Kerstin 

Die Frage „Wie wollen wir leben?“ spielt für Jugendliche und junge Erwachsene eine große Rolle, gerade auch vor dem Hintergrund, wie wir mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Kulturen etc. gut zusammenleben können. Das heißt, wertebasierte Fragen treffen ziemlich den Nerv der Jugendlichen… 

 

JINGLE RISE 

 

Menel 

Hallo, ich bin Menel und ich gehe in die Fritz-Karsen-Schule, in die zwölfte Klasse. 

Hani 

Ja, und mein Name ist Hani. Ich gehe auch in die zwölfte Klasse.  

Rama 

Und ich bin Rama.  

Mustafa 

Ich bin Mustafa und ich besuche auch zurzeit die zwölfte Klasse in der Fritz-Karsen-Schule. 

Gabi 

Ich bin Gabi Elverich. Ich bin Lehrerin an der Fritz-Karsen-Schule. 

 

Moderation 

Willkommen zur neuen und letzten Folge unseres Podcasts. Mein Name ist Julia Tieke und ich bin die Gastgeberin im RISE-Podcast zu Identität, Pluralismus und Extremismus. In den letzten Folgen habe ich bereits mit verschiedenen Gästen über vier Schwerpunktthemen von RISE gesprochen, diesmal dreht sich alles um den fünften Themenbereich, „Religion und Werte“. 

Vielleicht ist es das schwierigste Feld. Denn Religion, das scheint doch etwas sehr Persönliches zu sein. Zugleich gehören Religion und Werte zu den zentralen Themen öffentlicher Debatten, vor allem wenn es um den Islam geht. Dann erscheint das Nebeneinander von Islam und Christentum als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, und die Frage, ob der Islam nun zu Deutschland gehöre oder nicht, wird rauf und runter debattiert. Und an Schulen geht es unter anderem um das Neutralitätsgebot, die Frage also, ob Lehrer*innen beispielsweise sichtbar ein Kreuz tragen dürfen, oder eben ein Kopftuch.  

Eines fällt dabei auf: Selten kommen Schüler*innen zu Wort. Ihre Perspektiven auf Glauben und religiöse Praxis fehlen weitgehend in öffentlichen Debatten. Daher habe ich mich gefreut, auch für diese Folge ein Gespräch an einer Schule führen zu können. Ich war an einer Gemeinschaftsschule in Berlin-Neukölln, der Fritz-Karsen-Schule, wir haben es zu Beginn schon gehört. Vier Schüler*innen und eine Lehrerin haben mir von ihren Erfahrungen mit Schule und Religion erzählt. Zunächst aber wollte ich wissen, weshalb das Feld eigentlich so kompliziert und zugleich so spannend ist. Daher war ich mit Kerstin Heinemann zu einer kurzen Videokonferenz verabredet. Sie arbeitet im RISE-Projekt – und stellt sich gleich selbst vor. 

Kerstin 

Ich bin Kerstin Heinemann, bin Mitglied im Team von RISE – jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus, bin Medienpädagogin, aber, und das ist eine spannende Kombination, finde ich für das Projekt, auch katholische Religionspädagogin. Das heißt, ich habe mal Reli unterrichtet, eine ganze Zeit lang, und ich habe viele, viele Jahre lang interreligiöse Projekte initiiert und begleitet, und zwar in der Jugendarbeit. Und ich freue mich total, jetzt mit dem Projekt RISE ein bisschen wieder an mein altes Leben als Religionspädagogin anknüpfen zu können und zumindest in diesem Themenfeld wieder mal unterwegs zu sein. 

 

Julia 

Das Themenfeld „Religion“ oder „Religion und Werte“ ist ja eines der zentralen Themenbereiche des Projekts. Weshalb ist das überhaupt so? Welche Rolle spielt das Thema für Jugendliche und junge Erwachsene? 

 

Kerstin 

Also zunächst mal ganz wichtig: RISE ist kein religionspädagogisches Projekt. Wir machen keine religiöse Bildung in dem Projekt. Das Projekt arbeitet an der Schnittstelle von Medienpädagogik und politischer Bildung. Und in der öffentlichen Debatte wird ja oft die Religion, also zum Beispiel der Islam, mit dem Islamismus vermengt. Und das ist schwierig. Und um hier sauber konturieren zu können und auch sprechfähig zu sein, müssen wir mit dem Projekt RISE natürlich auch immer wieder in religionskontextualisierte Fragen gehen. Also, es gibt Schnittmengen, aber es ist dezidiert kein religionspädagogisches Projekt. 

Und es gibt noch eine zweite starke Begründung, die wir in der Konzepterstellung gesehen haben, nämlich die Frage „Wie wollen wir leben?“ spielt für Jugendliche und junge Erwachsene eine große Rolle, gerade auch vor dem Hintergrund, wie wir mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Kulturen etc. gut zusammenleben können. Das heißt, wertebasierte Fragen treffen ziemlich den Nerv der Jugendlichen und sie darin zu unterstützen und Räume zu eröffnen, um in den Diskurs zu gehen, aber auch Grenzen zu diskutieren und zu verhandeln. Das haben wir uns mit RISE zum Ziel gesetzt. 

 

Julia 

Wenn wir dann von der allgemeinen Rolle des Themas oder des Themenbereichs für Jugendliche spezieller auf Schulen kommen – was sind die großen Linien, wenn es um Religion und Schule geht? Da ist ja einiges los. Aber aus deiner Sicht: Was fällt auf bei öffentlichen Debatten dazu? Wie wird Religion, aber auch Religiosität an Schulen verhandelt? Was ist da überhaupt der Unterschied zwischen den beiden? 

