Die Empörung über Armut in islamischen Ländern oder Gewalt gegen Muslim*innen wird hier mit der Aufforderung zur Solidarität mit den „Glaubensbrüdern und -schwestern“ verbunden: „Wie könnt ihr hier in Deutschland ruhig leben, während Muslime in anderen Teilen der Welt leiden?!“, lautet die Botschaft, die direkt an das Mitgefühl und die Verbundenheit von Muslim*innen in Deutschland mit der Umma, der weltweiten Gemeinschaft der Muslim*innen, appelliert (Abbildung 2). Die Muslim*innen müssten zusammenhalten, denn nur so sei es möglich, der Gewalt durch „den Westen“, „die Zionisten“ oder „die Ungläubigen“ zu entgehen. Gewalttaten gegen Muslim*innen dienen hier dazu, das islamistische Weltbild zu bestätigen: Die Nichtmuslim*innen führten einen Krieg gegen den Islam und die Muslim*innen.
Hilfe durch Ansaar International?
Aber nicht immer ist der islamistische Hintergrund dieser Akteur*innen sofort offensichtlich – und nur ein Bruchteil der Beiträge, in denen Krisen und Konflikte in islamischen Ländern angesprochen werden, stammt aus dem islamistischen Spektrum. Das Beispiel der deutschen Hilfsorganisation Ansaar International zeigt, wie schwierig es ist, solche Beiträge einzuordnen. Ansaar International ist eine Organisation, die Spenden für Menschen in Krisenregionen sammelt und damit Hilfsprojekte vor allem in afrikanischen und asiatischen Ländern finanziert. In Deutschland wird der Verein allerdings vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestuft.
Nach eigener Darstellung geht es dem Verein darum, „Allahs Wohlgefallen“ zu dienen und „unsere notleidenden Menschen im In- und Ausland zu unterstützen. (…) Ihr seid die Hoffnung der Ummah! Mit eurem weiteren Einsatz und der Hilfe von Allah, können wir noch viel erreichen und weltweit denen helfen, denen es viel schlechter geht als uns. Stehen wir zusammen auf und halten wir zusammen.“
Ansaar International ist auch in sozialen Medien sehr präsent und wirbt mit Bildern und Videos aus der Projektarbeit um Spenden (Abbildung 3). Auch mit dem Kauf von CDs mit religiösen Gesängen („Nascheeds“) kann man den Verein unterstützten. „Aus der Hood ins Kriegsgebiet“ lautet zum Beispiel der Titel einer CD, deren Verkaufserlös nach eigenen Angaben Bedürftigen zugutekommt.
Der Verfassungsschutz bezweifelt allerdings, dass es der Organisation tatsächlich allein um Hilfsleistungen und Wohltätigkeit für Bedürftige geht. Die Verfassungsschutzbehörden in Nordrhein-Westfalen und Bayern werfen Ansaar International vor, eine islamistische Ideologie zu verbreiten und islamistische Organisationen in Ländern zu unterstützen, in denen die Spendengelder verteilt werden. Begründet werden diese Vorwürfe mit Auftritten von bekannten Salafisten bei Veranstaltungen des Vereins, aber auch mit Kontakten zwischen Ansaar International und islamistischen Bewegungen in Syrien und Gaza. Ansaar International sei „fest in die salafistische Szene eingebunden“ (rp-online.de)– eine Szene, die für ein sehr striktes Islamverständnis steht und sich deutlich von der Mehrheitsgesellschaft und „den“ Nichtmuslim*innen abgrenzt. Der Verein selbst bestreitet die Vorwürfe und wehrt sich auch juristisch gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht – bisher allerdings erfolglos.
Wem hilft man zu helfen?
Tatsächlich wendet sich Ansaar International mit seinen Spendenaufrufen an ein breites Publikum, das weit über ein islamistisches Spektrum hinausgeht. Auf Facebook etwa haben über 120.000 Menschen die Seite abonniert, viele der täglichen Beiträge erhalten über 1.000 Likes. Das große Interesse an den Aktivitäten des Vereins zeigt, wie sehr die von ihm angesprochenen Themen bewegen und wie groß die Bereitschaft ist, sich für Menschen in Not einzusetzen.
