Inhalt
Konflikte als Arbeitsbereich von (Medien-)Pädagogik und Entwicklungsaufgabe für junge Menschen- Teil 1: Expertise zur demokratischen Aushandlung von Konflikten in und mit Medien
- Konflikte begleiten und gestalten
- Stress mit der Lehrkraft
- Triggerpunkte gesellschaftspolitischer Konflikte
- Sind viele Konflikte schlecht für eine Gesellschaft?
- Der Umgang mit Konflikten als Entwicklungsaufgabe
- Konflikte um den Klima-Aktivismus junger Menschen
- Wie werden Konflikte ausgetragen?
- Was ist neu durch den digitalen Wandel?
- Vier Aushandlungsformen von Konflikten
- Ausblick auf den zweiten Teil der Expertise
- Literaturverzeichnis
Konflikte um den Klima-Aktivismus junger Menschen
Mit „Fridays für Future“ und der „Letzten Generation“ wurden der Aktivismus junger Menschen zum Schutz des Klimas und die Notwendigkeit einer ökologischen Wende für breite Bevölkerungsschichten zu Themen mit großer Wichtigkeit. Besonders einige Aktionsformen der Klimaaktivist*innen gerieten jedoch in die Kritik: Sie schwänzten die Schule, beschmierten Kunstobjekte und historische Denkmäler mit Farbe, sie blockierten Stadtautobahnen und Startbahnen von Flughäfen. In den Begriffen von Mau et al. waren für die Aktivist*innen Entgrenzungsbefürchtungen ein Auslöser ihrer radikalen Aktionen. Überzeugt von den wissenschaftlichen Ergebnissen der Klimaforschung glauben sie, dass die Politik zu langsam handelt, um unwiderrufliche Kipppunkte des Weltklimas zu vermeiden. Über sich selbst schreibt bspw. die „Letzte Generation“:
„Wir sind die Letzte Generation, die den Kollaps unserer Gesellschaft noch aufhalten kann. Dieser Realität ins Auge blickend, nehmen wir hohe Gebühren, Straftatvorwürfe und Freiheitsentzug unerschrocken hin.“ [1]
In der Selbstdarstellung beschreibt die „Letzte Generation“ ihre Aktionen gegen den Klimawandel als Kampf „gegen den Kollaps unserer Gesellschaft“. Dass ihre Aktionen von großen Teilen der Bevölkerung als Normalitätsverstöße bewertet werden, ist einerseits Teil ihrer Öffentlichkeitsstrategie. Andererseits machen sie damit deutlich, dass die Normalität der Mehrheit für sie selbst einen Normalitätsverstoß darstellt, weil die aus ihrer Sicht so dringend notwendige Klimapolitik nicht umgesetzt wird. An dieser Stelle wird sichtbar, wie unterschiedlich die Vorstellungen von Normalität sein können. Während die Aktivist*innen es für normal/gerechtfertigt halten, auf Basis der wissenschaftlichen Prognosen mit zivilem Ungehorsam den Klimawandel zu bekämpfen, besteht konsequente Klimapolitik für viele andere Menschen aus so vielen Verhaltenszumutungen, dass die Normalität ihres Lebens sich für sie zu schnell ändern würde.
Die Ausführungen zeigen, dass der Konflikt um die richtige Politik gegen den Klimawandel unterschiedliche Triggerpunkte bedient und verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich davon betroffen sind. Darüber hinaus ist es wichtig, herauszustellen, dass einzelne politische Akteur*innen die Triggerpunkte gesellschaftspolitischer Diskussionen gezielt bedienen wollen. Das zeigen zum einen die Klimaaktivist*innen selbst mit ihren Protestformen. Zum anderen werden die Konflikte und die mit ihnen einhergehende Empörung aber auch gezielt von Rechtspopulist*innen genutzt, um Politik gegen den Klimawandel als Entmündigung der Bürger*innen darzustellen und über eine angeblich bevorstehende grüne Diktatur zu spekulieren (vgl. Richter et al. 2022). Mau et al. beschreiben diese politischen Akteur*innen als Polarisierungsunternehmer*innen, die über Triggerpunkte der gesellschaftlichen Konfliktfelder versuchen, Aufmerksamkeit und Gefolgschaft zu erreichen (Mau et al. 2023, S. 375ff.). Sichtbar wird in der Auseinandersetzung um Politiken des Klimaschutzes, dass Konflikte nicht nur in Bezug auf einzelne Themen entstehen, sondern sich auch am „Wie“ ihrer Aushandlung entfachen können.