Pluralismus als Abweichung von der göttlichen Ordnung – islamistische Narrative zu innerislamischer Diversität

Mit der Konstruktion von „Wir“- und „Ihr“-Gruppen geht auch das Bemühen einher, das „Wir“ selbst zu bestimmen und Abweichungen von dessen vermeintlich authentischen Merkmalen und Eigenschaften sichtbar zu machen.

Im islamistischen Spektrum äußert sich dieser Kampf gegen einen „inneren Feind“ in der Ablehnung von innerislamischer Diversität, die der Annahme einer homogenen und klar bestimmbaren Gemeinschaft der Muslim*innen (arab. ummah) entgegensteht. Auf salafistischen YouTube-Kanälen zeigt sich dies beispielsweise in scharfen Angriffen auf Schiit*innen, Yesid*innen, Alevit*innen, Gläubige der Ahmadiyya-Gemeinschaft und mystischer Bewegungen (Sufismus). So schließen Prediger wie Abul Baraa oder Ibrahim al-Azzazi eine Zugehörigkeit dieser Konfessionen zum Islam in ihren Videos ausdrücklich aus und üben fundamentale Kritik an der Seriosität dieser Glaubensgemeinschaften.[1]

Konsens unter den Akteur*innen der PrE besteht zudem in Hinblick auf eine Ablehnung von Muslim*innen, die Reformen im Islam fordern oder neue Wege der Interpretation und Auslegung suchen, sowie in der Ablehnung von Bemühungen, islamisch-religiöse Bildung auch in staatlichen Bildungseinrichtungen zu etablieren.

Abbildung 7: Beispiel für die Abwertung andersdenkender muslimischer Menschen. Quelle: Botschaft des Islam, YouTube.

Ihre Publikationen und Aktivitäten werden in der Regel mit der zuvor skizzierten Verschwörungserzählung einer systematischen langfristigen und generellen Bekämpfung des Islams in Deutschland in Verbindung gebracht.[2] In den Videos werden die betroffenen Personen auch direkt und persönlich scharf angegriffen, weil sie den Islam verfälschen und den deutschen Staat bei dem Versuch unterstützen würden, den Islam abzuschaffen. Zu den häufig als Verräter*innen oder Heuchler*innen diffamierten Personen gehören zum Beispiel: Mouhanad Khorchide, Ahmad Mansour, Hamed Abdel-Samad, Abdel-Hakim Ourghi, Saïda Keller-Messahli und Bassam Tibi. Die persönlichen Angriffe richten sich zudem gegen Influencer*innen wie Yunus Peace, Abu Haggar, Issam Bayan oder die Datteltäter.[3]

Die Akteur*innen der PrE beteuern als Gegenideale, dass für sie Koran und Sunna die einzigen Maßstäbe ihres Handelns und Denkens seien – und nicht menschengemachte Gesetze oder politische Systeme. Einer vielstimmigen und auch kontroversen Diskussions- und Interpretationskultur im Islam setzen sie die Sehnsucht nach einer einheitlichen islamischen Gemeinschaft entgegen, die mit einer Stimme spricht und bereits in der Frühzeit des Islams existiert habe. Sie müsste wiederhergestellt werden, da dies ein wesentlicher Faktor für die siegreiche Frühzeit und Überlegenheit des Islams gewesen sei. Verbunden mit dieser Utopie einer globalen islamischen Gemeinschaft, die Konflikte und Probleme überwinden könne, ist die Betonung von Traditionen der Sunna, die von der Spaltung der islamischen Gemeinschaft in 73 Gruppen berichten, wobei nach Aussage des Propheten Muhammad nur eine einzige von diesen Gruppen als wahre Vertreter*innen des Islams errettet werde. Die Akteur*innen der PrE vermitteln den Eindruck, dass sie zu dieser Gruppe gehören und man daher ihnen folgen müsste, wenn man ins Paradies kommen möchte.[4]