Promis entlarven Verschwörung(en) – und mein Freund glaubt ihnen

Unterwanderte Medien? Kinderblut trinkende Eliten? Im Corona-Frühling 2020 hat man den Eindruck, dass sich Pandemie-Regeln und Promi-Schrauben gleichermaßen nach und nach lockern. Da haben wir zum Beispiel Xavier Naidoo, der in Kurzvideos mal gegen die Wirksamkeit von Schutzmasken wettert, mal die Regierungspolitik verteufelt und mal zur Selbstjustiz aufruft. In einem Video sieht man Naidoo minutenlang um angeblich entführte Kinder weinen. Naidoo glaubt allen Ernstes, eine geheime internationale Elite würde eine Art Verjüngungsserum aus dem Blut entführter Kinder herstellen. „Ich stelle alles in Frage“, sagt er in einem neueren Video, sichtlich stolz auf seine Totalskepsis.

Das Ganze betrifft auch andere Promis. Zum Beispiel Attila Hildmann, im früheren Leben veganer Koch, heute die vielleicht prominenteste Leitfigur abstruser Denkweisen. Auf Telegram versammelt er Menschen um sich, denen er statt veganer Gerichte konspirative Denkweisen serviert. Deutschland nach Hildmann? Mittlerweile Diktatur und kurz vor dem Bürgerkrieg! Der Koch postet Fotos von sich mit Samuraischwert oder Sturmgewehr und ruft seine Follower auf, mit ihm in den Untergrund zu gehen. Und sie alle zur Rechenschaft zu ziehen – Merkel, Bill Gates, Drosten und wie sie alle heißen.

 

Abb. 2: Attila Hildmann bei einer Demonstration vor dem Reichstag. Quelle: AttilaHildmannTV

Sido, Hildmann, Naidoo –  sind Verschwörungstheorien nur etwas für Rapper*innen, Sänger*innen und Fernsehköch*innen? Nein. Was tun, wenn nicht Sido auf YouTube Verschwörungszeug quatscht, sondern mein Freund Stephan oder meine Freundin Laila im persönlichen Gespräch? Mein Onkel Robert auf der Geburtstagsparty? Mein Twitter-Bekannter, der eigentlich immer recht vernünftig schien? Manchmal kommt Verschwörungsdenken nicht aus irgendwelchen Telegram-Gruppen oder YouTube-Kanälen zu uns. Manchmal sitzt es mit uns am Tisch. Steht neben uns in der Raucherpause. Feiert mit uns Weihnachten oder Ramadan.

Verschwörungsdenken tickt anders

Was also tun, wenn einer/m solches Denken im persönlichen Umfeld begegnet? Wichtig ist, zwischen dem Inhalt einer Aussage und der Beziehung zwischen den Sprechenden zu unterscheiden. Das Problem mit dem Inhalt besteht darin, dass Verschwörungstheoretiker*innen eher locker mit Beweisen umgehen. Mehr noch: Als waschechte*r Verschwörungstheoretiker*in hat man es gar nicht nötig, Beweise vorzulegen. Hat man keine, sagt man einfach, dass man keine haben kann. Weil ja alles vertuscht wird und im Geheimen stattfindet. Im Gegensatz zu einer echten Theorie ist die Verschwörungstheorie reine Spekulation. Deswegen sollte sie, wie Kritiker*innen anmerken, vielleicht gar nicht „-theorie“ genannt werden, sondern Verschwörungsglaube, Verschwörungserzählung oder Verschwörungsmythos. Welchen Begriff man auch verwendet, es stimmt: Eine „echte Theorie“ ist eine Verschwörungstheorie jedenfalls nie.

Abb. 3, Hinterlistige Fragen, schwierige Antworten!? Quelle

Trotzdem sollte man sich im Umgang mit solchen Vorstellungen nicht mit reiner Spekulation zufriedengeben. Mitunter sagt derjenige, der z.B. behauptet, das World Trade Center sei durch die amerikanische Regierung selbst angriffen worden: „Beweise du mir doch das Gegenteil!“ Doch so funktioniert Argumentieren leider nicht: Wer eine Aussage aufstellt, muss sie auch belegen. Man kann hier auch von einer Beweislast sprechen. Die Beweislast für eine Aussage liegt beim/bei der Sprecher*in. Das sind die Regeln des dialogischen Spiels. Ich kann ja auch nicht behaupten, der Mond bestehe nicht aus Mondstein, sondern aus Schweizer Hartkäse – und jedem, der meine Hartkäsetheorie für Schwachsinn hält, entgegnen: „Beweise du mir doch das Gegenteil!“

Spekulation aus Prinzip

Auf der Sachebene ist es daher schwer, Verschwörungstheoretiker*innen zu begegnen, weil sie gegen Beweise und Gegenargumente quasi immun sind. Verschwörungstheorien haben insofern mehr mit dem religiösen Glauben gemein als mit wissenschaftlicher Theorie – denn wie die Religion ist auch der Verschwörungsglaube nicht-empirisch, d.h. nicht an faktische Tatsachen gebunden, sondern eben Glaubenssache. Obwohl es also richtig und wichtig ist, einem Sido oder Xavier oder auch Onkel Robert auf argumentativer Ebene entgegenzutreten, ist dies bei schon stark radikalisierten Verschwörungstheoretiker*innen beinahe aussichtslos. Wer glaubt, dass eine geheime Elite – möge sie nun Blut trinken oder Rotwein – das Weltgeschehen kontrolliert, ist bereits so weit entfernt von überprüfbaren Tatsachen, dass er oder sie sich nicht so schnell zurückholen lässt.