 

Kerstin 

Das sind große Fragen. Zunächst mal müssen wir festhalten, dass wir in der Bildungslandschaft föderale Strukturen haben. Das heißt, die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern sind durchaus groß. Und in manchen Bundesländern spielt der zum Beispiel konfessionell geprägte Religionsunterricht noch eine große Rolle. In anderen wird überkonfessionell unterrichtet oder das Fach Ethik oder Lebenskunde ist eher das, was nachgefragt wird. 

Spannend finde ich immer wieder auch politische Diskussionen, gerade im Kontext von Schule und öffentlichen Raum. Schon ganz früh zum Beispiel, 1995, gab es ja das Kruzifix-Urteil, das heißt, die Kreuze mussten in den Klassenzimmern abgenommen werden. Bayern hat da zum Beispiel so einen kleinen Sonderweg dann beschritten, 2018 mit dem sogenannten Kreuzerlass. Das heißt, den bayerischen Behörden ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, meistens im Eingangsbereich, wieder Kreuze aufzuhängen. Das wurde vor ein paar Tagen, das ging jetzt erst durch die Presse, von den bayerischen Verfassungsrichtern auch nochmal bestätigt, weil dagegen geklagt wurde. 

Ein anderes Thema, das wir immer wieder sehen, ist das Kopftuch bei Frauen, bei muslimischen Frauen – spielt immer wieder eine Rolle. 2003 gab es das sogenannte Kopftuch-Urteil, das heißt, eine junge Lehrerin hat geklagt – sie sollte nicht in den Schuldienst übernommen werden, weil sie muslimischen Glaubens ist und selbstverständlich ihr Kopftuch auch in der Schule tragen möchte. Berlin hat dann deutlich später gesagt: Das sehen wir ein bisschen anders, hat ein Neutralitätsgesetz erlassen. Das heißt, der Berliner Senat sagt sehr klar: Der schulische Kontext muss ein neutraler Kontext sein und darf nicht überprägt sein von religiösen Symbolen. Das sieht man, wenn man genau hinschaut – das Thema Religion oder noch dezidierter religiöse Symbole spielen gerade im schulischen Kontext, also da, wo Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene lehren und lernen und Werte entwickeln und sich entwickeln, Persönlichkeit entfalten sollen, immer wieder eine große Rolle und sie sind immer wieder Gegenstand, teils auch scharfer Diskussionen. Und dabei spielt es eben auch eine Rolle, ob man das Kreuz beispielsweise als Kulturgut oder als religiöses Symbol versteht. 

Auffallend ist, dass wir uns mit den christlichen Symbolen, und ich glaube, das kommt aus einer eigenen Kulturgeschichte heraus, meist leichter tun. Das führt natürlich immer wieder dazu, dass gerade muslimische Symbole und Traditionen benachteiligt werden. In der Frage um gesetzliche Feiertage ist das zum Beispiel auch zu erkennen. Wir haben sehr viele christliche Feiertage gesetzlich verankert, aber wir haben keine muslimischen oder jüdischen Feiertage, die gesetzlich verankert sind. Das heißt, in einer pluralen Gesellschaft, und der Islam oder das Christen- oder auch Judentum gehört natürlich selbstverständlich zu Deutschland, genauso wie aber auch die Möglichkeit zu sagen, ich kann mit Religion nichts anfangen, ich verstehe mich als areligiös oder atheistisch. Das heißt, diese Fragen müssen neu verhandelt werden, und wir müssen neu aushandeln, was es bedeutet, in einer pluralen Gesellschaft zu leben. Denn schließlich, glaube ich, und das ist das große Ziel, das über fast allen steht, geht es darum, ein gutes Zusammenleben und Achtung und Wahrung der eigenen Weltanschauung, aber auch der Weltanschauung anderer herzustellen. 

 

Julia 

Tatsächlich ist ja die Perspektive von Schülerinnen und Schülern eher selten zu hören in dieser ganzen Diskussion. Und deswegen fand ich es auch besonders spannend, an einer Berliner Gesamtschule ein Gespräch zu führen mit vier Schüler*innen und einer Lehrerin zu dem Thema. Das werden wir dann hier im Podcast gleich hören. Und du kennst das Gespräch schon und deswegen interessiert mich jetzt aus deiner Perspektive: Was ist dir aufgefallen? Was ist vielleicht ungewöhnlich, was typisch? Wenn du da einen, zwei Aspekte hast, die auf das Gespräch jetzt hinführen, fänd ich das total interessant. 

 

Kerstin 

Zunächst einmal ist die Beobachtung sehr richtig. Wenn wir über solche Fragen reden, reden wir meistens über den Kontext von Schüler*innen, aber selten mit ihnen. Und das ist total schade, denn Schüler*innen haben total viel dazu zu sagen. Und da wünschte ich mir sehr viel mehr Partizipation, sehr viel mehr Hearings, in denen die Stimme von jugendlichen, jungen Erwachsenen, übrigens auch schon Kinder, auch die beschäftigen sich mit wertebasierten oder religiösen Fragen, in denen wir die hören und nicht nur hören im Sinne von „Na ja, schön, dass wir euch mal gehört haben“ und das war’s. Sondern sie tatsächlich auch in politische Prozesse mit einbeziehen und ernst nehmen. Und ein großer Appell an die Politik zu sagen: Wir brauchen solche Diskurse, Räume und wir brauchen Strukturen, in denen Kinder und Jugendliche auch in diesen Fragen gehört werden. 

