„Tschüss White Feminism“

Das Plakat der „Society of Matriarchal World Domination“ , einem Projekt, an dem Künstler*innen wie  Peaches und Candice Breitz beteiligt sind, kritisiert auf ironische Weise weißen Feminismus.

schreit es den Passanten des Berliner Stadtteils Kreuzberg in großen Buchstaben von Plakaten entgegnen. Darunter das Bild von zwei Frauen mit nacktem Oberkörper um die 70, die einem gängigen Bild von Feminst*innen entsprechen.
Aber was bedeutet eigentlich „weißer Feminismus“ und was hat er mit dem Islam zu tun?

Die drei Wellen des Feminismus

Um zu verstehen, was besonders „weiß“ am Feminismus sein soll, lohnt sich ein kurzer Blick in die feministische Geschichte.
Der Feminismus wird grob in drei Phasen oder Wellen eingeteilt. Die Frauenbewegungen, die rund um die Französische Revolution im 18. Jahrhundert entstanden, werden der ersten Welle zugeteilt. Diese forderten für Frauen das Recht zu wählen, zu studieren und zu arbeiten sowie die Beendigung der Vormundschaft der Väter, Ehemänner und Brüder über die Frauen.

Feminismus lässt sich als Ensemble von Debatten, kritischen Erkenntnissen, sozialen Kämpfen und emanzipatorischen Bewegungen verstehen, das die patriarchalen Geschlechterverhältnisse, die alle Menschen beschädigen, und die unterdrückerischen und ausbeuterischen gesellschaftlichen Mächte, die insbesondere Frauenleben formen, begreifen und verändern will.

Weltweit bekannt wurde „der Feminismus“ mit der zweiten Welle ab den 1960er Jahren. Unter dem Leitspruch „Das Private ist politisch!“ wurden die Ursachen und Wechselwirkungen für die Diskriminierung von Frauen in der privaten und in der öffentlichen Sphäre gesucht. Wichtiges Anliegen war es zu zeigen, dass die untergeordnete Rolle der Frau in Familie, Sexualität und Beruf eine Folge der patriarchalischen Herrschaftsverhältnisse war.

Intersektionalismus: „Das Konzept richtet den Blick vor allem auf die Art und Weise, wie Rassismus, Patriarchat, Klassenzugehörigkeit sowie andere Systeme der Unterwerfung eine nicht auf den ersten Blick sichtbare Ungleichheit konstruiert, welche die Beziehung von Frauen zu Rasse, Ethnie, Klasse und ähnliches bestimmt. Außerdem spricht es spezifische Handlungen und Politiken an, die Frauen belasten und entlang der genannten Achsen zum Dispowerment, zur Entmachtung führen.

Thematisiert wurden die Vermarktung von Frauen in Pornografie und Werbung, der selbstbestimmte Umgang mit dem eigenen Körper (Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, das Recht auf Verhütung) sowie Gewalt gegen Frauen (vgl. Lenz 2019, S. 233–235).
Frauen aus unterschiedlichen politischen Parteien waren Teil dieser Bewegungen und sich in ihren Hauptforderungen einig. Unterschiede wurden vor allem hinsichtlich der Zusammensetzung der jeweiligen Strömung und der Inhalte sichtbar. Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Strömungen gibt es bis heute.

Konflikte innerhalb der feministischen Bewegungen

Intersektionale und postkoloniale Feminist*innen werfen „traditionellen“ Feminist*innen bis heute vor, nur die Interessen und Lebensumstände weißer, heterosexueller „Mittelschichtsfeminist*innen“ (Rommelspacher nach Thiessen, S. 40) zu berücksichtigen, d.h., dass sie die Perspektiven und Kämpfe von Schwarzen Feminist*innen, Juden und Jüdinnen, Migrant*innen, Mitgliedern der LGBTQI+-Gemeinschaft und eben auch Muslim*innen ausblenden. Dabei wird mit „weiß“ keine Hautfarbe, sondern die Zugehörigkeit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft beschrieben. Privilegierte weiße Feminist*innen machten nicht die gleichen (Rassismus-)Erfahrungen, beanspruchen aber dennoch zu wissen, was für alle Frauen weltweit das Erstrebenswerteste sei.
Kritisiert wird deshalb die weiße Dominanzkultur , die nach wie vor vom Kolonialismus geprägt sei (vgl. Thiessen 2010, S. 40). Heute kommt dieser Konflikt besonders in der Auseinandersetzung zwischen Vertreter*innen der zweiten feministischen Welle und muslimischen Feminist*innen zum Ausdruck. Erstere bestreiten die Vereinbarkeit von Islam und Feminismus. Sie behaupten, der Islam sei grundsätzlich sexistisch und patriarchal .

