Inhalt
Konflikte als Arbeitsbereich von (Medien-)Pädagogik und Entwicklungsaufgabe für junge Menschen- Teil 1: Expertise zur demokratischen Aushandlung von Konflikten in und mit Medien
- Konflikte begleiten und gestalten
- Stress mit der Lehrkraft
- Triggerpunkte gesellschaftspolitischer Konflikte
- Sind viele Konflikte schlecht für eine Gesellschaft?
- Der Umgang mit Konflikten als Entwicklungsaufgabe
- Konflikte um den Klima-Aktivismus junger Menschen
- Wie werden Konflikte ausgetragen?
- Was ist neu durch den digitalen Wandel?
- Vier Aushandlungsformen von Konflikten
- Ausblick auf den zweiten Teil der Expertise
- Literaturverzeichnis
Triggerpunkte gesellschaftspolitischer Konflikte
Der Streit zwischen Suzanna und ihrer Lehrkraft steht für einen typischen Moment gesellschaftspolitischer Konflikte in demokratischen Gesellschaften: Ungleichbehandlung stößt auf Widerstand. Wenn Ungleichbehandlung wahrgenommen wird, führt sie häufig zu Konflikten, ganz unabhängig davon, zu welchem politischen Lager sich die einzelnen Personen zählen. Während sich Suzanna über rassistische Diskriminierung ärgert, gibt es andere, die Ungleichbehandlung in „Sonderrechten“ für Minderheiten oder marginalisierte Gruppen wahrnehmen, bspw. in Einstellungsquoten für Frauen oder Menschen mit Behinderung. Die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser (2023) bezeichnen Ungleichbehandlung als einen Triggerpunkt für gesellschaftliche Diskussionen. Mau et al. beschreiben damit Ausgangspunkte für Konflikte, „die Menschen zu sehr vehementen, gegensätzlichen und oft auch stark emotionalen Positionierungen“ veranlassen (Mau et al. 2023, S. 244).

Neben Ungleichbehandlungen sehen Mau et al. drei weitere Triggerpunkte für gesellschaftspolitische Konflikte. Ein weiterer Triggerpunkt sind Normalitätsverstöße. Unsere Lebenswelt besteht in wichtigen Teilen aus subjektiven Routinen und dauerhaften gesellschaftlichen Strukturen. Normalität schafft Erwartbares und beinhaltet Vorstellungen des Wünschenswerten. Das ist entlastend, kann aber auch Ungerechtigkeiten konservieren. Denn die Herstellung des von der Mehrheit „der Normalen“ für wünschenswert Befundenen ist immer auch mit Macht verbunden, die ausschließen und diskriminieren kann (vgl. Rommelspacher 1997). Das machen sich auch rechtspopulistische Parteien zunutze. Ein Beispiel dafür ist der Wahlkampfslogan der AfD „Deutschland, aber normal“. An diesen Stellen wird sichtbar, wie sehr Normalität auch mit normativen Setzungen von richtig/gewohnt/normal und falsch/neu/unnormal verknüpft ist. Und es wird deutlich, wie wichtig und gleichzeitig herausfordernd es für pädagogische Fachkräfte sein kann, die Diskussionen um gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu begleiten und mitzugestalten.
Eng verbunden mit Normalitätsverstößen sind Befürchtungen, dass gesellschaftlicher Wandel überhandnehmen könnte. Mau et al. beschreiben das als Entgrenzungsbefürchtung. Sie beziehen diese auf Migrationsbewegungen nach Deutschland und auf die Abwehr eines „Zuviel“ an Veränderung, was sich dann beispielsweise in Begriffen wie „Flüchtlingswelle“ oder „Migrationsflut“ ausdrückt oder in dem auch im Wahlkampf schon plakatierten Ausruf „Das Boot ist voll“. Neben der Migration nach Deutschland oder in die Europäische Union sind die Entgrenzungsbefürchtungen aber auch auf gesellschaftliche Diskussionen bezogen, durch die die eigene Normalität herausgefordert wird. Wenn so unterschiedliche Themen wie Gender, Rassismus, Migration, Klimawandel, Verkehrs- und Zeitenwende intensiv und gleichzeitig diskutiert werden, wird ein Großteil von Normalität infrage gestellt und es kann in der Summe das Gefühl entstehen, sich entweder (radikal) abgrenzen zu müssen oder nicht mehr mitzukommen. Mau et al. schreiben:
„Momente des befürchteten Kontrollverlustes, in denen es scheint, als führe eine Veränderung allzu rasch zur nächsten und eine kleine Öffnung bald zum völligen Dammbruch, lösen empörte Abwehr aus“ (Mau et al. 2023, S. 277).
In diesen Kontext gehört ein vierter Triggerpunkt, den Mau et al. als Verhaltenszumutungen bezeichnen. Forderungen nach vegetarischer oder veganer Ernährung, diskriminierungssensibler Sprache, der Reflexion der eigenen (bspw. rassistischen) Selbstverständlichkeiten oder auch des eigenen klimaschädlichen Konsums formulieren in der Konsequenz auch: Wir können nicht so bleiben, wie wir sind. Hier wird deutlich, wie die beschriebenen Triggerpunkte nicht nur die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft betreffen, sondern auch bei marginalisierten Gruppen oder Minderheiten für Aufregung sorgen können. Zum Beispiel wenn Forderungen nach der Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt und einer gendergerechten Sprache neben konservativen Mehrheitsdeutschen bspw. auch konservative migrantische Communitys triggern.