JINGLE RISE
Moderation:
Willkommen zum Podcast des RISE-Projekts.
Wenn über Radikalisierung und Polarisierung gesprochen wird, geht es häufig auch um soziale Medien. Dann wird diskutiert, inwiefern auf den Plattformen radikale Kräfte mobilisieren und wie Fake News und extremistische Inhalte verbreitet werden. Soziale Medien sind aber auch Räume für Austausch und Kreativität. Ein Beispiel dafür ist TikTok, wo junge Menschen Musikschnipsel und Videos immer wieder neu kombinieren und damit ganz verschiedene, auch gesellschaftskritische Themen bearbeiten.
Soziale Medien sind also durchaus ambivalent: zurecht gibt es Kritik an ihnen, gleichzeitig findet auf sozialen Medien aber auch Gesellschaftskritik statt, und über Plattformen wie Twitter, Instagram, YouTube oder TikTok wird gesellschaftliche Pluralität sichtbar. Die Plattformen werden auch für Projekte der Medienpädagogik und politischen Bildungsarbeit zunehmend wichtig. Sie erhoffen sich, hier ihre Zielgruppe von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen besser mit ihren Inhalten zu erreichen.
Genau hier steigen wir mit unserem Podcast ein. Mein Name ist Julia Tieke, und ich habe mich in einer Videokonferenz mit drei Experten getroffen, die sich beruflich mit sozialen Medien als Plattformen für Bildungsarbeit beschäftigen: Fiete Aleksander und Pajam Masoumi und Valentin Dander.
Im Gespräch mit ihnen geht es also gleich um das Verhältnis von Gesellschaftskritik und sozialen Medien. Wir fragen: Wie äußern sich gesellschaftskritische Stimmen auf den unterschiedlichen Social-Media-Plattformen? Welche Kritik gibt es an sozialen Medien? Wie ist politische Bildung und Medienpädagogik bspw. auf Instagram möglich? Inwiefern fördert eine Plattform wie TikTok Kreativität? Und wie antworten Medienpädagogik und politische Bildung auf die jüngsten medialen Entwicklungen?
Die drei Gäste stellen sich gleich selbst vor, und dann geht es direkt in das Gespräch.
Fiete:
Hallo, mein Name ist Fiete Aleksander. Ich bin studierter Sozialpädagoge und mittlerweile auch Content-Creator. Ich habe schon während meines Studiums der Sozialpädagogik einen YouTube-Kanal gegründet, damals 2015, den Videokanal Datteltäter, den ich bis 2020 mitgemacht habe. Da ging es um gesellschaftskritische Beiträge, satirische Beiträge aus Sicht der muslimischen Community auf Themen rund um Islam, muslimische Lebensrealität. Und mittlerweile arbeite ich als Sozialpädagoge bei der Stiftung SPI und betreue dort eine Jugendredaktion mit dem Namen „jung genug“. Ich habe dort ein Team aus fünf zwischen 18- und 24-Jährigen, die Themen machen rund um Jugend und Politik und die ein bisschen so vermitteln wollen zwischen der jungen Perspektive auf politische Ereignisse und dem, was so von der doch eher älteren, Politik machenden Generation so getrieben wird.
Und nebenbei bin ich auch noch weiterhin Content-Creator, habe meinen eigenen TikTok-Kanal fiete_boi und meinen Instagram-Kanal fiete_der_boi. Den Namen Boy habe ich mir nicht selbst gegeben. Das hat sich meine Frau irgendwann mal ausgedacht und das ist bei ihrem Instagram-Kanal so ein kleiner Selbstläufer geworden. Da habe ich mir dann gedacht: Komm, das übernimmst du mal auch.
Julia:
Kannst du noch kurz sagen, welche Inhalte du als fiete_boi dort transportierst?
Fiete:
Ja, bei fiete_boi thematisiere ich mein Leben als deutscher muslimischer Konvertit und versuch dort ein bisschen aus meiner Lebensrealität zu erzählen. Aber gleichzeitig natürlich auch Themen anzusprechen, die mir, die mir wichtig sind. Also, versuche dort auch gesellschaftskritische Beiträge einzustreuen, und alles, was sich so um Themen wie Rassismus dreht oder Diversität, Extremismusprävention – gibt eine große Bandbreite.
Julia:
Okay. Super, danke. Pajam?
Pajam:
Ja, gerne. Tja, ich bin Pajam Masoumi und Teil des selbst organisierten, queeren und postmigrantischen Kollektivs erklaermirmal. Damit finden wir hauptsächlich auf Instagram statt. Dazu arbeite ich auch noch selbstständig in der politischen Bildungsarbeit, hauptsächlich für junge Erwachsene und Erwachsene, also weniger in Schulen oder mit Jugendlichen. Aber auch zum Teil. Ja, und da bin ich in verschiedene Projekte involviert, bin unter anderem aber auch kuratorisch tätig in verschiedenen Theatern und da so an der Schnittstelle zu Bildungsarbeit mit den Schwerpunkten auf Rassismuskritik und mental health.
Julia:
Wir kommen nachher dann auch noch näher auf die Inhalte zu sprechen und die Gruppe – Valentin, der dritte Gast in der Runde.
Valentin:
Ja. Vielen Dank für die Einladung. Valentin Dander, das bin ich. Ich bin Erziehungswissenschaftler, Medienpädagoge. Da bin ich an der Fachhochschule Clara Hoffbauer, Potsdam, das ist so eine kleine private Fachhochschule mit dualen Studiengängen und einen davon leite ich, der heißt Medienbildung und pädagogische Medienarbeit. Und in dem Zusammenhang habe ich eher akademisch mit diesen Themen zu tun, Social Media und alles, was medienpädagogisch da relevant ist, also coole kreative Nutzung und alle problematischen Aspekte.