Persönliche Nähe als Türöffner

Bleibt also die Beziehungsebene, also die Beziehung zwischen den Sprechenden, um auf solche Argumente zu reagieren. Sollte ich mich tatsächlich mit „NewWorldOrder93“ unter einem YouTube-Video streiten? Mit Max Mustermann in der Kommentarspalte? Die Antwort lautet: Wohl kaum. Aus zwei Gründen. Erstens ist es schwer, Menschen aus der Ferne des Internets menschlich näherzukommen. So nobel Gegenrede im Internet auch ist: Man hat, zweitens, relativ geringe Erfolgschancen, die Meinungen anderer im Internet geradezurücken. Man verstehe mich nicht falsch: Gegenrede ist eine gute Sache, prinzipiell. Auch im Internet und insbesondere dort, wo ein vielleicht noch unentschlossenes Publikum zuhört. Weil sich konspirative Meinungen ohne Widerspruch normalisieren. Im Internet, auf Distanz, unter Fremden, ist die Lage jedoch wenig aussichtsreich.

Abb. 4: Wie man die Vertrauensbasis stärken kann Quelle

Mehr Erfolg verspricht das Gespräch mit Menschen aus unserem direkten Umfeld, wenn uns merkwürdige Aussagen auffallen. Hier kann man nachhaken, wenn die Argumentation komisch wird. Wir alle hören eher auf Menschen, die uns als Menschen wichtig sind, weil wir sie persönlich kennen. Und zwar egal worum es geht. Daher ist Gegenrede, Argumentieren, Sichtweisen tauschen dort besonders sinnvoll, wo man sich menschlich nahesteht. Nicht selten ist das Verbreiten von Verschwörungstheorien ein Schrei nach Aufmerksamkeit oder eine Provokation, hinter der vor allem eine Nachricht steht: „Bitte höre mir zu!“ Oft brauchen Verschwörungstheoretiker*innen einfach nur Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

Eine Freundin oder einen Verwandten kann ich mit dem Hinweis irritieren, dass es „die“ Medien gar nicht gibt – wenn die Person zum Beispiel behauptet, „die“ Medien würden alle lügen. Mein Argument findet in diesem Gespräch auch deswegen Gehör, weil wir uns kennen und mögen. Es macht es einfacher, wenn wir die Sachebene mit der Beziehungsebene verbinden. Inhaltlich argumentieren ist das eine, menschlich zur Stelle sein und heraushören, was grundsätzlich los ist, ist das andere.

Erklärungen statt Bauchgefühl

Bei allen Überlegungen, wie man mit Verschwörungstheorien unter Freund*innen und Bekannten umgeht, ist aber eins wichtig: Es gibt weder die Verschwörungstheorie noch den/die Verschwörungstheoretiker*in – und folglich auch keine allgemeingültige Gegenstrategie, die man immer anwenden könnte. Viele Menschen, die in sonderbare Sichtweisen abgleiten, leitet zunächst auch ein legitimes Erkenntnisinteresse. „Die Frage, die ich mir sowieso immer als Erstes stelle, wenn ich was höre, ist: Warum?“, sagt Sido im Gespräch mit Ali. Klingt logisch. Doch Vorsicht: Interessant ist nicht das Warum selbst, sondern der Weg, wie dieses Warum beantwortet wird. Erklärungen können nämlich sinnvoll, nachvollziehbar und an der Wirklichkeit überprüfbar sein – oder spekulativ, mehr Meinung als Ahnung, mehr Rätselraten als Wissen. Alarmglocken sollten angehen, wenn nach dem Warum nur nach Bauchgefühl spekuliert wird und die Erklärung sich in einer ewigen „Könnte doch sein?“-Schleife verliert. Dann ist es nämlich keine Erklärung, sondern bloß Spekulation, die oft mehr schadet, als sie nutzen würde. Lange Rede, kurzer Sinn: Bei manchen Gedankengängen bleibt nur die Frage „Warum nur? Was soll der Quatsch?“

veröffentlicht am 15.06.2020

Jan Skudlarek (*1986) ist promovierter Philosoph und beschäftigt sich in seinen Büchern mit gesellschaftsphilosophischen Themen. Zuletzt erschien „Wahrheit und Verschwörung“ (2019) bei Reclam. Unterwegs auf Twitter. Umfassende Information und Aufklärung über Verschwörungsdenken bietet die Seite „Der Goldene Aluhut“.