Grundsätzlich ist es so, dass nämlich wertebasierte Fragen bei Jugendlichen eine ganz, ganz große Rolle spielen. Schon bei den kleinen Kindern stellt man fest, wenn man mit dem Thema Gerechtigkeit aufschlägt, dann sind sie voll dabei. Ich glaube, ich kenne keine gerechtigkeitsorientierte Gruppe wie die 3- bis 5-Jährigen. Und das zieht sich durch. Und wir sehen das in ganz vielen Bewegungen, jugendkulturellen Bewegungen, aber auch in anderen Themenfeldern wie ökologischer Gerechtigkeit, Fridays for Future ist ein Beispiel, oder andere – Jugendliche interessieren sich für wertebasierte Fragen und sie haben dazu durchaus eine Haltung, sind meistens auch sprechfähig. 

Ich glaube, was wir brauchen, ist: Konkrete Fragen der religiösen Praxis brauchen einen Raum, einen Raum, sich voneinander zu erzählen. Und dazu ist der Religionsunterricht in der Schule oder auch der Ethikunterricht mit Blick auf unterschiedliche Religionen und Kulturen wahnsinnig wichtig. In dem Gespräch, das du geführt hast, fand ich es total spannend, wie zum Beispiel über das Thema Fasten erzählt wurde. Also warum fasten muslimische Schüler*innen? Was bedeutet das für sie im Lebensalltag und warum ist es vielleicht nicht so toll, auch wenn es gut gemeint ist, an einem heißen Tag der Schülerin ein Wasser hinzuhalten und zu sagen „Magst du nicht was trinken“? Und das deutlich zu machen, von sich und der eigenen religiösen Praxis zu erzählen – so haben es die Schüler*innen in dem Gespräch auch gesagt – schafft Verständnis und schafft Verständnis dafür, was bedeutet das meiner Freundin, meinem Freund anderen Glaubens und wie kann ich das auch zum Teil unterstützen und mittragen? Das fand ich eine sehr berührende Szene, wie eine Schülerin erzählt, dass tatsächlich Freundinnen von ihr mitfasten, obwohl sie nicht muslimisch religiös glauben, und das einfach aus Solidarität mit ihr tun, und ein besseres Verständnis auch für die Lebenswelt der Freundinnen entwickeln. 

Und auch das Thema Kopftuch ist ein Thema, das in diesem Gespräch immer wieder vorkommt. Das heißt, es gibt viele, viele Fragen um religiöse Praxis, um Riten, um Symbole, um Traditionen. Die gibt es nicht nur beim Islam, die gibt es auch beim Christentum, die gäbe es auch beim Judentum und gibt es bei ganz vielen anderen Religionen. Und da einen Raum zu haben, sich davon zu erzählen und tatsächlich ein Verständnis zu entwickeln und eine eigene Haltung auszubilden, das war das, was ich so faszinierend an diesem Gespräch fand. 

Und faszinierend für mich war auch dass Schüler*innen gesagt haben: Religion ist gemeinschaftsstiftend. Also, ich fühle mich einer Community zugehörig, mit diesen oder jenen Riten, mit den Abläufen, mit den Besonderheiten, die das mit sich bringt. Zum Beispiel, dass in den Familien während des Fastenmonats sehr sensibel miteinander umgegangen wird. Wir alle wissen, dass, wenn man fastet, man vielleicht etwas schneller auf die Palme zu bringen ist, als wenn man gut ausgeruht und satt ist. Das war für mich hochspannend zu sehen. Und ich habe auch gemerkt, wie dann im Gespräch plötzlich die Möglichkeit entsteht, über religiöse, religiöse Symbole, über Riten zu reden, ohne dass es etwas Lehrerhaftes oder was Belehrendes hat, sondern das ist tatsächlich ein Erzählen aus den eigenen Überzeugungen und aus der eigenen Lebenspraxis. 

 

Moderation 

Kerstin Heinemann hat mit ihrer Perspektive bestens auf das Gespräch an der Fritz-Karsen-Schule eingestimmt. Nun also geht es an die Schule zu Menel, Rama, Hani, Mustafa und ihrer Lehrerin Gabi Elverich. 

 

Julia 

Ihr habt schon gesagt, das ist eine Schule mit viel Vielfalt und in diesem Podcast soll es diesmal um Religion und Schule gehen. Ist das für euch ein interessantes Thema? Was ist interessant am Thema Religion an der Schule? 

 

Hani 

Ich finde generell Religion extrem wichtig. Ich glaube, Religion ist etwas Gutes, etwas Friedvolles. Und – genau, da ich selber gläubig bin, finde ich das Thema extrem interessant. Ich interessiere mich auch extrem für andere Religionen, was es dort so gibt, was für Ähnlichkeiten es gibt.  

 

Rama 

Ich habe auch dieselbe Meinung und denke, dass Religion etwas Friedliches ist, und ich interessiere mich auch für andere Religionen, um zu wissen, welche Ähnlichkeiten haben, welche Unterschiedlichkeiten und so. 

 

Julia 

Wie religiös vielfältig ist das Leben hier an der Schule? Die Schüler*innenschaft, Lehrer? Wie sieht es hier aus, mit Religion? 

 

Mustafa 

Also, von meiner Seite muss ich schon sagen, dass ich von Religion in der Schule nicht so oft höre.  

