Das Material ist in Kooperation mit zwischentoene.info entstanden. Die Webplattform zwischentoene.info bietet Anregungen, wie die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Diversität auch im Unterricht gelingen kann. Die Unterrichtsmodule für die Fächer Politik, Geschichte, Geographie und Ethik/Religion der Sekundarstufen I und II widmen sich Fragen, die in Schulbüchern oft zu kurz kommen. Dabei geht es nicht vorrangig darum, zusätzliche Informationen über „neue“ Themen anzubieten. Vielmehr bieten die Unterrichtsmodule „neue“ Perspektiven auf Themen, die in der (Post-)Migrationsgesellschaft Deutschland zwar allgegenwärtig sind, aber im Unterricht selten behandelt werden.

Autorin: Svenja Garbade (Uni Hildesheim)

Redaktion: Dr. Imke Rath, Carolin Bätge

Fachliche Beratung: Prof. Dr. Riem Spielhaus

Gutachter: Prof. Dr. Heidemarie Winkel

„Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung.Unterschiedlichkeit verstehen, Ungleichheit vermeiden“ von Leibniz-GEI/zwischentoene.info ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 Int. Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/, April 2022.

Fach; Schulform; Klassenstufe

Sekundarschule, Gesamtschule, Gymnasium, Realschule, Hauptschule;

Gesellschaftslehre, Ethik, Gemeinschaftskunde, 5. – 6. Klassenstufe

Thema

Im Jugendalter spielen die Geschlechtsidentität wie auch erste sexuelle Kontakte eine große Rolle. Durch die Bereitstellung aktuellen Wissens kann die Schule Jugendliche in ihrer Identitätsfindung unterstützen. Dieses Unterrichtsmaterial gibt Lehrkräften ein Instrumentarium an die Hand, mit Hilfe dessen sie mit Schüler*innen (S*S) über Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung in einer lebensnahen Art und Weise sprechen können. Das Material zielt auf eine Verringerung von sozialer Ungleichheit und eine Enttabuisierung von Themen, die bei Jugendlichen unbearbeitet zu viel Leid führen können, ab. Zugleich bemüht sich die Unterrichtseinheit Lehrkräften einen Bezug zu dem Thema und Einblicke in weiterführende Diskussionen zu geben.

Lehrplanbezug

Leben in und Merkmale einer pluralistischen Gesellschaft, Pluralisierung von Lebensentwürfen, sexuelle Vielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft, Rollenbilder und Rollenkonzepte innerhalb der Gesellschaft.

Erwartete Kompetenzen

Familienmodelle akzeptieren, Regeln des Zusammenlebens kennen, Bewusstsein über den Wandlungsprozess von gesellschaftlichen Regeln, Motive, Bedürfnisse und Interessen verschiedener Gruppen nachvollziehen, veränderte Lebenswirklichkeiten zwischen Frauen*[1] und Männern* sowie LGBTQIA+-Personen, Rollenzuweisungen verstehen und einordnen, Perspektiven unterschiedlicher Personengruppen können eingenommen und das eigene Handeln darauf abgestimmt werden, Gerechtigkeitsempfinden wird gestärkt.

Didaktische Perspektive

Dieses Unterrichtskonzept bietet den S*S eine mehrperspektivische Sicht auf das Thema Geschlecht und sexuelle Orientierung sowie soziale Ungleichheit an. Hierzu knüpft die Unterrichtseinheit an den biografischen Vorerfahrungen der S*S an und gibt ihnen die Möglichkeit, eine Problemorientierung sowie kritisches Denken im gesellschaftlichen Bezug auszubilden. Zudem werden die Entwicklung analytischer Kompetenzen ebenso wie der Beurteilungskompetenz hinsichtlich Diskriminierungen mit Bezug zu sexueller Identität und Geschlecht gefördert. Mittels des Themas der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität werden Wertvorstellungen mit Blick auf Menschen- und Sozialrechte als übergeordnete Werteschemata ausgebildet und damit die Anerkennung diverser Lebensformen und -praxen unterstützt.