Ich bin kurz davor, 37 zu werden, hänge also von der Generation her so dazwischen und merke aber natürlich auch schon, so sehr man sich irgendwie noch mit Heranwachsenden identifiziert oder irgendwie versucht, mediennutzungsmäßig jung zu bleiben. Die Generationen wachsen sich sehr schnell raus. Und klar, ich bin irgendwie auf Twitter „aktiv“, aber bei Instagram und TikTok – das betrachte ich analytisch. Da bin ich sozusagen weit weg von meiner eigenen Lebenswelt, sodass … genau, ich betrachte das mit Interesse, mit Wohlwollen und habe auch große Freude daran, einzelne Dinge anzugucken. Aber es ist eben nicht mehr mein Alltag. Hilft vielleicht auch im Umgang mit den Studierenden, weil dann die eben viel stärker ihre Expertise mit einbringen können. Und die nehme ich als solche auf jeden Fall ernst. Und gleichzeitig merken die auch schon wieder – die sind teilweise auch über 30, aber die meisten irgendwie so um die 20, Anfang 20 – die Kids, mit denen sie zu tun haben, in den Jugendzentren oder Kinder-Clubs oder wie auch immer, die machen auch schon wieder ganz andere Sachen und dann sind sie die Alten. Es ist ganz witzig wie dieses … dass Jung das neue Alt wird und so diese Mediengenerationen da reinspielen. Und in dem bin ich eben auch so mittendrin zwischen den Stühlen verortet.
Julia:
Vielen Dank. Ich hätte genau das nochmal nachgefragt, inwiefern das für dich eine eigene Nutzung ist oder tatsächlich eher du als Experte guckst. Und da du dich hier als 37-jährig geoutet hast, kann ich sagen, ich bin noch mal zehn Jahre älter und ich fand es gerade interessant. Auch als Fiete … du hast erwähnt, so diese Vermittlung zwischen dem Politikverständnis vielleicht von älteren Generationen und Social Media und wie man da irgendwie vermittelt. Und vielleicht ist es dann eben auch typisch, sozusagen aus einer doch älteren Generation heraus mit einer Frage hier im Podcast, dann inhaltlich weiter einzusteigen nach dem Rezo-Video, weil dieses Video das war … wo vor ungefähr drei Jahren plötzlich klar wurde: Mensch, da ist irgendwas auf diesen ganzen Kanälen im Gange, das kriegen wir gar nicht so sehr mit und es hat doch einen Rieseneinfluss. Also dieses Video „Die Zerstörung der CDU“ hat ja wirklich Millionen von Hits und war in den Klassenzimmern, war in den 20-Uhr-Nachrichten. Welchen Stellenwert hat dieses Video für euch selbst oder was denkt ihr, welche Rolle es für Influencer*innen hat? Hat sich was damit geändert in dem, wie ihr selbst vielleicht soziale Medien seht und nutzt, oder war das für euch selbst weniger wichtig?
Pajam:
Ja, vielleicht starte ich mal. Also, das Video war für uns als Kollektiv ehrlich gesagt jetzt nicht so bedeutend und für mich persönlich auch nicht. Was es, glaube ich, wie du schon gesagt hast, hervorgebracht hat, ist so eine Aufmerksamkeit auf Bildungsarbeit in sozialen Medien und online. Und ja, dass es vielleicht gezeigt hat, wie wichtig es eben auch ist, dass linke oder progressive Bildungsarbeit online stattfindet und dass die finanziert wird, dass die viele Leute erreichen kann, das wurde vielleicht damit deutlich. Und ich glaube, Rezo hat in diesem ganzen Diskurs ein „Niveau“ gebracht. Also, er hat viel mit Quellen gearbeitet, hatte so einen journalistischen Anspruch an die Videos, hat da zitiert und das alles so aufbereitet, dass es eben gut konsumierbar ist. Und das ist, glaube ich, etwas, was er gut für die Mehrheitsgesellschaft verdeutlicht hat, dass das in sozialen Medien wichtig und möglich ist.
Fiete:
Kann ich nur unterschreiben. Ging mir genauso. Das Video hatte für mich persönlich keine große Bedeutung. Ich habe es mir auch nie ganz angeguckt, weiß nicht. Also dachte ich mir eh schon: Okay, nichts Überraschendes dabei. Weiß nicht, hat mich jetzt nicht so großartig interessiert, muss ich sagen. Aber der Effekt hat mich schon interessiert. Dass es auf einmal, wie du schon erwähnt hast, das dann in den Abendnachrichten auch Thema war und auch in vielen Talkrunden. Und generell wurden ja in der Zeit ganz viele Politiker darauf angesprochen. Das war ja wirklich ein Riesenthema zu der Zeit. Ich fand es so spannend aus der Perspektive, dass Social Media als ein Player angesehen wird. Oder dass die Aussagen, die auf Social Media getätigt werden, nicht einfach nur ein Spiel sind oder Social-Media-Plattformen als Spielplätze angesehen werden, auf denen man einfach so sagt, was man denkt. Und „das muss man jetzt nicht so ernst nehmen, sondern da kann ja jeder quatschen.“
Nee, das ist ein Konkurrenzangebot zum linearen Fernsehen. Und deswegen fand ich es ganz cool, da diesen Effekt zu sehen, dass eben auch ein sogenannter YouTuber, der dann vielleicht nicht die entsprechende, wie soll man das, wie nennt man das noch mal, helft mir mit dem Wort …
Julia:
Renommee?
Fiete:
Renommee. Genau, also so seiner Meinung darf man zuhören. Seine Meinung ist relevant. Dass das dann doch funktioniert hat und dass dann eben dieser Meinung oder eben seinen Recherchen Gehör geschenkt wurde, das fand ich dann doch sehr gut.
Julia:
Wird das Video analysiert, an Hochschulen, Valentin?
Valentin:
Ja, definitiv. Ist natürlich schon spannendes Material, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Es war ein sehr markantes Diskursereignis. Da haben erst mal alle drüber gesprochen und da konnte man auch mit fast allen drüber sprechen. Weil zumindest anteilig haben die meisten mal was davon gesehen oder gehört. Also das hilft natürlich schon mal, da hat man einen gemeinsamen Gegenstand. Das ist ja nicht mehr so, dass man davon ausgehen kann, am nächsten Tag: Alle haben die Tagesschau oder den Tatort geguckt oder so. So eine, so eine gemeinsame zeitgleiche Erfahrung an Medienrezeption, das hat sich ja ziemlich, also noch mehr zersplittert, als es eh schon immer war. Und dann ist das natürlich interessantes Material. Zum einen wird daran noch mal sehr deutlich, wie nah aneinander so was wie Unterhaltungs- und E-, also ernsthafte Formate liegen. Also, Rezo war ja vorher nicht unbedingt dafür bekannt, dass er jetzt ganz viel journalistische Formate produziert hätte oder Content produziert hätte, sondern das kam dann eher so: Ah, okay, ansonsten eher unterhaltungsbasierte Formate – und das völlig ohne Wertung, das steht erst mal auch als Eigenlogik so völlig sinnvoll da. Aber dann kam eben dieses Video daher. Dann – Pajam hat ja gesagt – also dieses Zitieren, dieses Referenzieren, deutlich Machen: Worauf wird sich bezogen, Wissenschaft als eine Quelle mit einer gewissen Autorität hochzuhalten und sich darauf zu berufen. Und so weiter. Das sind schon alles Aspekte, die gut vermitteln konnten zwischen diesem YouTube-Channel und einer traditionellen oder etablierten Medienlandschaft, weil da viel vertraut ist, in beide Richtungen, ein Stück weit.