 

Menel 

Ja, in der Grundschule hier gibt es Religionsunterricht, und da redet man offen über verschiedene Religionen und über Christentum vor allem. Ich war ja auch früher in der dritten Klasse hier auf der Schule. Auf jeden Fall ist es in der Oberstufe nicht so, dass man so über die Religionen spricht. Es gibt auch keinen Religionsunterricht, aber jeder ist auch offen für Religion. Es gibt keine Lehrer, die einen dann anders behandeln, weil man ein Muslim ist zum Beispiel. Also, es gibt auf gar keinen Fall so eine Religionsfeindlichkeit, von den Lehrern aus. 

 

Julia 

Und untereinander, unter den Schülerinnen und Schülern ist das Thema, Religion? 

 

Rama 

Ich glaube ja, teilweise, weil andere auch zum Beispiel, die nicht Moslems sind, sind manchmal sehr neugierig und wollen manchmal wissen, warum wir das essen, warum wir zum Beispiel kein Alkohol trinken und so. 

 

Hani 

Genau. Ich glaube, es ist ein extrem wichtiges Thema, was auch untereinander sehr viele interessiert. Wie schon erwähnt sind hier verschiedene Kulturen miteinander. Ich glaube, auch ein häufiges Thema ist – Stichwort Neutralitätsgesetz: dass keine Lehrkräfte zum Beispiel, die ein Kopftuch tragen, hier bei uns in der Schule sind. Und da es halt diese Vielfalt gibt, dann fangen wirklich die Gespräche an: Wie kann man zum Beispiel versuchen, dass vielleicht Lehrkräfte mit Kopftuch hier arbeiten oder anderweitig praktizieren dürfen? Und daher ist Religion und ich glaube sehr viel auch generell über den Islam hier sehr präsent. 

 

Julia 

Also das heißt, im Moment ist Kopftuchverbot für Lehrkräfte, für Lehrerinnen. 

 

Menel 

Soweit ich weiß. 

 

Hani 

Ja genau, das ist ja der Effekt vom Neutralitätsgesetz. Wenn wir es jetzt uns so ansehen. Es ist zwar sehr neutral formuliert worden, aber der Effekt ist, dass Frauen mal wieder, Frauen mit Kopftüchern, aufgrund ihres Kopftuchs diskriminiert werden. 

 

Gabi 

Ausnahme ist die Ausbildungssituation im Referendariat, oder in anderen Ausbildungssituationen im schulischen Rahmen dürfen Frauen mit Kopftuch unterrichten oder ihrer Arbeit nachgehen. Aber ansonsten nur an berufsbildenden Schulen und nicht an normalen weiterführenden Schulen. So ist die Regelung im Moment. Und in Berlin ist ja auch die Situation, dass es gerade umstritten ist, wie mit dieser Regelung weiter umgegangen werden soll. 

 

Julia 

Was denkt ihr dazu? Sollte das geändert werden? 

 

Hani 

Auf jeden Fall. Ich hoffe, dass es jetzt auch mit der neuen Koalition – dass es ermöglicht wird, dass Frauen mit Kopftüchern als Lehrkräfte praktizieren dürfen. 

 

Julia 

Ihr habt gerade gesagt, in der Oberstufe ist kein Religionsunterricht, aber wahrscheinlich Ethik oder so? Oder auch nicht? Nein. Würdet ihr euch wünschen, dass das ein Fach ist, weil ihr sagt, das spielt eine große Rolle im Alltag für euch? 

 

Mustafa 

Also, wenn es ein Fach wäre, wo man über Religion und über Ethik reden würde, ich glaube, dann würde ich da teilnehmen, um mich selber zu verbessern, auch die anderen Mitschüler noch über meine Religion weiterzubilden. 

 

Gabi 

Von der Struktur her: In der Mittelstufe wird ja bei uns Ethik in allen Klassen unterrichtet, und da ist das Thema Religion auch präsent, auch der Vergleich von unterschiedlichen Religionen. Und in der Oberstufe wird Philosophie unterrichtet, und da geht es dann eher um die Frage „Glauben und Wissen“, oder halt sozusagen auf einem anderen Niveau, weniger ganz direkt um Religion und Glauben. Und in der Mittelstufe ist Religionsunterricht ein freiwilliges Angebot. Das wird aber auch nicht viel gewählt, weil wir haben auch sehr viele Schüler und Schülerinnen an der Schule, die nicht religiös sind, die atheistisch sind, und einige christliche Schüler und Schülerinnen. Aber häufig kommen diese zusätzlichen Kurse dann nicht zustande, sondern dann ist, zumindest in der Mittelstufe, der Ethikunterricht der Raum, wo über Religionen gesprochen wird, und über Glauben auch und auch das, was Glauben für die Einzelnen bedeutet. Und da findet dann auch ein Austausch darüber statt. Wir arbeiten teilweise auch mit außerschulischen Kooperationspartner*innen zusammen, wie zum Beispiel den Interreligious Peers oder auch Ufuq und anderen Organisationen, die sich mit diesen Fragen auch im Rahmen von Projekttagen oder so beschäftigen. 

 

Julia 

Ihr habt jetzt ein Projekt gemacht zum Thema Rassismus – da gibt es dann ja auch viel antiislamischen Rassismus. Ist das ein wichtigeres Thema für euch oder würdet ihr euch da in Bezug auf Religion noch mehr Auseinandersetzung wünschen? 

 

Menel 

Meiner Meinung nach sollte es keinen Religionsunterricht in der Oberstufe geben müssen, weil jeder ist ja frei in seiner Religion. Also, man kann sich in seinem Haushalt einer Religion annehmen oder halt von seinem Freundeskreis, was man gut findet, was man halt für eine Religion nachgehen möchte. Aber dass es explizit in der Schule unterrichtet wird, Religion, muss nicht sein. Aber jeder ist ja auch frei. Man kann sich selber informieren, wenn man Interesse an Religion hat. 

