Die digitale Kommunikation muslimischer Frauen steht seit einigen Jahren vermehrt im Verdacht, ein Nährboden für den islamischen Extremismus zu sein. Dabei werden Muslim*innen im öffentlichen Diskurs weithin als geschlossene Entität wahrgenommen, welche der deutschen Gesellschaft entgegensteht.[1] Insbesondere die Andersartigkeit muslimischer Frauen nimmt im öffentlichen Diskurs eine zentrale Stellung ein, wobei sie häufig in stereotypen Kategorien gedacht werden: Muslimische Frauen seien unterdrückte und handlungsunfähige Opfer patriarchaler Strukturen. Insbesondere kopftuchtragende Frauen werden dabei dem vermeintlichen Ideal der befreiten und emanzipierten (weißen) Frau gegenübergestellt. Aber auch wenn Musliminnen handlungsmächtig und selbstbewusst auftreten und dabei offen ihre Religiosität zeigen, gelten sie oft als fremdbestimmt. Aus der stereotypen Opferrolle wird dann jedoch im Diskurs schnell die indoktrinierte muslimische Täterin, welche versucht, andere junge Mädchen und Frauen für den islamischen Extremismus zu gewinnen. Einer der Hauptmarker dieser Stereotypisierung ist hierbei wiederum das Kopftuch als vermeintliches Symbol einer extremistischen Haltung.

Täterinnen und ihre Opfer – islamischer Extremismus im Internet

Tatsächlich gibt es Täterinnen, welche dem islamischen Extremismus zuzuordnen sind. Sie nutzen verschiedenste soziale Medien, um mit islamischer Normsetzung und Narrativen an ihre Zielgruppe andere Musliminnen und interessierte Nichtmusliminnenheranzutreten. Sie propagieren im Internet mädchenhaft-verspielt präsentierte Botschaften mit einem absoluten Wahrheitsanspruch (vgl. Abbildung 2), der keine abweichenden Lebensentwürfe zulässt.

Abbildung 2, Beispiel für den Versuch, die Geschlechtertrennung und Verhüllung von Frauen als einzig islamisch korrekte Art der Lebensführung darzustellen, Quelle: Facebook

Themen können z.B. die aus ihrer Sicht einzig islamisch korrekte Kleidung muslimischer Frauen, die gottgegebene Rolle der Muslimin als Hausfrau und Mutter oder die vermeintlichen Vorteile einer islamischen Mehrehe sein. Um den besonderen Stellenwert der Frau im Islam zu betonen, bezeichnen sie muslimische Frauen oft als „Herrin des Haushalts“, welche die Familie umsorgt und die Gemeinschaft der Muslim*innen im Glauben stärkt. Plurale Entwürfe von Geschlecht oder anderweitige Lebensentwürfe setzen sie dagegen zugunsten traditioneller Geschlechterbilder herab. Ihre klaren Statements zu Wertvorstellungen und Rollenverteilungen bieten schnelle und einfache Antworten und vermitteln Halt.  

Extremismusprävention im Internet

Das Nationale Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus (NPP) der Bundesregierung sieht dementsprechend vor, dass der professionellen Propaganda extremistischer Einzelpersonen und Gruppierungen im Internet alternative, tragfähige Botschaften entgegengesetzt werden.

Ziel ist es, mit eigenen Deutungsmodellen an Muslim*innen heranzutreten und deren Urteils- und Diskursfähigkeit zu stärken.[2] Präventionsprojekte mit Muslim*innen haben dementsprechend den politischen und gesellschaftlichen Auftrag, sie in der kritischen und reflektierten Auseinandersetzung mit Botschaften islamischer Extremist*innen zu unterstützen und sie resilient gegen deren Ansprache im Internet zu machen. Dieser staatlich formulierte Anspruch, Muslim*innen in ihrer Urteils- und Diskursfähigkeit stärken zu wollen, führt in der häufig staatlich geförderten Präventionsarbeit jedoch zu Konflikten zwischen der Handlungslogik des Staats, hier insbesondere der Sicherheitsbehörden, und der Sozialen Arbeit. Während die Praxis der Sozialen Arbeit v.a. auf Bildung und Selbstermächtigung abzielt, steht für den Staat die Wahrung der inneren Sicherheit im Vordergrund.[3] Die Versicherheitlichung der Präventionsarbeit kann jedoch dazu führen, dass Muslim*innen als grundsätzlich anfällig für extremistische Botschaften und damit als potenziell gefährdet oder gefährlich verstanden werden. Solche pauschalen Fremdzuschreibungen und Stereotype über Muslim*innen diskriminieren eine ganze Religionsgemeinschaft und können in der Präventionsarbeit das Vertrauen der Klient*innen in das Fachpersonal stören und die konstruktive Zusammenarbeit gefährden.  

