Inhalt
Konflikte als Arbeitsbereich von (Medien-)Pädagogik und Entwicklungsaufgabe für junge Menschen- Teil 1: Expertise zur demokratischen Aushandlung von Konflikten in und mit Medien
- Konflikte begleiten und gestalten
- Stress mit der Lehrkraft
- Triggerpunkte gesellschaftspolitischer Konflikte
- Sind viele Konflikte schlecht für eine Gesellschaft?
- Der Umgang mit Konflikten als Entwicklungsaufgabe
- Konflikte um den Klima-Aktivismus junger Menschen
- Wie werden Konflikte ausgetragen?
- Was ist neu durch den digitalen Wandel?
- Vier Aushandlungsformen von Konflikten
- Ausblick auf den zweiten Teil der Expertise
- Literaturverzeichnis
Sind viele Konflikte schlecht für eine Gesellschaft?
Dass in der deutschen Gesellschaft viele Konflikte zeitgleich verhandelt werden, muss nicht zwangsläufig als problematisch angesehen werden. Grundlegend für eine positivere Perspektive auf Konflikte ist, dass pluralistische und demokratische Gesellschaften darauf ausgelegt sein müssen, Konflikte zuzulassen. Denn dass Konflikte öffentlich formuliert und ausgehandelt werden können, ist ein Zeichen für die Offenheit ihrer politischen Struktur in Bezug auf die Bedürfnisse und Problemlagen ihrer Mitglieder (Coser 2009; El-Mafaalani 2018; Stark 2008). Hilfreich ist an dieser Stelle, sich zu vergegenwärtigen, was als soziale bzw. gesellschaftliche Konflikte bezeichnet wird:
„Sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen zwei Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen), wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz im Wahrnehmen, im Denken bzw. Vorstellen, im Fühlen und im Wollen mit dem anderen Aktor in der Art erlebt, dass beim Verwirklichen dessen, was der Aktor fühlt, denkt oder will eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor erfolgt“ (Glasl 2020, S. 17).
Glasls Definition kann gut mit den von Mau et al. beschriebenen Triggerpunkten verbunden werden. Auch die Triggerpunkte gehen auf Wahrnehmung und Gefühle ein (Entgrenzungsbefürchtungen, Normalitätsverstöße). Und sie beziehen sich darauf, dass sich Personen in ihren Handlungen von anderen beeinträchtigt fühlen können (Verhaltenszumutungen, Ungleichbehandlung), zum Beispiel dann, wenn sie glauben, gendern zu müssen oder ihr Konsumverhalten als klimaschädlich markiert wird.
Dass Konflikte entstehen, hat somit zum einen damit zu tun, dass ein Aktor (Individuen, Gruppen, Organisationen) eine Beeinträchtigung, für die er einen anderen Aktor als verantwortlich sieht, nicht länger hinnehmen möchte. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Menschen sich durch Sprache diskriminiert fühlen und eine Veränderung einfordern – oder wenn Menschen sich gegen diese Veränderung wehren. Es hat aber ebenso mit den strukturellen Voraussetzungen zu tun, die es ermöglichen, die Beeinträchtigung als Konflikt zu markieren. Denn nur wenn Missstände auch öffentlich angesprochen werden können, werden sie sichtbar.
Demokratische Systeme mit weitgehend unregulierten Öffentlichkeiten bieten hierfür wesentlich mehr Möglichkeiten als autokratische oder totalitäre Systeme. In letzteren können viele soziale Konflikte und vor allem solche, die sich gegen herrschende Akteur*innen richten, nur unter wesentlich größeren Kosten artikuliert und ausgetragen werden. Die Zahl öffentlich wahrnehmbarer Konflikte ist dadurch in diesen Systemen wesentlich kleiner als in demokratischen; allerdings nicht, weil es dort zwangsläufig weniger Konflikte gäbe, sondern weil die gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Dass es in Deutschland viele Konflikte gibt und diese auch verhandelt werden, ist somit für sich genommen kein schlechtes Zeichen. Einen förderlichen Umgang mit ihnen zu finden, bleibt jedoch eine Herausforderung.