 

Hani 

Ich sehe es ein wenig anders. Ich finde – also klar, Religionsunterricht, wie es jetzt ist, wo es sehr viel über Christentum geht – klar. Ich persönlich finde, die Schule ist dafür da, um sich dort weiterzuentwickeln. Ich finde es auch extrem wichtig, dass man verschiedene Religionen sieht, dass man verschiedene kennenlernt. Man sieht dann zum Beispiel Lehrkräfte, die uns dann auch dabei unterstützen, verschiedene Religionen zu sehen, die Kultur dann auch wirklich zu verstehen. Weil ich vermute, viele haben auch leider zu wenig Wissen, zum Beispiel: Was sagt denn wirklich der Islam darüber? Was sagt das Judentum darüber? Und das würde dann, glaube ich, einige Probleme „lösen“, aber noch längst nicht alle. 

 

Julia 

Das heißt, so ein bisschen ist schon das Gefühl da, es gibt nicht genug Wissen über die verschiedenen Religionen. Entstehen daraus Konflikte? Habt ihr Beispiele? Gibt es Konflikte an der Schule aufgrund von Religion? 

 

Mustafa 

Also, ich selbst habe noch nie einen Konflikt gesehen oder erlebt und – die Freundschaften entstehen nicht über Religion, sondern ob die Person sympathisch ist oder ob man mit der Person gut klarkommt. Aber ich glaube nicht, dass Religion damit zu tun hat. 

 

Menel 

Zum Beispiel die Feiertage des Islams werden auch in der Schule berücksichtigt, der Oberstufenleiter wollte auch, dass wir an Bayram dann auch zu Hause bleiben dürfen. Also, wir durften es und uns wurde es nicht verboten oder als Fehltag gerechnet. Wir konnten uns entschuldigen, ohne Probleme. Und das ist halt, was gut in der Schule ist: Man wird auch dafür nicht anders behandelt, wie man eine Religion annimmt. 

 

Julia 

Und dürfen dann alle zu Hause bleiben? Oder nur die muslimischen Schülerinnen und Schüler? 

 

Hani 

Nur die muslimischen Schülerinnen und Schüler. Wobei man auch dort sieht: Klar ist man dort frei, aber man hat dann diesen einen Tag, den man nachholen muss. Wobei man zum Beispiel bei christlichen Feiertagen, da ist es ein kompletter Feiertag, da sind alle zu Hause. 

 

Gabi 

Ich wollte sagen, dass eine Kollegin in diesem Jahr zum ersten Mal mit ihrer Klasse ein gemeinsames Fastenbrechen organisiert hat, hier in der Schule, im achten Jahrgang. Und das ist total gut angekommen – zu merken, mit diesem Fasten und Zuckerfest und so, was ist das eigentlich? Und für die, die das nicht kennen, von zu Hause, da auch so ein bisschen die Barrieren abzubauen oder das einfach ein bisschen gemeinsam zu erleben. Weil ich glaube, Religion wird oft als etwas sehr, sehr Privates erlebt, wo man dann denkt, das ist das, wie du gerade gesagt hast, was zu Hause stattfindet und wo man nicht so genau weiß: Darf man überhaupt in andere Gotteshäuser? Und sich damit beschäftigen, was die anderen glauben, und auch diejenigen, die selber nicht glauben, dass es dann so was ist – „Ich weiß gar nicht, ob ich damit was zu tun haben will“ – Und das ist schon auch ein Ziel von uns, im Ethikunterricht in der Mittelstufe zu versuchen, so ein bisschen diese Hemmungen auch abzubauen und einfach zu versuchen, das ein bisschen kennenzulernen, um sich besser eine Meinung dazu bilden zu können und einfach auch selber für sich herauszufinden: Was spielt Religion in meinem Leben für eine Rolle, für meine Identität, und wie wichtig ist das? Es kann sich auch verändern im Lauf des Lebens, und da hinzugucken, was für eine Rolle das spielt, ob das eine Rolle spielt, was daran interessant ist, was vielleicht mit einer speziellen Religion zu tun haben kann oder mit Glauben insgesamt, und was das auch für eine – ihr habt gesagt, das ist was sehr Friedvolles für euch – was das im eigenen Leben auch für einen bringen kann. 

Aber ich finde es wichtig, weil wir eben auch viele Schüler*innen haben, die nicht glauben, auch eine Akzeptanz dafür zu entwickeln, dass es Menschen gibt, die sich entscheiden, nicht zu glauben, oder die so groß werden, dass sie gar nicht mit Gott und Glauben in Verbindung kommen. 

 

Hani  

Und noch einmal zurück zu Ihrer Frage: Ich glaube, klar gibt es dort Auseinandersetzungen, Konflikte auch unter anderem zwischen Schüler*innen und Lehrkräften, weil es bei manchen Lehrkräften einfach eine Meinungsverschiedenheit gibt. Wie es so ist: Sehr viele Lehrkräfte möchten sich durchsetzen. Es gibt einige, die verstehen das und die gehen auf die Schüler*innen ein und sprechen darüber und sagen: „Okay, wir haben eine Meinungsverschiedenheit“. Aber es gibt immer noch Lehrkräfte, die dieses Machtverhältnis ein wenig ausnutzen, also, die wollen nie, dass ein Schüler oder eine Schülerin ihn oder sie korrigiert. Und das ist problematisch. 

