Liebe, Sexualität und Geschlecht spielen im Netz und in sozialen Medien eine wichtige Rolle, besonders bei Jugendlichen, für die das Aushandeln einer eigenen geschlechtlichen Identität im Zuge ihrer Persönlichkeitsentwicklung immer relevanter wird. In der digitalen Welt treffen Heranwachsende auf eine breite Palette an Positionen, die sie als Maßstab für eigene Haltungen und Vorstellungen heranziehen können.
Betrachtet man die Pole der medialen Angebote zu Liebe, Sexualität und Geschlecht, gibt es einerseits Inhalte, die die Vielfältigkeit von Geschlecht und sexueller Orientierung sowie ein liberales Miteinander betonen. Andererseits können Suchende aber auch auf Formate treffen, die andersartige Geschlechts- und Sexualitätszugehörigkeiten abwerten und ein traditionelles Geschlechterbild propagieren. Das sind häufig Inhalte aus dem rechtsextremen und islamistischen Milieu. Diese Inhalte können Anknüpfungspunkte für diejenigen jungen Menschen bieten, die ein Bedürfnis nach einer klaren Auslegung von Geschlechterrollen im Zuge ihrer Identitätsentwicklung haben. Problematisch wird es, wenn hierbei plurale Geschlechtsentwürfe herabgesetzt werden und ihren Anhänger*innen gesellschaftliche Teilhabe verwehrt werden soll.
„Heldinnen des Alltags“
– Geschlechterstereotype in islamistischen Angeboten
So bedienen etwa islamistische Angebote den Bedarf an Rollenklarheit, indem sie ein Geschlechterverständnis propagieren, in dem die Aufgaben von Mann und Frau streng verteilt sind. In islamistischen Narrativen nimmt die Frau die Rolle der Hausfrau und Mutter ein und erfährt hierdurch Anerkennung durch die Familie und die Gesellschaft. Dabei wird die Frau in ihrer Rolle als fürsorgliche Hausfrau nicht als belangloser Teil eines Haushalts abgewertet, vielmehr erfährt sie vor allem Anerkennung als eine „Heldin des Alltags“. Auf diese Weise wird die patriarchalische Auslegung von Geschlechterrollen in den sozialen Netzwerken für Jugendliche attraktiv gemacht (siehe Abbildung 1).
Im Gegensatz dazu wird der Mann vor allem als Ernährer und Versorger der Familie dargestellt. Stark und mutig soll er sein. Es gehöre zur männlichen „Pflicht, seine Frau und seine Kinder zu beschützen“, so der Facebook-Account „Islamische Fakten“. Tue er dies nicht, so habe er „niemals das Recht dazu, sich als ein ‚Mann‘ zu bezeichnen“ (siehe Abbildung 2). Wer hinter „Islamische Fakten“ steht, ist unklar. Aus der Account-Information geht jedoch hervor, dass die Seite es sich zur Aufgabe gemacht hat, „Menschen über den Islam aufzuklären“. Der „Aufklärung von Missverständnissen in Bezug auf den Islam“ werde dabei „besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da die gegenwärtige Situation dies erfordert.“ Im Zentrum stehe dabei, ein „möglichst authentisches Bild des Islam zu vermitteln.“ (Quelle: https://www.facebook.com/pg/islamischefaktenoffiziell/about/?ref=page_internal)
Die Darstellung des Islam auf dieser Facebook-Seite vermittelt ein eindeutiges und vermeintlich verbindliches Islamverständnis, was für islamistische Strömungen charakteristisch ist. Individuelle Zugänge und Umgangsweisen mit der Religion sind dabei ausgeschlossen. In diesen Medien wird vielfach mit Memes gearbeitet, deren Botschaften teilweise den Werten von Gleichberechtigung, Chancengleichheit und individueller Selbstbestimmung entgegenstehen. Dabei werden sexuelle Orientierungen, die diesem Islamverständnis widersprechen, aus religiösen Gründen als unnatürlich und „Sünde“ abgewertet (siehe Abbildung 3).
„Don’t like Femen“ – Rechtsextreme Geschlechtervorstellungen
Solche traditionalistischen Denkhaltungen finden sich jedoch nicht nur in islamistischen Ideologien. Auch christlich-fundamentalistische und rechtsextreme Strömungen halten an entsprechenden Vorstellungen fest. Deutlich wird dies z.B. bei der rechtsextremen Facebook-Gruppe „Just Nationalist Girls“. Auch die Betreiber*innen dieser Seite arbeiten hauptsächlich mit Memes. Auf ihnen sind vor allem junge Frauen in völkisch anmutenden Settings zu sehen (siehe Abbildung 4). Heimat und Tradition sowie die Aufrechterhaltung einer geschlossenen „europäischen Kultur“ bei gleichzeitiger Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen anderer Herkunft werden hier propagiert.
Frauen kommt dabei, ähnlich den islamistischen Narrativen, eine vor allem haushalts- und familienbezogene Rolle zu. Moderne Ansätze werden abgelehnt, feministische Denkweisen gelten als verpönt (siehe Abbildung 5).
Gegenläufige Beispiele:
Diversität statt Eintönigkeit
Neben diesen pluralitätsverneinenden Angeboten gibt es im Netz auch Formate, die zeigen, dass es zunehmend mehr Möglichkeiten gibt, offen über Sexualität zu sprechen – und dass diese Möglichkeiten auch genutzt werden. Ein Beispiel bietet der Stuttgarter Kommunikationsdesigner Rivan Cavus. In einem Fotoband bildet er muslimische oder als muslimisch wahrgenommene Schwule, Lesben, Bisexuelle oder Transsexuelle ab. Auf diese Weise macht er queer-muslimische Identitäten sichtbar und auf Mehrfachdiskriminierungen aufmerksam.
Ein weiteres Beispiel ist der YouTube-Kanal „OKAY“, auf dem die lesbische Moderatorin Annika Geschichten und Fragen rund um das Thema Gender und Sexualität behandelt (siehe Abbildung 6). Das „LGBTQ+ Format“, wie es in der Kanalbeschreibung steht, versucht, „Fragezeichen über den Köpfen verschwinden zu lassen“, und bietet Informationen, die auf humorvolle und teils ironische Weise verpackt sind. So spielt sie in ihrem Video „LESBEN erkennen! | How to herausfinden ob sie lesbisch ist“ zunächst mit Geschlechterklischees, spricht dann jedoch am Ende im ernsthaften Ton von ihren eigenen Erfahrungen beim Kennenlernen anderer Frauen. Selbstbewusst und offen erzählt sie von Hürden und Missverständnissen, die dabei entstehen können, und bietet so Orientierungs- und Anknüpfungspunkte für Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer eigenen sexuellen Orientierung.
veröffentlicht am 07.02.2020