Und wenn man sich dieses Video anguckt, dann hat es eigentlich viel mit einer klassischen Vorlesung zu tun. Also, das ist jetzt nicht so weit weg, und das ist das absolute Kontraformat zu geringer Aufmerksamkeitsspanne, viel Bling-Bling und alles ganz kurz und verkürzt, so, sondern der nimmt sich ja wirklich Zeit dafür. Das ist eine knappe Stunde, wenn ich es richtig im Kopf habe, Input, frontal. Und das dabei auch noch ziemlich dicht. Natürlich kann man da auf Pause drücken. Das geht bei einer Live-Vorlesung jetzt nicht so gut, aber das sind alles irgendwie so Aspekte, die machen das spannend, weil es eben nicht so eindeutig in die eine oder andere Kategorie fällt und damit nicht so leicht vom Tisch zu wischen ist.
Julia:
Welche Rolle, Fiete, spielt es für dich – diese Frage nach Ernsthaftigkeit, Unterhaltung und vielleicht auch „Journalismus oder Pädagogik“ – sind das Sachen, die du überhaupt getrennt überlegst, wenn du mit deiner „jung genug“-Redaktion beispielsweise Inhalte produzierst? Also, besprecht ihr das, wie journalistisch soll es sein, wie unterhaltsam. Wie geht ihr daran, wenn ihr eigene Inhalte für Social Media produziert?
Fiete:
Ja, da gibt es schon unterschiedliche Herangehensweisen, weil es ja auch unterschiedliche Effekte hat. Da gibt es auf jeden Fall Unterschiede, sei es jetzt wirklich ein journalistischer Beitrag über: Wir haben jetzt einfach mal recherchiert zu dem Thema, sei es Klima oder so, und dann sucht man Fakten raus und versucht das entsprechend einzuordnen, aber auch die richtigen Fragen zu stellen, und dann im Verhältnis dazu eher ein Fünf-Sekunden-Reel, in dem man kurz kommentiert, dass jetzt vielleicht Corona bald vorbei ist, aber Klima immer noch eine Katastrophe ist. So Sachen. Die Ziele darin sind auch anders. Das eine ist eher so ein informatives und erklärendes Format, und bei dem anderen geht es vielmehr um so eine Identitätsstiftung, Community-Bildung. Und natürlich aber auch das, weil man das Technische immer, das Analytische mitdenken muss, auch Reichweitenstärkung. Und wenn du einfachere Formate machst, die den Leuten so aus der Seele sprechen, dann ist die Wahrscheinlichkeit eher da, dass es gefällt, dass es ankommt und dass man mithilfe solcher, vielleicht jetzt nicht so journalistisch tiefgreifenden, Formate, dass man damit mehr Leute erreicht und für den eigenen Kanal gewinnt, dass einfach eine Aufmerksamkeit da ist und man es dann schafft, seine eher ausführlichen Beiträge zu platzieren. Also, wir haben zum Beispiel Infografiken gemacht, die haben dann so zehn Slides oder so, auf denen wir extrem viele Informationen haben und Begriffe erklären etc. Und dann haben die 30 Likes. Und dann machen wir einmal ein Fünf-Sekunden-Video, in dem einer aus meinem Team über den schlechten Zustand der Digitalisierung an Schulen spricht, und das Video hatte über 150.000 Aufrufe. Wie gesagt, es hatte fünf, sechs Sekunden oder so, und wir haben nicht mal 1000 Abonnenten. Also das war ein riesiger Erfolg für uns, sowas geschafft zu haben. Und da sieht man einfach so diese Diskrepanz nicht nur im Beitragsinhalt, sondern eben auch im Beitragsformat. Das machen die Plattformen natürlich auch, gewisse Beitragsformen wie zum Beispiel Video zu pushen und andere nicht.
Julia:
Das heißt also, ihr versucht euch durch diese Formatvorgaben durch zu navigieren, also sind die eher hinderlich oder eher Kreativität anregend in dem Fall?
Fiete:
Letzteres. Also dadurch, dass man so eine große Vielfalt an Möglichkeiten hat, wie man seine Inhalte platzieren kann – es ist eben auch die Möglichkeit da, jede Beitragsform, jedes Medium darin für ein Thema zu nutzen und dann ein Thema aus verschiedensten Blickwinkeln zu beleuchten. Das ist auch ein großer Vorteil. Und jetzt mittlerweile konzentrieren wir uns einfach viel auf Video und wollen damit viel machen und versuchen dann so, wenn wir kürzere Videos machen, die jetzt nicht eine große Aussagekraft haben, dann dementsprechend in der Caption genug Inhalt dazulassen für die, die sich gerne informieren würden, jetzt zu dem Thema.
Also, wenn wir ein kurzes Video machen darüber, dass der CO2-Ausstoß so hoch ist wie nie, dann geben wir in der Caption entsprechend die Informationen darüber und die Zahlen.
Julia:
Erklaermirmal, Pajam, ist ja sehr – also im Moment pausiert das Projekt, aber es sind ja eher längere, sehr aufwendig gedrehte Videos. Wie seid ihr zu dem Format gekommen, in eurem Kanal?