Darüber hinaus stützt der Zugang zur gesellschaftlichen Problematisierung die Thematisierung von Sinnfragen und die Ausbildung einer Ich-Identität in der Adoleszenz. Der didaktische Zugang verbindet die informativen Aspekte des Themengebiets, bietet biografische und lebensweltliche Anschlüsse sowie die Reflexion und kritisches Hinterfragen von mehrheitsgesellschaftlichen Normen. Die Zusammenhänge zwischen Privatheit und Öffentlichkeit lassen sich so bereits in frühen Klassenstufen thematisieren.

Durch die Befassung in diesem Unterrichtsmaterial werden Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung gegenüber der eigenen Lebensführung gestärkt.

[1] In diesem Unterrichtskonzept wird das Gender-Sternchen nicht nur für eine inklusive gendergerechte Schreibweise verwendet, sondern auch um auszudrücken, dass es unterschiedliche Typen von Frauen* und Männern* gibt, die auch andere Persönlichkeitseigenschaften und Bedürfnisse aufweisen können als es ihnen stereotyp zugeschrieben wird.

Worum geht es?

Dieses Unterrichtskonzept klärt anhand der Themen von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung nicht nur über Informationen auf, sondern appelliert auch an die Solidarität von Schüler*innen (S*S), gegen Diskriminierung vorzugehen.

In unserer Gesellschaft werden Geschlechterstereotype und die Erwartungen an Verhalten, Aussehen und Biografien sozialisatorisch geprägt. Dies geschieht durch die Herkunftsfamilie und die dort vorgelebten Rollenvorbilder, durch Peers und deren Erwartungen wie auch durch digitale Medien und soziale Netzwerke. Diesen Anforderungen, die oft widersprüchlich sind, entgegen zu treten ist für junge Menschen zu Beginn der Pubertät eine große Herausforderung.

Die S*S leben in heterogenen Familienformen, erleben unterschiedliche Wirklichkeiten und sind von verschiedenen Lebensumständen umgeben. In einem geschlechterreflexiven Unterricht können S*S über Umgangsweisen nachdenken und diskutieren, es kann aber auch Raum im Unterricht für den Austausch über erlebte Stereotypisierungen, Rollenerwartungen wie auch Normierungen bereitgestellt werden. So können die S*S auch Rückschlüsse für die eigene Identität ziehen.

In Bezug auf Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung kann ein solcher thematischer Rahmen dazu führen, dass Wissen die Entwicklung oder Festsetzung von Vorurteilen über Unterschiede z.B. in der sexuellen Orientierung verhindert und zeitgleich den Weg für einen diskursiven Umgang mit ihnen bereitet.

Die erste Stunde dient dazu, einen allgemeinen Überblick zu erlangen. Hierzu werden eine Übung, ein Video und ein Arbeitsblatt mit einem Sachtext eingesetzt. Im Gespräch mit den S*S sollen eigene Annahmen und Erfahrungen überprüft werden und sich eine Diskusion darüber entfalten. In der zweiten Unterrichtsstunde wird mit einem Video, einer Infografik und Informationskarten gearbeitet, um die Fachtermini aus den Bereichen geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung zu erarbeiten und aufzuzeigen, dass diese oft mit abwertenden Bedeutungen belegt sind.

In Stunde drei werden fiktive Geschichten von Menschen, mit denen sich die S*S identifizieren können, genutzt. Dies soll den Blickwinkel um weitere Perspektiven erweitern und einen empathischen Zugang zum Thema der sozialen Ungleichheit ermöglichen. In einer Gruppenarbeit bringen die S*S ihr Verständnis der in den Geschichten geschilderten Situationen im Rahmen des Entwurfes von Plakaten ein und können Gelerntes bereits anwenden.