Bundesweite Aufmerksamkeit erhielt Ansaar International in den vergangenen Jahren vor allem durch die Unterstützung durch den Fußballspieler Änis Ben-Hatira, der bis Anfang 2017 für den SV Darmstadt 98 aktiv war. Ben-Hatira hatte sich in der Vergangenheit für verschiedene Projekte von Ansaar International engagiert und wurde auf dessen Webseite als prominenter Unterstützer vorgestellt. Angesichts der Vorwürfe gegen Ansaar International und dessen Kontakten zu salafistischen Predigern schlug der Fall hohe Wellen und führte schließlich dazu, dass sich der SV Darmstadt 98 mit Ben-Hatira auf eine Auflösung seines Vertrages verständigte. Für viele Jugendliche war Ben-Hatira ein Held, der sich persönlich auch aus religiöser Überzeugung gegen Armut engagiert und dafür zu Unrecht in der Öffentlichkeit kritisiert wurde.
Der große Zuspruch für Ansaar International und Ben-Hatira zeigt, wie wichtig vielen muslimischen wie nichtmuslimischen Jugendlichen das Engagement gegen Armut und für die Opfer von Krisen und Konflikten ist. Die Diskussionen um Ben-Hatira und dessen Unterstützung für Ansaar International machen aber auch deutlich, wie schwierig dies im Alltag sein kann.
Was könnt ihr tun?
Folgende Anregungen sollen dabei helfen, sich für die Menschen in Krisenregionen zu engagieren und auf die Situation in diesen Ländern hinzuweisen:
Darüber sprechen
Bilder von Elend und Gewalt lösen bei vielen Menschen starke Gefühle wie Ohnmacht und Wut aus. Oft fehlt es an Möglichkeiten, um darüber zu sprechen. Jugendliche können ihre Lehrer*innen darum bitten, diese Ereignisse im Unterricht zu behandeln. Ob im Politik-, Geschichts- oder Gemeinschaftskundeunterricht – für solche Themen sollte Zeit sein. Denn wo, wenn nicht in der Schule, lassen sich auch unterschiedliche Meinungen und Perspektiven austauschen? Dabei kann es auch darum gehen, mehr Informationen über die Hintergründe dieser Krisen und Konflikte zu recherchieren.
Hintergründe recherchieren
Nicht immer sind die Hintergründe von Elend und Gewalt auf den ersten Blick zu verstehen. Auch die Verantwortung verteilt sich oft auf mehrere Schultern. Umso wichtiger ist es, sich über die Ursachen und die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zu informieren. Eine gute Quelle ist die Webseite frieden-fragen.de, auf der über zahlreiche Konflikte weltweit informiert wird, die in den Medien nur am Rande zur Sprache kommen. Hier werden auch Ansätze der Konfliktlösung vorgestellt, die von der internationalen Gemeinschaft unternommen werden. Mit Fragen kann man sich dort auch an Expert*innen wenden.
Selbst aktiv werden
Oft geht es nicht allein darum, sich auszutauschen oder sich zu informieren, sondern auch darum, selbst etwas zu tun. Das kann zum Beispiel darin bestehen, eine größere Öffentlichkeit über die Situation zu informieren (zum Beispiel mit einem Beitrag für die Schüler*innen- oder die Lokalzeitung oder sogar einer Diskussionsveranstaltung in der Schule). Eine weitere Möglichkeit ist, die Bevölkerung in den betreffenden Regionen mit einer Spendenveranstaltung zu unterstützen. Oft finden sich dafür auch überregionale Kooperationspartner, manchmal sogar direkt vor Ort. Gerade bei Hilfsorganisationen ist es aber wichtig, sich über die Seriosität und Zuverlässigkeit der Kooperationspartner zu informieren. Informationen dazu findet man zum Beispiel auf den Webseiten des Deutschen Spenderrates e. V. , des Verbandes Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe oder des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. Die Webseiten geben Auskunft, ob eine Spendenorganisation transparent mit den Spenden umgeht und diese auch tatsächlich bei Bedürftigen ankommen. Unabhängig davon sollte man entscheiden, welche Organisation mit Spenden unterstützt werden soll. Mögliche Fragen dabei sind: In welchen Ländern ist die Organisation aktiv? In welchen Bereichen unterstützt sie Projekte (z. B. Bau von Schulen, Brunnen, Krankenhäusern)? Nach welchen Kriterien werden die Empfänger*innen ausgewählt (z. B. Alter, Religion, ethnische Gruppe)? Welche Ziele verfolgt die Organisation noch (z. B. allgemeines humanitäres Engagement, politische oder religiöse Ziele)?
veröffentlicht am 06.02.2020