Postkoloniale feministische Theorien gehen über den intersektionalen Ansatz hinaus. Vertreter*innen des Ansatzes kritisieren „das Engagement der Feministinnen des Nordens für die Frauen des Südens als „paternalistische Mission“. Sie „stellen schwesterliche Verbundenheit zwischen westlichen Feministinnen und Frauen der kolonisierten Länder in Frage und [setzen] sich mit der Frage nach dem Zusammenhang von Imperialismus und Feminismus auseinander. Das Sprechen im Namen ‚der Frau’ ist in Anbetracht der verschiedenen Positionierungen nach Klasse, Religion, Nationalität oder Kultur zentraler Gegenstand der Kritik am westlichen Feminismus.

Eine andere Meinung vertreten Frauen, die sich in Ägypten, Indien, Marokko, Palästina, Syrien, Malaysia, Nigeria und im Iran für mehr Rechte einsetzen. Manche von ihnen bezeichnen sich als muslimisch und feministisch, andere nicht.
In Deutschland haben sich islamische Feminist*innen mit anderen Vertreter*innen der dritten feministischen Welle verbündet. In der neuen Bewegung sind vor allem Feminist*innen aktiv, die die Frage nach Geschlecht, Hautfarbe, Ethnizität und Sexualität mit der Frage nach Identitätspolitik verknüpfen. Sie alle eint der Wunsch, aus Zuschreibungen auszubrechen und die persönlichen Identitäten vielfältig ausleben zu können. Kritisiert wird dabei die Vereinheitlichung von Identitäten.

Heteronormativität beschreibt eine Weltanschauung und ein gesellschaftliches Wertesystem, das nur zwei Geschlechter (männlich und weiblich) und heterosexuelle Beziehungen (ein Mann und eine Frau) zwischen diesen Geschlechtern anerkennt und als normal ansieht.

Auch innerhalb der dritten Welle gibt es verschiedene Strömungen, die aber in ihren Ansätzen intersektional, heteronormativitätskritisch und queer orientiert sind. Ihnen geht es um vielfältige Identitäten, Körperpolitik, Sexualität, Konsumkritik, sexuelle Gewalt, sexuelle Kommerzialisierung, Antirassismus und Internet (vgl. Lenz 2018). „Nichtpraktizierende, fromm praktizierende, queere, straighte und viele andere Muslima“ (Gümüsay in Sirri 2017, S. 12) irritieren damit nicht nur weiße sowie nichtweiße Feministinnen alter Schule, sondern auch Mitglieder konservativer muslimischer Gemeinden und ziehen die Wut rechtsextremer Kreise und Islamisten auf sich.

Islamische Feminismen

Auch im innerislamischen Feminismus-Diskurs gibt es ganz verschiedene Positionen. Vertreter*innen der glaubensbasierten Position berufen sich in ihren Forderungen nach Frauenrechten auch auf den Koran und die Überlieferungen des islamischen Propheten Mohammad (Hadithe). Sie interpretieren diese Quellen neu und setzen voraus, dass Gerechtigkeit und Geschlechtergleichheit schon in den Schriften verankert seien (vgl. Sirri 2017, S. 28). Diese Feminist*innen sagen, der Islam stehe von Anfang für eine antipatriarchale Botschaft. Dafür beziehen sie sich auf Textpassagen aus dem Koran und den Hadithen und werfen konservativen Muslim*innen vor, die Texte falsch zu verstehen (vgl. Salah 2016, S. 49). So würden Frauen Rechte vorenthalten, die der Islam ihnen ursprünglich zuspreche.

Wie andere religiöse Texte auch, kann der Koran unterschiedlich interpretiert werden. Eine beispielhafte Erläuterung der Auslegungsmöglichkeiten von Textstellen, die die Stellung der Frau thematisieren, gibt der transkribierte Vortrag von Prof. Dr. Nahide Bozkurt.