In der vierten Stunde werden die S*S darin geschult, Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln. Sie analysieren die Gruppenarbeitsplakate und die Geschichten aus der vorangegangenen Stunde. Daraufhin überlegen sie, wie der Person zu helfen wäre. Die Möglichkeiten werden hinterher gemeinsam besprochen und allgemeine Regeln im Umgang mit Ungleichheiten entwickelt. Diese dienen den S*S als methodische Leitlinie für die eigenen Lebenssituationen, ermöglichen ihnen aber auch ein Eingreifen bei beobachteten Diskriminierungen. Die Materialien 10 und 11 dienen der Lehrkraft als Hintergrundwissen.

Weiterführende Literatur
  • Weiterführende praktische Literatur einklappen

    Becker, Linda, Julian Wenzel und Birgit Jansen. Was ist eigentlich dieses LBGTIQ*? Dein Begleiter in die Welt von Gender und Diversität. Hamburg: migo im Verlag Friedrich Oetinger, 2021.

    Focks, Petra. Starke Mädchen, starke Jungen: Genderbewusste Pädagogik in der Kita, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 2016.

  • Weiterführende theoretische Literatur einklappen

    Berger, Peter und Thomas Luckmann. Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie. Franfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2013.

    Busche, Mart, Laura Maikowski und Ines Pohlkamp. (2010) Feministische Mädchenarbeit weiterdenken: Zur Aktualität einer bildungspolitischen Praxis. S.I., Bielefeld: transcript Verlag, 2010.

    Chwalek, Dorothea, Miguel Diaz, Susann Fegter und Ulrike Graff. Jungen-Pädagogik: Praxis und Theorie von Genderpädagogik, Wiesbaden: Springer VS, 2013.

    Czollek, Leah Carola, Gudrun Perko und Heike Weinbach. Lehrbuch Gender und Queer: Grundlagen, Methoden und Praxisfelder. Weinheim, München, 2009.

    Fenstermaker, Sarah und Candace West. Doing Gender, Doing Difference: Inequality, Power, and Institutional Change, New York: Routledge, 2002.

    Gildemeister, Regine und Angelika Wetterer. „Wie Geschlechter gemacht werden: Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung, in: TraditionenBrüche: Entwicklung feministischer Theorie, Gudrun-Axeli Knapp und Angelika Wetterer (Hg.), Freiburg im Breisgau: Kore Verlag, 1992.

    Goffman, Erving. “The Arrangement between the Sexes”, in: Theory and Society 4, 3 (1977), 301–331.

    Goffman, Erving. Interaktion und Geschlecht, Frankfurt am Mainn: Campus Studium, 1994.

    Hagemann, Karen und Jean H. Quataert (Hg.). Geschichte und Geschlechter: Revisionen der neueren deutschen Geschichte, Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2008.

    Hark, Sabine (Hg.). Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie. Wiesbaden: VS Verlag, 2007.

    Paseka, Angelika. „Geschlecht lernen rekonstruieren – dekonstruieren – konstruieren: Einige Anregungen für eine geschlechtssensible Pädagogik und Didaktik“, in: Geschlecht, Bildung und Kunst. Chancengleichheit in Unterricht und Schule, Sabine Hark (Hg.), Wiesbaden: VS Verlag, 2009, 15–39.

    Walgenbach, Katharina. Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft. Opladen: Verlag Barbara Budrich, 2017.

    Wetterer, Angelika. „Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen der Zweigeschlechtlichkeit“, in: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Ruth Becker und Beate Kortendiek (Hg.), Wiesbaden: VS Verlag, 2008, 126–136.

    Winker, Gabriele und Nina Degele. Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript Verlag, 2009.

  • Weiterführende Internetlinks einklappen
Feedback Modul

Das Feedback Modul bietet Anregungen zu Reflexions- und Feedbackmethoden. Es ist thematisch nicht an das Materialpaket gebunden und kann individuell angepasst oder erweitert werden. Es kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Für positive oder negative Kritik sowie Hinweise und Anregungen für neue Themen und Modulideen können Sie sich gern auch unter: zwischentoene@leibniz-gei.de  melden.