Pajam:
Also erklaermirmal wurde gegründet, um politische Begriffe und Konzepte zu vermitteln, die medial oder in Diskursen häufig benutzt werden, aber eigentlich selten erklärt werden. Und wir Personen aus dem Format kommen so aus den Familien der „Anderen“. Also, wir haben verschiedene Backgrounds, was Klassenherkunft angeht zum Beispiel. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, habe selber auch nicht studiert, andere kommen aus Arbeiter*innen-Familien, haben dann jetzt als erste Person in der Familie studiert etc. Und dementsprechend haben wir ganz verschiedene Herangehensweisen und Perspektiven auf so Themen, die uns vielleicht so zugeschrieben werden, dass wir da eine homogene Meinung zu den ganzen Einzelargumenten haben. Und das haben wir natürlich nicht. Und dieses Videoformat, wir sind da ungefähr eingestiegen mit siebenminütigen Videos, sind inzwischen auf so viereinhalb- bis fünfminütigen Videos, bietet uns eben die Möglichkeit, relativ tiefgehend in die Themen einzusteigen, zumindest tiefgehend für ein Social-Media-Format. Also dass wir komplexere Zusammenhänge zusammenführen können. Gleichzeitig war es für uns total wichtig, vor der Kamera ganz viele verschiedene Leute abzubilden, weil Repräsentation einfach sehr wichtig ist, und Menschen wie wir dann häufig entweder gar nicht vorkommen oder nur stereotypisiert vorkommen. Und bei uns sind sowohl vor der Kamera als auch hinter der Kamera Menschen mit ganz verschiedenen Backgrounds eingebunden.
Julia:
Ja, das finde ich jetzt zwei sehr zentrale Punkte. Zum einen die Diversität, die, denke ich, sich da sehr von klassischen Medien unterscheidet, unterscheiden kann, auf Social Media, und die Frage danach, wie mit diesen vielen kleinen Clips und Informationen – ob da was fehlt, wenn es nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt wird. Also, das Video von Rezo, was wir eingangs besprochen haben, das macht ja genauso einen großen Erzählbogen. Es ist interessant zu hören, dass bei erklaermirmal eben tatsächlich die Idee ist, da Zusammenhänge herzustellen.
Pajam:
Aber es steht teilweise auch im Widerspruch zueinander. Wir sehen in unseren Statistiken zum Beispiel, dass diese Videos häufig gar nicht fertig geguckt werden. Und dann können wir uns auf den Kopf stellen und unser Format immer weiterentwickeln und weiterentwickeln, aber die Aufmerksamkeitsökonomie auf Social Media funktioniert einfach anders. So, und da ist dann der Widerspruch zwischen dem eigenen Idealismus und dem, was dann wirklich auf den Portalen funktioniert.
Julia:
Also, Fiete, du hast gesagt, TikTok würdest du eigentlich lieber machen, auch für „jung genug“. Du bist selbst als fiete_boi auf TikTok sehr aktiv. Inwiefern spielt das für dich eine Rolle, eine Kritik am Medium selbst? Wie gehst du damit um?
Fiete:
Also, es ist sehr wichtig, das immer mitzudenken und im Kopf zu haben. Ich glaube, die Kritik an der Plattform, die es gibt, ist auch der Grund, warum wir derzeit nicht auf TikTok sind, mit unserem „jung _genug“-Kanal. Ich als Privatperson erlaube mir das dann doch, aber als Projekt, durchgeführt von der Stiftung SPI und gefördert vom Bundesfamilienministerium, war das jetzt nicht so – da gibt es wirklich sehr viele Bedenken, aus den verschiedensten Richtungen. Also auch Datenschutz, Nutzungsrechte und was weiß ich alles, und deswegen finden wir jetzt da nicht statt. Das ist aber auch okay. Ja, ich versuche das immer mitzudenken. Und ich versuche dann auch, so gut ich kann, bei meinen eigenen Inhalten darauf zu achten, dass ich kein Video ohne Untertitel hochlade zum Beispiel. So, das kann ich nicht mehr mit mir vereinbaren. Das versuchen wir auch bei „jung genug“ so umzusetzen, dass wir wirklich jedes Video untertiteln. Was wir bisher noch nicht haben, bei „jung genug“, ist eine Bildbeschreibung bei Fotoposts. Das kann man auch machen bei Instagram. Das wollten wir eigentlich auch noch mal einrichten.
Julia:
Und was liebst du an TikTok privat? Warum bist du lieber da?
Fiete:
(lacht) Okay, gut. Dann schieben wir jetzt die Kritik beiseite … Ich muss zugeben, dass ich am Anfang extrem überfordert war mit TikTok. Ich dachte mir so: Hey, komm, lädst du dir mal runter und schaust dir mal an, hast irgendwie Lust drauf. Dann habe ich es runtergeladen und mal einen Tag benutzt und dann habe ich es bestimmt zwei Monate nicht mehr benutzt. Also, es war wirklich so eine Wand an Videos und ich kann die Videos nur wegschieben und irgendwie ist da so viel Schwachsinn und so viel Dummheit und also, sorry, da wirklich, da war so viel, so viele Sachen, die mich nicht interessiert haben, und die mich sogar teilweise aufgeregt haben. Bis ich dann irgendwann angefangen habe, diesen bösen Algorithmus zu bedienen (lacht) und mir gedacht hab: Hey, machst du jetzt einfach mal das, was du bei Facebook und bei Instagram und YouTube vorher nie gemacht hast, nämlich liken. Bei TikTok habe ich dann wirklich jedes Video, wo ich auch nur ein bisschen gelacht habe, geliked. Und bei den Videos, die ich sehr gut fand, da habe ich sehr oft auf den Bildschirm getippt. Das ist ein sogenannter Super Like. Das soll wohl der Algorithmus angeblich auch bemerken können, dass du sehr oft so ein Herzchen gibst. Und ich habe, wenn ein Video mich nicht interessiert hat oder es mich wirklich gestört hat, es entweder gemeldet oder auf „kein Interesse“ oder so was geklickt. Und so habe ich dann wirklich mir meinen TikTok gebastelt, mit Inhalten, die mich interessieren. Und dieser Algorithmus ist – ja, so spannend und beeindruckend und schön wie auch gefährlich. Weil ich kriege da so viele Sachen zugeschaltet, die mich interessieren, ich krieg so viele Sachen zugeschickt an Videos, die sich um Sachen drehen, die ich ein paar Tage vorher mit Freunden besprochen habe oder so oder die ich mir irgendwo anders auf Webseiten angeguckt hab … Also ihr wisst, was ich, was ich sagen möchte.
Ja, es hat eben seine Vorteile und Nachteile. Also, da merke ich auch, das ist vielleicht bei dem Algorithmus, den ich eben, also bei meinem TikTok, nenne ich es jetzt mal, wird das bestimmt so sein, bei anderen – die bekommen sowas vielleicht nicht mit. Ich sehe eine große Diversität auf TikTok. Also, wirklich extrem viele verschiedene Menschen aus allen Herren Ländern mit den verschiedensten Vorlieben und so und das … Es wird mir auf der Plattform noch bewusster, als es auf der auch gerne als Schönheitsplattform verschrienen Instagram ist oder als es bei YouTube der Fall ist.