Das NPP empfiehlt zudem die Setzung alternativer Narrative. Befürworter*innen sehen in ihnen ein adäquates Instrument, um Narrative extremistischer Muslim*innen zu dekonstruieren und zu delegitimieren. Viele Projekte der Präventionsarbeit setzen hierbei auf alternativer Narrative, welche explizit keine Antworten vorformulieren, sondern Fragen stellen und Kommunikationsräume schaffen. Insbesondere wenn sie die Vorteile einer demokratisch-pluralistischen Gemeinschaft im Alltag erlebbar machen, sind solche Erzählungen ein wertvoller Baustein der Präventionsarbeit.[4] Problematisch ist allerdings, wenn alternative Narrative an Muslim*innen herangetragen werden, welche über vorformulierte Antworten die werturteilsfreie Auseinandersetzung mit islamischen Normsetzungen und Narrativen verhindern. Insbesondere dann, wenn in der Präventionsarbeit angebotene alternative Narrative bestimmte islamische Normsetzungen und darauf basierende Lebensentwürfe als unerwünscht kommunizieren, kann dies von muslimischer Seite als (staatliche) Einmischung und Bevormundung aufgefasst werden und Wertekonflikte auslösen.[5] 

Facebook-Gruppen szeneferner Muslim*innenHausfrau oder Unternehmerin?  

Anders als es der vorwiegend negativ geprägte Sicherheitsdiskurs über Muslim*innen in Deutschland suggeriert, sind Muslim*innen nicht grundsätzlich anfällig für extremistische Botschaften.

 Auch bewegt sich die Aushandlung muslimischer Normativität im Internet nicht ausschließlich zwischen „gefährlichen Täter*innen und ihren Opfern“. Auf allen möglichen Internetplattformen wird tagtäglich eine breite Vielfalt islamischer Normen und Narrative kommuniziert und kontrovers diskutiert, ohne dass extremistische Positionen zu Wort kommen. Eine bisher wenig beachtete Nische islamischer Normsetzung im Netz stellen die deutschsprachigen Facebook-Gruppen von Musliminnen dar.[6] Muslimische Frauen aller Altersgruppen nutzen sie, um sich über Alltagsthemen, wie Ernährung und Gesundheit, Modetrends oder Dekoration, auszutauschen. Ganz selbstverständlich diskutieren sie dabei auch darüber, wie islamische Normen mit diesen Alltagsthemen in Einklang gebracht werden können.  

Wenn Zeynep [7] in ihrer Frauengruppe also die islamische Mehrehe zur Diskussion stellt (vgl. Abbildung 2) oder nach der Meinung der Frauen zur Rolle der Hausfrau fragt, dann wird im durch Sicherheitsbedenken geprägten Diskurs über Muslim*innen bei einem solchen Thema zunächst der Verdacht im Raum stehen, dass eine Nähe zu extremistischen Szenen gegeben sein könnte.

Abbildung 3, Beispiel einer abendlichen Diskussionsrunde der Facebookgruppe, Quelle: Facebook

Bei der genaueren Betrachtung von Zeyneps Aktivitäten in der Gruppe wird jedoch schnell deutlich, dass solche Vorannahmen über ihre Intention zu fehlgeleiteten Interpretationen und Stigmatisierungen führen können. Zeynep selbst war jahrelang ungewollt in einer Mehrehe verheiratet und spricht in der Gruppe offen über ihre negativen Erfahrungen. Hinter der Themensetzung steht in diesem Fall also kein extremistischer Lebensentwurf oder ein Versuch der extremistischen Ansprache, sondern ein Beispiel dafür, wie Muslim*innen sich im Internet aktiv und durchaus kritisch mit Themen der eigenen Lebenswelt, hier den erlaubten oder empfohlenen Arten der islamischen Eheführung, auseinandersetzen. Themen wie die Mehrehe brechen dabei offensichtlich mit den Normen der deutschen Rechtsordnung, sind für manche Muslim*innen aber dennoch lebensweltlich relevant und selten mit Radikalisierungstendenzen verbunden. Muslimische Onlineforen bieten die Möglichkeit, sich in einem generationenübergreifenden und über das persönliche Umfeld hinausgehenden Raum aktiv über islamische Normen und ihre Vereinbarkeit mit der persönlichen Lebenswelt auszutauschen. Das reine Frauenforum erlaubt es den Mädchen und Frauen, auch Tabuthemen wie Sexualität anonym anzusprechen und zu diskutieren. Stille Mitleserinnen haben die Möglichkeit, von der breiten Palette unterschiedlichster Einstellungen und Lebensentwürfe muslimischer Frauen zu erfahren.  