 

Julia 

Hast du da noch mal ein Beispiel für so eine Situation, worum es da geht?

 

Hani 

Es gibt viele, viele Situationen. Es gab eine Auseinandersetzung, sogar im Sportunterricht, wo das dann hieß: Ja, ihr dürft es doch eigentlich nicht im Islam oder ihr dürft es im Islam – und dann wurde von der Person gesagt: „Nein, das ist nicht so, ich habe auch noch mal nachgefragt“ – und dann, ja, dann wurde es von der Lehrkraft sehr abgeblockt. 

 

Gabi 

Ich fand das gerade total interessant, dass du gesagt hast, dass es in den Klassen nicht so eine Rolle spielt, wer wie gläubig ist. Ich nehme das in der Mittelstufe schon so wahr, dass in den Klassen das häufig so ist, dass die muslimischen Schüler*innen oft mehr miteinander zu tun haben oder als Gruppe sind, und es sich nicht so doll mischt. Und das macht mir auch ein bisschen Sorgen. Das finde ich schade. Ich würde es mir wünschen, dass es mehr so ist, wie du das sagst. Und manchmal habe ich da schon das Gefühl, dass – du hast es ja auch gerade gesagt: die kulturellen Verschiedenheiten, der unterschiedliche Alltag, manche Sachen, die mit Essen zu tun haben, die mit Fasten und so zu tun haben, dass das natürlich auch, ja, vielleicht mit dazu beiträgt, welche Familien sich kennen oder wie groß die Hemmungen sind, auch vielleicht mal zu jemandem nach Hause zu gehen oder so. Und ich habe auch den Eindruck, je älter die Schüler und Schülerinnen werden, je weniger ist das wichtig. Aber so in der Mittelstufe nehme ich das schon so wahr, dass das auch so eine – also nicht nur, aber auch – so eine Gruppenteilung ist. 

 

Julia 

Nehmt ihr das auch so wahr, dass es in der Mittelstufe noch mal anders war? 

 

Menel 

Definitiv. Man sah, dass es Gruppen gab, und man andere quasi ausgeschlossen hatte, weil man – nicht direkt wegen der Religion, aber eventuell weil man auch sich mit den einen besser verstanden hatte oder auch die gleichen Meinungen vertreten hatte als andere. Und vielleicht hat es auch was mit der Religion zu tun, weil man sich dachte: Ja, wenn die eine fastet, die andere fastet nicht, dann gehe ich lieber mit der, die fastet, weil die würde dann vor mir nicht essen zum Beispiel, oder so. Also, bestimmt dachte man sich das so. 

 

Mustafa 

Also, wenn wir jetzt über Fastenmonat sprechen wollen: Ich hatte so viele Freunde, die mit mir immer gefastet haben, obwohl sie nicht religiös waren oder nicht zum Islam gehörten. Die haben mit mir gefastet, sie haben mit mir gefeiert, also nach dem Fastenbrechen, und sie haben es auch voll ernst genommen, was ich gemacht habe, und sie haben mich auch unterstützt, obwohl sie sich nicht so mit dem Thema auskannten.  

 

Julia 

Und werdet ihr auch von Lehrerinnen und Lehrern dann als Experten teilweise akzeptiert? Wenn jetzt zum Beispiel Gabi vieles vielleicht nicht weiß, vom Islam, gibt es da eine Neugier und Offenheit und ihr erzählt was? 

 

Mustafa 

Ja, natürlich. Die Lehrer fragen uns: Wie lange musst du fasten? Von wie viel Uhr bis wie viel Uhr dürft ihr nicht essen? Es kommen auch sehr viele Fragen von kleinen Kindern, also kleine Schüler*innen. Die fragen: Dürft ihr nicht mal Kaugummi kauen? Dürft ihr nicht mal trinken? Und da müssen wir alles von ganz am Anfang erklären und zeigen, dass das auch was Wichtiges ist und was Besonderes ist. Dass das eine Sache ist, was nicht so leicht ist. 

 

Julia 

Fällt euch noch was ein, was wichtig wäre zum Thema Religion? Ich habe jetzt den Eindruck, es spielt eher nicht so eine große Rolle für euch im Schulalltag tatsächlich? Oder doch? 

 

Hani 

Also, man sieht ja hier verschiedene Menschen mit verschiedenen Religionen und was er ja schon erwähnt hat: Ich habe auch Freunde, die mir schreiben „Du, in zwei Tagen ist es so weit, und du schaffst das“ und auch mitfasten und mit unterstützen, und aus Respekt auch nicht neben mir essen, wo ich sogar selbst sage, es ist für mich gar kein Problem.  

Und ich finde, dass Religion klar was Privates ist, was für mich sehr, sehr wichtig ist – es ist meine Identität, klar, aber es ist auch – man findet durch Religion auch sehr viele Freunde. Ob es jetzt Menschen sind, die die gleiche Religion haben, die dann mit dir über diese Religion sprechen, oder auch einfach Menschen, die mit dir generell über diese Religion sprechen oder verschiedene Religionen sprechen. Und klar gibt es Lehrkräfte, die sind auch interessiert, die möchten zuhören und unterstützen uns auch extrem. Aber es gibt leider auch Lehrkräfte, die es nicht so sehen. Was ich halt nicht als Problem sehe, um ehrlich zu sein, soweit ich nicht von der Lehrkraft irgendwie angegangen werde, ist es gar kein Problem für mich. Und daher finde ich schon, dass, weil wir so vielfältig hier sind, in dieser Schule, dass Religion auch ein wichtiges Thema ist. 