Julia:
Das war jetzt ein gutes Stichwort für Pajam. Die als schön beschriebene Instagram-Plattform, die ja wirklich sehr auf Visualität und Filter und so weiter setzt – ihr habt euch für Instagram entschieden, und da wir jetzt eigentlich in dem Bereich sind, Kritik auch an den verschiedenen Plattformen, plus was man an ihnen mag – da würde mich jetzt speziell interessieren, im Fall von erklaermirmal seid ihr gestartet als sehr divers zusammengesetzte Gruppe, das hast du kurz erwähnt, ehrenamtlich, mit einem hohen Arbeitsaufwand, und ein Crowdfunding-Versuch, den ihr dann unternommen habt im letzten Jahr, ist gescheitert. Wo steht ihr da und wie soll es weitergehen? Und diese ganze Frage danach, wie wird die Arbeit ermöglicht auf den Plattformen, wenn es dann in Richtung politischer Bildung geht oder pädagogischer Ideen? Was macht das für einen Unterschied, ob man finanziert wird oder nicht?
Pajam:
Ich kann vielleicht mit dem Crowdfunding starten. Wir pausieren weniger, weil dieses Crowdfunding nicht die gewünschte Summe erreicht hat, sondern weil wir einfach auch eine Pause machen. Dieses Projekt fing als Nebenbei-Projekt von Freund*innen an, sag ich mal, die alle nebenbei studieren oder arbeiten, und das Projekt wurde dann sehr schnell sehr bekannt, womit wir selber auch gar nicht so gerechnet haben. Und dann kamen wir in so eine Art Zugzwang, dass wir die Qualität immer weiter steigern, die Inhalte besser ausformulieren, und wurden auch als so professionelle Produktionsfirma wahrgenommen, was dann natürlich auch wieder ganz andere Ansprüche an uns stellt im Vergleich zu: Okay, wir sind einfach nur 16 Freund*innen, die politische Arbeit tun.
Vor diesem Crowdfunding, aber auch jetzt, finanzieren wir uns hauptsächlich über Anträge bei Kulturbehörden, bei verschiedenen ASten oder bei anderen sozialen Trägern. Das Projekt soll auch weiter auf gemeinnütziger Basis stattfinden. Das heißt also, auch so Werbekooperationen kommen für uns nicht infrage, weil wir damit dann die Gemeinnützigkeit verlieren würden. Parallel dazu haben wir aber, oder haben einige Menschen, die auch im Projekt erklaermirmal sind, eine Firma gegründet, um eben diesem Bedarf nach weiterer Bildung, nach Projektentwicklung, Konzeptentwicklung, Beratung etc. auch nachzukommen und den so umzusetzen. Und damit können wir dann eben auch weitere Formate einerseits organisieren, aber dann im Idealfall auch finanzieren, sodass das irgendwie nachhaltiger wird und wir nicht so von Projekt-Zeitraum zu Projekt-Zeitraum rennen und dann gar nicht so sicher sind, ob die Inhalte dann auch stehen bleiben können, zum Beispiel ob sie wirklich für alle Leute zugänglich sind. Aber wollen zum Beispiel mit den Videos auch noch auf YouTube gehen, einfach weil auch verschiedene Sprachen in den Untertiteln dann möglich sind, sodass es dann noch auch für englischsprachige Menschen zugänglich ist. Obwohl für uns schon im Fokus stand, dass wir ein deutschsprachiges Format machen, weil es zu der Zeit zumindest noch nicht so viele gab.
Julia:
Valentin, ich würde dich gerne noch mal fragen: Ich fand es jetzt eindrücklich auch, wie Fiete sein eigenes Training des Algorithmus geschildert hat, eben mit viel Wissen und Intelligenz, und – ist es nötig – dieser Podcast richtet sich ja auch an pädagogische Fachkräfte – also diese Art von Medienkompetenz, die hat natürlich nicht jeder. Wir haben jetzt hier Profis im Bereich Social Media. Wie bekommt man so eine Medienkompetenz? Kann das unterrichtet werden? Müssen wir uns alle mehr dem Algorithmus widmen und wie wir ihn trainieren?
Valentin:
Ja, der Studiengang, den ich leite, der behauptet auf jeden Fall: Ja, man kann so was unterrichten und man kann so was lernen. Würde man das Gegenteil behaupten, würde der Studiengang keinen Sinn ergeben. Es geht bei uns natürlich weniger darum, in erster Linie Fachkräfte zu erreichen. Das ist mein Job meinen Studis gegenüber als werdende Fachkräfte, die mit ihren Leuten in den Einrichtungen, das können Einrichtungen für Jugendliche sein, oftmals offene Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, aber kann auch was ganz anderes sein. Die sind zum Teil auch in Kitas oder in der beruflichen Bildung von und mit Menschen mit Beeinträchtigungen oder oder oder … Also so querbeet, auch mal Schulen, Schulsozialarbeit.
Was die in ihren eigenen Medienpädagogik-Projekten viel machen, ist standardmäßig aktive Medienarbeit. So, also das wäre dann sozusagen, ihre Klientel, ihre Zielgruppen, die Leute, mit denen sie arbeiten, in eine ähnliche Rolle zu bringen, so verstehe ich zumindest, wie Fietes Redaktion. Also, mit denen gemeinsam etwas zu erstellen, was für die bedeutsam ist, und diesen Produktionsprozess zu nutzen, um dabei etwas über diese ganzen Zusammenhänge rauszufinden.
Und das ist sozusagen das Grundprinzip: Man versucht eher übers Produzieren, über Selbermachen DIY mehr zu verstehen: Wie funktioniert das? Was ist problematisch dran, was ist cool dran? Und das Ganze eben auch als einen kreativen Prozess zu verstehen, in dem Leute sich artikulieren können, selber etwas öffentlich machen können, was ihnen etwas bedeutet. Das heißt nicht notwendig, dass dann in so einem Fall auch wichtig ist, dass das Produkt am Ende sehr professionell ist, dass das ganz viele Menschen sehen und wahrnehmen, also, da reicht es dann vielleicht auch, eine kleine Präsentation im Jugendclub zu machen, und dann gibt es irgendwie eine Anerkennung für. Also, da steht nicht das Produkt, sondern eher der Prozess im Vordergrund, und das ist sozusagen der Goldstandard, nach wie vor noch der Medienpädagogik.