Abbildung 4, Auschnitte aus einer Diskussion zur Mehrehe, Quelle: Facebook

Während Hannah Zeynep und den anderen Frauen also davon berichtet, dass sie sich nie wieder finanziell von einem Mann abhängig machen würde, ihren Ehemann in allen anderen Belangen aber dennoch als „Chef im Ring“ bezeichnet, erzählt Bianca-Amina, dass sie sich in der von ihr selbst als „altmodisch“ beschriebenen Rolle als Hausfrau wohler fühle. Ihr Mann ist der alleinige Versorger der Familie. Marah arbeitet seit ihrer Ausbildung in Vollzeit und wünscht sich, dass alle Männer im Haushalt helfen. Sie begründet es mit einer überlieferten Erzählung, wie der Prophet Muhammad ganz selbstverständlich im Haushalt mit angepackt hat. Ajsa ist wiederum empört über das Wort „helfen“, da dies impliziert, dass der Haushalt Frauensache ist. Umm Younes überlegt, ob eine islamische Mehrehe, bei der bis zu vier Frauen den Haushalt erledigen, für sie von Vorteil sein könnte, wird jedoch von der empörten Samia darauf hingewiesen, dass solche Konstellationen nicht mehr zeitgemäß seien. Esma reagiert entrüstet. Sie sei in einer Notlage selbst froh gewesen, eine Mehrehe eingehen zu können und kann die weit verbreitete Ablehnung der Mehrehe nicht verstehen. Janica entspannt die Lage mit dem süffisanten Kommentar, dass sie ihrem Mann gerne ihre vier Persönlichkeiten zeige, sollte er eine weitere Frau heiraten wollen. 

Umgang mit islamischen Normen und Narrativen in der Präventionsarbeit  

An einigen dieser Äußerungen und Vorstellungen mag man sich stoßen, manche Lebensentwürfe und ihre Begründungen mögen fremd und unverständlich erscheinen. Wie also umgehen mit islamischer Normativität und Narrativen, welche eher konservative Lebensentwürfe in den Raum stellen oder eine strenge Auslegung von Religion fordern? Für die Präventionsarbeit ist hier ein gewisses Maß an Gelassenheit und Selbstreflexion wichtig, um diskriminierungssensibel arbeiten zu können. Auch wenn die mehrheitsgesellschaftliche und dominanzgesellschaftliche Normativität herausgefordert wird, darf diese Herausforderung nicht einfach mit Radikalisierung oder Extremismus gleichgesetzt werden. Das eigene Unbehagen mit fremd erscheinenden Themen und Lebensentwürfen darf nicht dazu führen, dass islamisch begründete Lebensentwürfe in einem versicherheitlichten Diskurs grundsätzlich als weniger erstrebenswert oder sogar gefährlich betrachtet werden. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass islamische Narrative oder Normsetzungen vielfältig sind, unterschiedlich legitimiert werden und auch unter Muslim*innen nicht unumstritten sind. Die Auseinandersetzung mit islamischen Normen ist für Personen, welche sich selbst als muslimisch bezeichnen, Teil der alltäglichen Lebenswelt.[8] Islamische Normativität stellt deshalb nicht grundsätzlich ein Risiko für den Staat und die Gesellschaft dar, sondern muss immer vorurteilsfrei und individuell in ihrem Kontext beurteilt werden. Aus freien Stücken heraus getroffene Lebensentwürfe, wie die (religiös begründete) Entscheidung zu einer eher traditionellen Rollenverteilung in der Ehe, haben ebenso ihre Berechtigung wie die Entscheidung, selbstständige Unternehmerin zu werden. Niemand würde darauf kommen, eine nichtmuslimische Hausfrau und Mutter als potenziell gefährdet für extremistische Ansprache zu verstehen. Warum also bei Muslim*innen andere Maßstäbe anlegen? 

veröffentlicht am 26.04.2022

Einzelnachweise

  1. Um die Anonymität aller im Text genannten Personen zu wahren, wurden ihre Namen geändert. Zurückspringen
  2. Eugen-Biser-Stiftung (2018). Islamberatung in Bayern | Analysen und Studien (islamberatung-bayern.de) [Zugriff: 26.11.2021] Zurückspringen
  3. Nationales Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus: www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sicherheit/praeventionsprogramm-islamismus.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [Zugriff: 24.11.2021]; Leitfaden zum Umgang mit Counter-Narratives: www.hamburg.de/contentblob/11233354/acebc6c39b4b7b32b878490671db22e1/data/leitfaden-counter-narratives.pdf [Zugriff: 24.11.2021] Zurückspringen
  4. Schuhmacher, Nils (2018). Ein neues Bild der Prävention? Zur Tendenz der „Versicherheitlichung“ im pädagogischen Feld. In: Glaser, M./Frank, A./Herding, M. (Hrsg.), Gewaltorientierter Islamismus im Jugendalter. Perspektiven aus Jugendforschung und Jugendhilfe. In: Sozialmagazin, 2. Sonderband, S. 158–166. Zurückspringen
  5. Frischlich, Lena (2019). Extremistische Propaganda und die Diskussion um „Gegenerzählungen“. www.bpb.de/themen/infodienst/293970/extremistische-propaganda-und-die-diskussion-um-gegenerzaehlungen/ [Zugriff: 25.02.2022] Zurückspringen
  6. Vgl. Qasem, Sindyan (2020). Powerful and tricky – RISE (rise-jugendkultur.de) [Zugriff: 08.12.2021] Zurückspringen
  7. Die Bezeichnung „Facebook-Gruppen muslimischer Frauen“ geht auf die Selbstbeschreibungen der einzelnen Gruppen zurück. Zurückspringen
  8. Nicht alle Personen, die sich selbst als Muslim*innen bezeichnen, betrachten sich selbst als gläubig oder religiös. Die Auseinandersetzung mit islamischer Normativität ist individuell unterschiedlich und kann sich auch in Ablehnung oder Nichtbeachtung ausdrücken. Zurückspringen