 

Gabi 

Weil gerade dieses Thema noch mal war „über etwas sprechen“ – wir hatten letztens auch eine Gesprächsrunde am Ende des Ramadan, das fand ich auch ganz spannend, wo wir dann einige gefragt haben: Was nervt euch denn eigentlich am meisten, wenn ihr fastet? Und da kam dann auch: „Ja, wenn dann jemand mir das Wasser vor die Nase hält und sagt: Willst du nicht doch trinken“ – also so kleine Geschichten, die, glaube ich, für alle das ein bisschen greifbarer gemacht haben, was das denn eigentlich bedeutet.  

Und ich glaube, dass dieser Austausch, also wirklich darüber erzählen und sprechen – ich habe zum Beispiel in diesem Jahr auch noch mal gelernt, das war mir nicht so klar, dass die Stimmung in den Familien eine ganz andere ist. Und dass man besonders vorsichtig miteinander umgeht, besonders respektvoll, auch gerade mit den älteren Menschen, dass die Familie aus dem Ausland teilweise kommt und dass das einfach auch eine wichtige Familienzeit ist. Und das war ganz spannend, wie einige davon erzählt haben. Warum das so eine besondere Zeit im Jahr ist. Und ich kenne das auch ein bisschen selber von Reisen in muslimischen Ländern im Ramadan, man sitzt gemeinsam im Kleinbus und es ist Fastenbrechen und dann wird erst mal Musik gemacht und die Datteln gegessen. Alle machen mit, da wird auch nicht gefragt, ob man – und das fand ich auch immer total toll, so was zu erleben, weil ich das einen sehr, sehr offenen, einladenden Umgang finde, mit Religion, wo man sozusagen mitmachen und sich beteiligen kann. Und das ist ein schönes Erleben, was auch Gemeinsamkeit schaffen kann, egal ob man jetzt glaubt oder nicht.  

 

Julia 

Fehlt noch irgendwas? Fällt euch noch was ein? Wenn ihr jetzt sagt: an Pädagoginnen, Pädagogen gerichtet, die unterrichten – du hast jetzt schon ein bisschen gesagt mehr Akzeptanz… Noch ganz andere konkrete Tipps für Lehrkräfte, die total unsicher sind, gerade in Bezug auf Islam, in ihrer Schülerschaft. Was sollen sie tun? 

 

Hani 

Also, ich würde mir wünschen, dass Lehrkräfte endlich verstehen, dass Religion eigentlich extrem friedlich ist, dass Religion auch von sehr vielen Terrororganisationen oder Terrorgruppen ausgenutzt wird oder werden. Wo man aber als Lehrkraft oder als Pädagoge oder generell als Mensch, der diese Möglichkeit hat, zu recherchieren, „Was sagt der Islam oder was sagen die anderen Religionen?“, dass man dort auch in der Lage ist zu verstehen: Okay, der Islam ist nichts Schlimmes, der Islam ist nichts Brutales und ein Kopftuch ist nicht immer etwas extrem Negatives. Dass das auch bei den Menschen ankommt und vor allem bei den Lehrkräften, damit jeder das versteht. 

 

Menel 

Ja, Hani hat ja alles schon gesagt. Ja, also die Vorurteile – es gibt sehr viele Vorurteile gegenüber Musliminnen. Ja, Musliminnen und Muslims, auch von den Lehrerseiten aus. Es ist einfach nur gut, wenn sie sich auch informieren würden, bevor sie den Medien zum Beispiel glauben. Und die Medien sagen ja auch oftmals falsche Sachen über den Islam, und da ist auch gut, wenn man hinterfragt und nicht alles annimmt. 

 

Gabi 

Beispiele? Das würde mich interessieren, weil ich das gerade schon im Kopf hatte, diese Frage: Was sind denn eigentlich die Vorurteile, die euch am meisten nerven? Oder die Dinge, die oder wo ihr sagt: Das liest man in der Zeitung und denkt „Oh Gott, wie kommen die da drauf?“ 

 

Menel 

Dass zum Beispiel aus dem Islam Terror kommt, vor allem, wenn man den Palästina-Israel-Konflikt ansieht, dann – es ist halt so, dass es oftmals einseitig geschildert wird und nicht auch seitens der palästinensischen Menschen, weil sie eben auch Muslime sind. Und man verbindet halt diesen Konflikt mit dem Glauben, wobei der Konflikt eigentlich ein – so ein Konflikt nicht des Glaubens ist, weil es gibt sehr viele Juden und Muslime, die sich verstehen. So kann es kein Glaubenskonflikt zwischen den beiden Religionen sein. Aber das wird so in den Medien hervorgebracht, und das ist falsch. Man sollte wirklich gucken, wie ist der Konflikt entstanden, bevor man wirklich auf diese eine Religion geht. Und dann die Fehler der einen Religion sehen möchte, aber an sich nicht den Konflikt näher betrachten möchte. 