Julia:
Da wäre ja auch die Frage nach denjenigen, die eure Angebote wahrnehmen. Die Community, welche Rolle spielt für euch die Interaktion mit der Community? Wie sehr denkt ihr die mit? Wie geht ihr damit um, mit dem Community-Management? Welche Rolle hat das in eurem Alltag, Social-Media-Alltag?
Pajam:
Da kann ich vielleicht mal starten, auch weil wir dieses Projekt gegründet haben, um uns an eine „andere“ Zielgruppe zu wenden, als das in den meisten Medien stattfindet. Also wir haben schon einen starken Fokus auf Empowerment gelegt, also sodass wir uns an Menschen mit Rassismus- oder Sexismus-Erfahrungen wenden, aber natürlich auch an andere Menschen, die irgendwelche Machtdynamiken erleben oder von diesen unterdrückt werden. Aber natürlich auch an weiße Verbündete, die auch Zustände verändern wollen. Aber, wie gesagt, legen da schon unseren Fokus auf Empowerment, ja, erreichen aber – unsere eigentliche Zielgruppe sollen eigentlich eher Jugendliche und junge Erwachsene sein. In der Realität sind es hauptsächlich Menschen zwischen 20 und 30, also das ist so, wie wir dann eben auch positioniert sind, und damit schaffen wir den Schritt aus der Bubble bloß so halb, ehrlich gesagt, wissen aber auch, dass viele unserer Inhalte von Pädagog*innen, Workshop-Leitenden, Lehrenden an Schulen und Universitäten genutzt werden. Sowohl die Videos als auch die Bilder-Slides, also wo dann Texte drauf sind oder irgendwelche Grafiken, die werden dann schon viel auch für Jugendarbeit genutzt.
Fiete:
Ich – also, Community hat auf jeden Fall einen großen Stellenwert, dass es bei uns, bei jung_genug jetzt noch ein … Wir finden es immer ein bisschen schade, wie wenig Interaktion wir haben. Wie gesagt, wir stehen jetzt so kurz vor den 1000 Abonnenten, aber auch ein Großteil unserer Abonnent*innen ist älter als unsere angelegte Zielgruppe, also bestimmt ein Drittel ist älter, also dann noch über Adoleszenzbereich bis 27, und die jüngsten unter 18 und so, da haben wir auch noch nicht so viele mit erreicht. Ja, ich habe das immer, das Gefühl, dass bei uns gerade die Storys auf jeden Fall viel mehr Interaktionen bieten und leisten. Und dass wir da auch schneller in Kontakt kommen zu unseren Follower*innen. Aber so bei den Beiträgen hält sich das doch eher in Grenzen.
Ja, und auf meinem Kanal, auf meinem TikTok-Kanal, da versuche ich auf jeden Fall immer so ein Auge drauf zu haben, um sicherzugehen, dass da kein Schwachsinn passiert und dass die Nutzer*innen, die sich das angucken wollen, dass die auch vor gewissen Dingen geschützt sind. Also, vor dem Video, was ich als letztes gepostet habe, kurz davor, zwei Monate davor oder so, hatte ich mal zwei Videos gepostet zu dem Thema falsche, gefährliche Prediger auf TikTok, also hab das Thema einfach nur so aufgemacht, und dann ist da eine Riesendiskussion entstanden, und dann haben sich natürlich ganz viele Kanäle auch da auf meine Seite verirrt, die eher so, ja Islam-Propaganda machen. Also die dann doch eher so eine Nähe zu radikalen Vereinen, Verbänden, was weiß ich haben. Und da muss ich dann natürlich drauf gucken, dass die dann da nicht Schwachsinn posten und die dann entsprechend auch blockieren oder melden. Das mache ich dann auf jeden Fall auch.
Pajam:
Vielleicht darf ich da noch einmal einhaken. Ich glaube, das ist nämlich auch so eine Logik von Social Media, dass sich auf Einzelpersonen bezogen wird, weil diese auf einmal nahbarer wirken. Und das haben wir einerseits auf unserem Kanal auch gemerkt, dass wir eben dieses Professionalitätslevel „Produktionsfirma“ bekommen haben, weil wir auch gar nicht in der Form als Einzelpersonen mit Gesichtern sichtbar waren, was aber auch mit voller Absicht stattgefunden hat, weil wir eben dieses Ein-Personen-Abkulten eben auch sehr problematisch finden und es bei uns eigentlich eher darum – also dieses Wissen, was wir aufbereiten, darum soll es gehen, und diesen Community-Aspekt, der ja eben auch ganz viel aus vorkolonialen Gesellschaften kommt, um da jetzt auch nochmal so ein bisschen mit reinzugehen, dass es im sogenannten Westen halt eher so eine Individualkultur oder -ethik gibt und in anderen Gesellschaften und Communitys da eben ganz andere Werte im Vordergrund stehen. Und wir versuchen auch so ein bisschen diese Werte mit reinzubringen.
Und um noch mal auf das Community-Management zu sprechen zu kommen, dafür haben wir tatsächlich zwei bis drei Personen, die das bei uns machen. Und das kann von Kommentare beantworten, Fragen beantworten, aber auch leider viele diskriminierende Kommentare löschen sein. Und das war etwas, was mich bzw. uns, aber auch als Team ein bisschen überrascht hat. Das Video, wo wir die meisten Hate-Kommentare zu bekommen haben, war zu queerer Elternschaft. Also eigentlich ein Thema, was schon relativ lang präsent ist, was politisch und diskursiv schon viel bearbeitet wurde, wo es ja politisch auch vorangeht mit der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare etc. Aber das war so ein Thema, wo das bei uns in den Kommentaren so zwei Wochen ordentlich abgegangen ist, wo wir dann auch Support von anderen großen Bewegungen gebraucht haben, die uns da unterstützen konnten.
Julia:
Interessanter Aspekt, dass auf sozialen Medien, wo eigentlich eine Einzelperson im Vordergrund steht, dass ihr da anders rangeht und ja, sehr erfolgreich mit 70.000 Followern agiert. Danke nochmal, dass du das noch mal so rausgestellt hast. Ihr habt beschrieben beide, dass ihr ausgesetzt seid, Provokationen oder Übergriffen, Angriffen. Wie sehr behindert euch das in der Arbeit?
