„Wir“ versus „Ihr“ – die Abgrenzung von Nichtmuslim*innen in islamistischen Narrativen

In islamistischen Videos nehmen Abgrenzungen von der deutschen bzw. westlichen Gesellschaft breiten Raum ein. Dabei sind beispielsweise auf YouTube mehrere Kanalgruppen identifizierbar, die unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte herausgebildet haben. Kanäle wie „Generation Islam“, „Realität Islam“ oder „Muslim Interaktiv“, die der in Deutschland seit 2003 verbotenen Organisation der Hizb ut-Tahrir nahestehen, richten ihre Kritik häufig auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die sie mit der Annahme einer Verschwörung gegen „die“ Muslim*innen und „den“ Islam verbinden.[1]

Eine zweite Gruppe von Kanälen konzentriert sich in ihren Videos auf religiöse Themen, über die Unterschiede zwischen einer vermeintlich islamischen Moral und moralisch-ethischen Überzeugungen der Mehrheitsgesellschaft herausgestellt werden. Zu dieser zweiten Gruppe gehören die populärsten Kanäle der Peripherie des religiös begründeten Extremismus (PrE) überhaupt: „Botschaft des Islam“ und „Lorans Yusuf“.[2]

Abbildung 1: Beispiel für islamistische Kanäle, für die die Delegitimierung des Christentums zentral ist. Quelle: Iman TV, YouTube.

Für eine dritte Gruppe von Kanälen ist die explizite Auseinandersetzung mit dem Christentum und dessen Delegitimierung zentral.Zu diesen Kanälen gehören zum Beispiel „Iman TV“, „Fitrah Dawah“ und „STAR MOON Islam“ mit seinem Zweitkanal „Star Moon VS Missionare“.[3] Videos mit abwertenden und abgrenzenden Botschaften zum Christentum und zu westlichen Gesellschaftssystemen zählen zu den am häufigsten kommentierten Videos, wobei die Kommentare fast immer Zustimmung zum Ausdruck bringen und die Aussagen der Videos bekräftigen.[4]

Sämtliche Kanäle der PrE sind missionarisch ausgerichtet und zeigen beispielsweise Videos mit Konvertierungen.[5] Hinsichtlich des Zusammenlebens zwischen Muslim*innen und Christ*innen in Deutschland rufen Akteur*innen der PrE-Kanäle dagegen zur Distanz auf. So halten vor allem Sprecher aus dem salafistischen Spektrum eine Teilnahme oder Anteilnahme von Muslim*innen an christlichen oder allgemeinen Festen für eine Sünde und raten von Freundschaften und Ehen mit Nichtmuslim*innen ab.[6]

In diesen Videos gilt das Christentum selbst als eine verfälschte Religion. Besonders prominent wird dieses Argument von den beiden österreichischen Kanälen „Iman TV“ und „Fitrah Dawah“ verbreitet. Das mehrstündige Live-Talk-Format von „Iman TV“ erreicht dabei regelmäßig überdurchschnittlich hohe Aufrufzahlen (> 20.000) mit einer lebhaften Beteiligung des Publikums im begleitenden Live-Chat und in der Kommentarspalte. Das Videoformat beginnt mit einer Einführung in das Thema, in der die Sprecher begründen, warum sie ihre Thesen für richtig halten. Im Anschluss daran fordern sie das Online-Publikum auf, diese Thesen zu widerlegen und als Diskutant*innen der Diskussionsrunde des Livestreams beizutreten. Die Diskussionen verlaufen überwiegend in einem betont sachlichen und höflichen Ton, auf den die Moderatoren von „Iman TV“ Wert legen.

Insgesamt ist das Format jedoch auf Konfrontation und Polarisierung angelegt. Diskussionsgäste können beispielsweise keine anderen möglichen Perspektiven und Zugänge zum gesetzten Thema einführen, sondern werden sofort von der Moderation unterbrochen und aufgefordert, die lancierten Thesen zu widerlegen. Bewährte Regeln zur Gestaltung konstruktiver Gesprächssituationen zwischen Religionen, wie sie Vertreter*innen von Christentum, Judentum und Islam zum besseren gegenseitigen Verstehen entwickelt haben, haben hier keinen Raum. Zudem scheinen es zumeist evangelikal orientierte Christ*innen zu sein, die sich an den Debatten beteiligen und tatsächlich mit dem Anspruch einsteigen, sie könnten die Thesen widerlegen. „Iman TV“ betreibt damit ein polarisierendes Format, das eher an Situationen aus vergangenen Zeiten der Religionskämpfe zwischen Christ*innen und Muslim*innen erinnert.[7]

Abbildung 2: Islamist*innen suggerieren oftmals die vermeintliche Unvereinbarkeit von Islam und Deutschland. Quelle: Botschaft des Islams, YouTube.

Sämtliche Kanäle der PrE propagieren eine Distanzierung von der deutschen Gesellschaft. Es sei eine moralisch verwerfliche und dekadente Gesellschaft, die eine große Versuchung für Muslim*innen darstelle und ein Leben nach islamischen Werten verhindere. Als letzter Ausweg bleibe nur noch die Auswanderung.[8]

Abbildung 3: Gruppen wie Generation Islam lehnen Wahlen ab. Quelle: Generation Islam, YouTube.

Auch von einer Beteiligung an Wahlen wird beispielsweise von den Kanälen aus dem Umfeld der Hizb ut-Tahrir abgeraten.[9] Kanäle wie „Generation Islam“, „Muslim Interaktiv“ oder „Botschaft des Islam“ unterstellen etablierten Parteien und staatlichen Institutionen, dass sie eine langfristige Umerziehung der deutschen Bevölkerung betreiben, um den Islam in Deutschland zu vernichten. Unterstützung erhielten sie dabei von den Medien, die ebenfalls seit Jahrzehnten umfassend antimuslimischen Rassismus schürten und generell Lügen verbreiten würden. Ein besonderes Mittel der deutschen Politik, das diesen Zielen diene, sei zudem die Integrationspolitik („Assimilationszwang“). Als Helfershelfer*innen dienen in dieser Verschwörungserzählung auch liberale und reformorientierte Muslim*innen. Die Akteur*innen der PrE beschreiben vornehmlich düstere Umstände von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Verfolgung von Muslim*innen in Deutschland, als ob es weder Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- oder Religionsfreiheit für sie gäbe.[10] Ein besonders markanter Beweis sei zudem die als heuchlerisch bezeichnete deutsche Außenpolitik gegenüber islamischen Staaten und insbesondere im Israel-Palästina-Konflikt.[11] Letztlich geht es in diesen Darstellungen allerdings nicht allein um aktuelle Ereignisse und Entwicklungen, sondern um einen überhistorischen Konflikt, der als Kampf der Kulturen zwischen Islam und dem sogenannten Westen und der Demokratie beschrieben wird.[12]