„Ein methodischer Ansatz zur Frauenproblematik im Islam“:

http://www.ufuq.de/wp-content/uploads/2008/03/05440.pdf

Wissenschaftler*innen wie Fatima Mernissi bemühen sich auch darum, die männlich dominierte muslimische Geschichtsschreibung zu korrigieren. Sie wollen zeigen, dass Frauen in der islamischen Geschichte schon immer eine wichtige Rolle spielten. Dass Frauen in vielen islamischen Ländern immer noch benachteiligt sind, ist demnach nicht Folge der Religion, sondern Ausdruck von politischen Interessen.

Die Erb*innen des Kolonialismus

Musliminnen verändern den feministischen Diskurs. Ein weiterer feministischer Ansatz macht auf die Verflechtung der kolonialen Vergangenheit und die gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften aufmerksam. Vertreter*innen dieses Ansatzes betonen, dass die patriarchalen Machtverhältnisse , die die islamischen Gesellschaften bis heute prägen, durch den Kolonialismus verstärkt wurden. Sie kritisieren „weiße“ Feminist*innen, die für sich beanspruchen, für alle Frauen weltweit zu sprechen. „Weiße“ Feminist*innen würden ignorieren, dass Frauen keine globale, homogene Gruppe sind, sondern in ihren jeweiligen Ländern mit ganz unterschiedlichen Machtverhältnissen zu tun hätten. Dazu gehörten auch die Folgen des Kolonialismus, die von „weißen“ Feminist*innen übersehen würden.

Eine der wichtigsten Aufgaben des islamischen Feminismus sei es

deshalb nicht nur patriarchale Unterdrückungsverhältnisse infrage zu stellen, sondern gerade auch die überhebliche Vorherrschaft des weißen Feminismus zu bekämpfen. Dieser trage mit seiner dogmatischen, herablassenden Art entscheidend dazu bei, muslimische Frauen unsichtbar zu machen.

In Deutschland wird diese theoretische Auseinandersetzung an dem Konflikt zwischen Alice Schwarzer, der Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma, und Frauen, die sich als muslimisch und feministisch verstehen, sichtbar. So werfen muslimische Feminist*innen Schwarzer vor, in ihrem Kampf gegen das Kopftuch ein eindimensionales Bild „der unterdrückten muslimischen Frau“ zu zeichnen, die von „weißen Frauen“ gerettet werden müsse. Feminist*innen wie Schwarzer bezweifeln, dass sich eine Frau freiwillig bedeckt. Ihnen gegenüber stehen selbstbewusste junge Muslim*innen, die ihr entgegenhalten: „Du brauchst mich nicht zu befreien, ich bin schon frei.“ Für sie kann die Entscheidung für das Kopftuch auch eine freie Entscheidung sein.

veröffentlicht am 11.02.2020

Literaturverzeichnis

Barlas, Asma/ Bozkurt, Nahide/ Müller, Rabeya (2008). Der Koran neu gelesen: feministische Interpretationen. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. http://library.fes.de/pdf-files/akademie/berlin/05440.pdf [Zugriff: 18.06.2020]

Becker, Ruth/ Kortendiek, Beate (Hrsg.) (2010). Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: Springer VS.

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https://www.diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/heteronormativitaet [Zugriff: 22.01.20]

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https://gender-glossar.de/glossar/item/41-postkoloniale-theorie [Zugriff: 22.01.20]

Hennessy, Rosemary (2003). Feminismus. In: Haug, Frigga (Hrsg.) (2014), Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus. Hamburg: Argument-Verl., S. 155–170.

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Lenz, Ilse (2019). Feminismus: Denkweisen, Differenzen, Debatten. In: Kortendiek, Beate/Riegraf, Birgit/Sabisch, Katja (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 231-241.

Salah, Hoda (2010). Diskurse des islamischen Feminismus. In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2(1), S. 47-64. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-394005 [Zugriff: 22.01.20]

Sirri, Lana (2016). Wer bestimmt eigentlich mein Muslim_a* sein? In: Welt online.
https://www.welt.de/kultur/article157071773/Wer-bestimmt-eigentlich-mein-Muslim-a-sein.html [Zugriff: 22.01.20]

Thiessen, Barbara (2010). Feminismus: Differenzen und Kontroversen. In: Becker, Ruth/ Kortendiek, Beate (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: Springer VS, S. 37–42.