Fiete:
Nervt schon manchmal. (lacht) Na ja, wie gesagt, ich mache jetzt seit 2015 solche Sachen und mir haben schon Leute in Kommentaren was weiß ich geschrieben, von wegen, dass sie mir ins Gesicht schlagen wollen, oder? Also Sachen, die ich hier nicht wiederholen muss – die nerven, aber die schrecken mich jetzt nicht ab, da weiterzumachen, weil sonst hätten die ja Erfolg mit ihrem Vorgehen.
Pajam:
Ja, da kann ich mich vielleicht anschließen. Ich habe eben schon dieses Video mit queerer Elternschaft angesprochen. Da gab es tatsächlich einmal den Moment, dass wir ein bisschen arbeitsunfähig wurden, weil einfach so viele Kommentare so schnell gekommen sind, dass wir mit dem Löschen gar nicht mehr nachgekommen sind. Dass das für die Social-Media-Redakteur*innen wirklich auch zur Belastung wurde. Also so psychisch, sodass wir dann im Team aufgeteilt haben, wer jetzt gerade eine Stunde die Kommentare löscht und solche Sachen. Also dass wir uns da schon Strategien überlegt haben, aber es nimmt jetzt weder gedanklich noch physisch irgendwie Raum ein bei uns.
Julia:
Um vielleicht ein bisschen in den abschließenden Teil zu kommen, erst mal als knappe Frage an Valentin: Aus deiner Sicht, braucht es mehr oder weniger Gesellschaftskritik an sozialen Medien?
Valentin:
Mehr. (lacht) Das ist die knappest mögliche Antwort. Und um es vielleicht doch noch zu erklären: Also, Medienkritik kann sehr, sehr unterschiedlich ausfallen. Und ich kann irgendwie sagen: „Diese Bildschirmmedien sind blöd, weil sie Bildschirmmedien sind, und die machen unsere Leute kaputt.“ So – es gibt durchaus auch diese Positionen prominent vertreten, in der Öffentlichkeit.
Ich kann irgendwie sagen: Ja, Medien sind blöd, weil die Leute, die sich da tummeln, doof sind. Dann kann ich die irgendwie psychopathologisieren, kann sagen, die sind alle krank, oder ich kann sagen, die sind alle blöd – ich vereinfache das jetzt sehr, sehr stark – und dann müssen irgendwie die Leute besser werden.
Oder ich kann sagen, na ja, die Medien sind blöd, weil die Gesellschaft durchaus anteilig ganz schön doof ist, in der diese Medien stattfinden. Und das ist, glaube ich, der interessanteste Ansatz, um Medien zu kritisieren, weil ich damit am meisten in den Blick bekomme. Also, ökonomische Logiken, die greifen, Privateigentumsverhältnisse von großen Medienkonzernen und Plattformen, dass gesellschaftliche Zustände eben rassistische Denkweisen, heteronormative sexistische Denkweisen, homo-, transfeindlich und so weiter so stattfinden lassen, und so weiter – das ist ein gesellschaftliches Problem, das Kernproblem von Medien.
Und diese Art von Medienkritik, also Gesellschaftskritik als Medienkritik oder umgekehrt, da würde ich sagen: Ja, gerne und immer mehr davon.
Julia:
Möchte jemand von euch, Fiete oder Pajam, noch der Frage nach mehr oder weniger Gesellschaftskritik an sozialen Medien etwas hinzufügen?
Pajam:
Ja, das hört sich auf jeden Fall nach einer Frage für mich an, weil ich denke auch, dass es viel viel mehr Kritik geben sollte und auch muss, aber, glaube ich, weniger von dem, was dort stattfindet, weil solche sozialen Medien eben auch Abbild der Gesellschaft sind, wie Valentin das auch schon gesagt hat, aber dort natürlich ganz bestimmte Logiken stattfinden. Also, die Unternehmen, die hinter den sozialen Medien stehen, haben eine Art Plattform-Kapitalismus errichtet, der dann auf diesen Plattformen stattfindet und auch eine Monopolstellung erreicht. Und anstatt dass sie als soziale Medien funktionieren, die wirklich Menschen zusammenbringen, bringen sie Kunden zur Werbung und verkaufen die Daten. Und dadurch kann Facebook, wenn wir das jetzt als prominentes Beispiel nehmen, weit über Staatsgrenzen hinaus eigene Interessen durchsetzen und agiert inzwischen eigentlich wie ein eigener Staat. Also, sie erschaffen eigene Märkte, eigene Währungen und eigene Verhaltensregeln auf diesen Plattformen, mit Sanktionierungen wie Shadow Banning oder Sperrungen, die null demokratisch legitimiert sind, sondern das unterstützt ein Unternehmensvorstand, der aus einer sehr homogenen, sehr reichen, sehr klassenprivilegierten Gruppe kommt.
Und wir sehen das jetzt an diesem Metaverse, dass das komplett dystopische Zukunftsszenarien sind, die von einigen wenigen ausgedacht werden, die aber so viel Kapital, also sowohl finanzielles, aber auch kulturelles Kapital haben, dass sie das der Weltbevölkerung aufzwingen können. Ob diese das jetzt will oder nicht. Und das, glaube ich, fällt bei der Kritik an Medien noch total hinten über, dass diese Unternehmen sich ganz eigene Gesellschaftsentwürfe zusammenbasteln und die über Gesellschaften drüber stülpen, obwohl es dafür keine demokratische Legitimierung gibt. Das war es jetzt auch mit meinem Monolog zu Facebook. (lacht) Aber ja, das ist ein riesengroßes Problem. Und wir wissen auch nicht, wie lang so eine Bildungsarbeit auf so einem Medium stattfinden kann, wenn es eben keine demokratischen Richtlinien oder Legitimierungen gibt. Wenn irgendwann Facebook sagt, wir wollen es nicht mehr, dann geht es eben in Richtung Zensur wie bei TikTok.
Valentin:
Ich weiß ja nicht, inwieweit Werbeeinschaltungen für kapitalismuskritische Unternehmen erlaubt sind, aber tatsächlich hat sich letztes Jahr eine Initiative „Bildung und digitaler Kapitalismus“ formiert, die Leute aus der Medienpädagogik, kulturellen Bildung und anderen Bereichen versucht zusammenzubringen, aus Bildungspraxis und auch Wissenschaft, um da genau solchen Dingen, die du gerade angesprochen hattest, mehr Raum zu geben und sich daran abzuarbeiten.