 

Hani 

Also, erst mal auch generell das Framing von Begriffen, was dann halt sehr, sehr auf eine Richtung lenkt. Und zum Beispiel es wird sehr oft dargestellt, dass eine Frau mit Kopftuch entweder unter Zwang ihr Kopftuch anziehen muss – was bestimmt leider Gottes irgendwo so ist, aber dass man es dann so pauschalisiert und sagt, alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, wegen dem Islam, sind unterdrückt. Wobei ich mit sehr vielen, die ein Kopftuch tragen, darüber gesprochen hab, die dann sagen: Klar, am Anfang hat man es vielleicht durch den Islam kennengelernt und gesehen, aber im Endeffekt ist es eine Identität von denen, und das ist so, wie wenn man mit Hose und Schuhe und alles rausgeht, es gehört ein Kopftuch zu denen, und man kann sich ohne ein Kopftuch das Leben gar nicht vorstellen. Und dass es dort dann auch klar ist: Okay, ein Kopftuch ist nichts Schlimmes, es ist kein radikales Symbol. Es ist eigentlich eine Identität. 

 

Julia 

Du hattest auch noch ein Beispiel. 

 

Mustafa 

Ich wollte das gleiche Beispiel mit dem Terror sagen. Was ich in Medien nicht so ganz verstehen kann: Wenn in Deutschland oder irgendwo anders Terror passiert, wenn es von der islamischen Seite ist, dann nennt man die Religion, dass es von einem Muslim gemacht ist. Aber wenn es von einer Person kommt, der eigentlich gar nicht an Religion glaubt oder eine andere Religion als Islam hat, dann wird nicht gesagt, dass es von einem Menschen ist, der diese Religion vertritt. 

 

Julia 

Und Gabi, du bist jetzt schon ein paar Jahre hier an der Schule. Hast du viel gelernt von den Schülerinnen und Schülern in Bezug auf Islam? Religion? 

 

Gabi 

Auf jeden Fall. Also, ich habe ja so auch meine eigene Geschichte mit Religion, dass ich aus einer sehr katholischen Gegend komme und früher sehr gläubig war, dann aus der Kirche ausgetreten bin und heute nicht mehr gläubig bin. Und trotzdem ist es interessant – wir beschäftigen uns im Ethikunterricht viel mit Identität und damit, was bedeutet Religion, was bedeuten aber auch andere – was bedeutet Geschlecht, was bedeutet – was auch immer für Menschen und wie verändert sich das auch und das ist natürlich immer total spannend. Und ich finde auch interessant, gerade in den Klassen, die ich geleitet habe, auch wirklich mitzukriegen – eben, mich wundert das, dass es doch viele junge Menschen gibt, die sehr gläubig sind und wo man auch merkt, es gibt denen sehr viel.  

Wenn ich dann lese, was so aufgeschrieben wird, im Ethikunterricht, dann finde ich das total spannend und würde mir wünschen, dass das, was ihr teilweise auch schon so erlebt, dass das auch überall hier in der Schule oder auch in der Gesellschaft mehr so ist. Dass man sich damit in Ruhe lassen kann, dass sich das auch verändern darf und dass jeder und jede da einen eigenen Weg finden darf. Wir haben auch in der Klasse jetzt darüber gesprochen, auch im Zusammenhang mit Fasten – manche fasten sehr streng, manche fasten nicht. Aber man kann auch muslimisch sein, ohne zu fasten oder ohne so streng zu fasten. Und dass es in jeder Religion verschiedene Wege gibt, sie zu leben, oder auch als nichtreligiöse Person, dass es ganz verschiedene Umgangsweisen gibt. Und dass Identität auch immer was ist, was sich entwickelt und verändert, und dass es total spannend ist, wenn man einfach viel ins Gespräch kommt.  

Und da ist, finde ich, Religion auch ein wichtiges und zentrales Thema, aber immer auch im Zusammenhang mit den anderen Themen. Und gerade auch die Fragen von Geschlechterverhältnissen, wie das ja auch in den Religionen teilweise unterschiedlich gelebt wird, und – ich bin zum Beispiel unter anderem aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil Frauen da keine Priester werden dürfen und weil es einen Papst gibt, der eine bestimmte Politik fährt, die sehr antiemanzipatorisch ist oder so, und auch dieses Spannungsfeld gibt es ja in Religionen. Das, finde ich, darf man auch nicht vergessen. Aber trotzdem ist es ja was, wo viele und auch viele junge Menschen was draus ziehen und da einen Weg drin finden. Und das, finde ich, ist interessant, das zu begleiten oder auch mitzukriegen und sich drüber auszutauschen, vor allem. Also schon auch, dass es den Raum in der Schule gibt. Ich selber war auf einem katholischen Gymnasium, da war Religion sehr präsent und hier – ist es im Alltag eigentlich wenig präsent und trotzdem ist es ein Thema für viele. Und deshalb finde ich es gut, wenn wir Räume schaffen, darüber zu sprechen und uns auszutauschen. 

 

Moderation 

Räume für Austausch schaffen – das ist sicherlich für jede jugendkulturelle Arbeit und darüber hinaus sinnvoll. Als ein solcher Raum ist auch dieser Podcast gedacht: In sieben Folgen haben wir die fünf Schwerpunktthemen des RISE-Projekts ergründet und ganz grundsätzlich über Präventionskonzepte und über den Begriff des Narrativs gesprochen. Ich durfte junge Filmemacherinnen treffen, mit Influencern und Professor*innen sprechen – und mit vielen Schülerinnen und Schülern. Ich habe dabei selbst sehr viel gelernt, vor allem von den Schüler*innen. 

Wie immer gilt: Wer das Thema dieser oder einer anderen Folge vertiefen möchte, findet zahlreiche Hintergrundinformationen, Kurzfilme und pädagogisches Material auf der Website von RISE, zu finden unter rise-jugendkultur.de. 

Das also war unsere letzte Podcast-Folge. Mein Name ist Julia Tieke, und ich verabschiede mich. 

veröffentlicht am xx.xx.2022