Julia:
Habt ihr denn noch Tipps für pädagogische Fachkräfte, die mit Jugendlichen arbeiten und da Projekte umsetzen wollen, auf Social Media? Habt ihr Ideen für besonders gut funktionierende Formate oder auch Inhalte?
Fiete:
Also, ich finde es wichtig, sich erst mal mit der Plattform auseinanderzusetzen, die man da bedienen möchte, und sich über solche Sachen, die wir jetzt hier gerade besprochen haben, auch Gedanken zu machen und die mit einzubeziehen in die Überlegungen. Ja, und dann gleichzeitig aus der anderen Sicht zu schauen, was möchten denn die jungen Menschen, mit denen ich arbeite? Was möchten die denn machen? Wo liegen denn ihre Stärken? Und wenn zum Beispiel die Stärken stark bei Video liegen, dann kann man die Plattform wählen. Aber wenn die doch eher beim geschriebenen Wort liegen, dann eher bei der anderen Plattform, und alle haben ja so ihre Vor- und Nachteile.
Also, alle Plattformen bieten einfach einen großen kreativen Spielraum und, wie ich auch letztens im Web Talk beim RISE-Projekt erzählt hatte, ist es wichtig, da freien Lauf zu lassen. Also von wegen: Tobt euch aus, macht was ihr, was euch liegt, was euch nahesteht, was ihr sagen wollt, was wichtig ist. Tobt euch aus und guckt dann zusammen: Ist das machbar? Kann man das machen? Kann man es verantworten? Ja, okay, jetzt hast du das Video hier gerade erstellt. Wie würdest du denn denken, dass Leute darauf reagieren? Und was würdest du denken, wenn Leute so und so darauf reagieren, also dann mit dem mit dem Produkt arbeiten. Ich bin kein Freund davon, frühestmöglich da Scheren anzusetzen und Barrieren hochzuziehen.
Pajam:
Ja, ich kann mich da eigentlich auch nur anschließen. Lasst wirklich die Jugendlichen ihre eigenen Ideen umsetzen. Und ich glaube, es sollte in solchen Formaten viel mehr darum gehen, was eigentlich die Haltung der Jugendlichen zu bestimmten Themen ist, was sie wie wo veröffentlichen, um ihren Datenschutz, aber eben auch was dann vielleicht in 25 Jahren noch gegoogelt werden kann. Und dass man diese Sensibilität für die Jugendlichen aufbringt. Ja, und ich glaube, dass in solchen Projekten auch total gut so eine Kompetenz gestärkt werden kann, gute Quellen zu finden. Also, ja, dadurch, dass das Internet so gut zugänglich ist, mit so unfassbar viel Wissen, kann sich da aus einem riesigen Wissensfundus dann auch bedient werden, der vielleicht auch etwas diverser ist, als es doch an den meisten Universitäten oder Schulen noch ist.
Valentin:
Was ich vielleicht noch ergänzen wollte zu dem, was die anderen beiden meinten: Ich glaube, was auch sehr, sehr wichtig ist – ist vermutlich auch allen klar irgendwie –, aber es ist auch nicht so ganz simpel. Ich glaube, Demokratie kann dann immer wieder als solche hervorgebracht werden, wenn man die eben auch in ganz kleinen Szenarien, sei es eine Redaktionsarbeit, sei es im Jugendclub, sei es in pädagogischen Projekten oder so was, einfach gelebt wird, und das auch an Hochschulen, also auch an mich selber adressiert, in Seminar-Kontexten oder sonst wo. Das heißt einfach wirklich, mit den Leuten gemeinsam zu diskutieren, zu besprechen und zu entscheiden, weil eben die Jugendlichen, die dann in der Redaktion mit drin sind, das kann Fiete bestimmt bestätigen, oder ihr in der Redaktion bei erklaermirmal, Pajam, das ist ja nicht homogen, das sind ja sehr unterschiedliche Leute mit verschiedenen Ideen, Ansichten usw., und allein gemeinsam sich darüber zu verständigen: Wie können wir das als ein „wir“ vertreten, in seinen Ambivalenzen, Paradoxien, Widersprüchen. Und weiter: Wie können wir das irgendwie in visuelle oder sprachlich, sprachliche Form gießen oder so? Da passiert, glaube ich, schon ganz viel. Und dann sich zu einigen, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, das ist super super wichtig. Und dann muss ich mich als Dozent an einer Hochschule oder eine Fachkraft sich irgendwie im Kontext von Jugendarbeit oder sowas ein Stück weit auch zurücknehmen, maximal moderieren. Aber ansonsten ist meine Position eine von vielen und dann darf ich mich auch positionieren, wenn ich das transparent mache, würde ich sagen.
Moderation:
Mit diesen Gedanken des Medienpädagogen Valentin Dander von der Fachhochschule Clara Hoffbauer in Potsdam beenden wir die sechste Folge des RISE-Podcast. Wer das Thema vertiefen möchte, findet Hintergrundinformationen auf der Website von RISE. Dort gibt es unter anderem Artikel dazu, wie soziale Medien die politische Meinungsbildung Jugendlicher verändern, welche problematischen Inhalte es in sozialen Medien gibt – beispielsweise Verschwörungstheorien – und wie pädagogische Fachkräfte darauf reagieren können.
Fiete und Valentin haben in unserem Gespräch beschrieben, wie Medienkompetenz erworben wird und wie sie aktive Medienarbeit gestalten – auch dazu gibt es bei RISE eine ganze Reihe methodischer Empfehlungen und handlungsorientierter Beschreibungen. Ein Beispiel ist das Materialpaket zur Webserie „:in“ – eine Serie kurzer Dokumentarvideos, in denen es um Frauen in Männerberufen geht. Das begleiten wir unter anderem mit einer Anleitung dazu, wie Jugendliche eigene Memes zum Thema machen können.
Dies war unsere Podcast-Folge zu Gesellschaftskritik. Gesellschaftskritik ist eins der fünf Schwerpunktthemen von RISE, jedem dieser Themen widmet sich der RISE-Podcast in einer eigenen Folge. Es gab bereits Folgen zu Pluralismus, Gender und Rassismus. Der nächste RISE-Podcast beschäftigt sich dann abschließend mit dem fünften Themenbereich des Projekts: „Werte und Religion“.
Mein Name ist Julia Tieke, und ich verabschiede mich bis dahin.
veröffentlicht am 24.05.2022