„Wir“ versus „Ihr“ – der äußere Feind in rechtsextremen Narrativen

Auch in Online-Medien des rechtsextremen Spektrums geht die Konstruktion von „Wir“- und „Ihr“-Gruppen mit Abgrenzung und Abwertung einher. Anders als bei Islamist*innen verläuft die Grenze zu den „Anderen“ dabei nicht entlang religiöser, sondern völkisch-nationaler Linien. Innerhalb des klassischen Rechtsextremismus wird die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft biologistisch begründet. Das „Volk“ wird als organische Einheit interpretiert und mythologisiert. Zugehörig sind nur Personen aus einer gemeinsamen Abstammungs- und Fortpflanzungsgemeinschaft, wobei sich die „Völker“ der Welt einander hierarchisch über- und unterordnen lassen. Die Andersheit der „Anderen“ ist diesem Verständnis nach eine natürliche Tatsache (vgl. Wildt 2017). Der Pluralismus, wie in demokratischen Gesellschaften gefördert, führt entsprechend rechtsextremer Denkmuster zum „Volkstod“, da das Volk nach und nach durch Atomisierung aufgelöst werde (Elsässer 2016).

Abbildung 4: Rechtsextreme Akteure instrumentalisieren aktuelle Debatten um den demografischen Wandel für ihre Propaganda, indem sie Angst vor einem vermeintlichen „Volkstod“ schüren. Quelle: Der Dritte Weg, Website.

Diese Narrative werden beispielsweise von rechtsextremen Gruppierungen wie „Der III. Weg“ verbreitet. Die neofaschistische Partei sieht sich selbst als Nazi-Elite. Mit Themen wie Wehrhaftigkeit, Körperkult, Volksgemeinschaft und Umweltschutz hat sie jüngst viel Zulauf zu ihrer Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend (NRJ)” erhalten. Aktiv ist „Der III. Weg“ und ihre Jugendorganisation vorwiegend in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin, online gibt es u. a. einen BitChute-Kanal sowie mehrere Webseiten und Telegram-Kanäle der lokalen Ableger (Ayyadi 2022). Die Partei machte u. a. auch in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auf sich aufmerksam. Auf verschiedenen Online-Kanälen wird mit dem Slogan „Das System ist gefährlicher als Corona“ versucht, die Proteste zu radikalisieren und im Mainstream zu verankern. „Der III. Weg“ ist nur einer von unzähligen Akteur*innen, die online aktiv sind und entsprechende Narrative verbreiten. Bei diesen Akteur*innen handelt es sich um ein breites Netzwerk rechtspopulistischer, rechtsextremer und rechtsterroristischer Gruppierungen aus Politik, Kameradschaften, Verlagen, Webseiten und mehr oder weniger prominenten Einzelpersonen, die über diverse Social-Media-Plattformen und Instant Messenger ihre Ideologien verbreiten.

Besonders gekonnt gehen Gruppen wie die „Identitäre Bewegung (IB)“ mit der „Informationsinfrastruktur“ und der „Manipulationstechnik“ der Plattformen um (Fielitz/Marcks 2020, S.10–15). Die IB zählt zur rechtsextremen Strömung der „Neuen Rechten“ und ist in Deutschland seit Ende 2012 aktiv. Seitdem macht sie v. a. mit spektakulären, für die virale Verbreitung angelegten Aktionen auf sich aufmerksam.

Die IB wird vom Verfassungsschutz seit 2019 als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Seit 2020 wurden zudem diverse Social-Media-Kanäle der IB in Deutschland gesperrt, einige Kanäle sind aber weiterhin online. So ist der YouTube-Kanal „Identitäre Bewegung Deutschland“ nach wie vor zugänglich und verzeichnet 26.800 Abonnent*innen (Stand: 15.05.2022). Sehr aktiv ist die Organisation auch auf Telegram. Dort verzeichnet der Kanal von Martin Sellner, dem Sprecher der Identitären Bewegung, allein 64.000 Abonnent*innen.

Neurechte Bewegungen wie die IB können für junge Rezipient*innen aufgrund eines jungen und aktivistischen Auftretens besonders interessant sein. Dies liegt an einem bewussten Imagewechsel und einer Verschleierungstaktik, die dazu dient, sich von klassischen Rechtsextremen zu unterscheiden.

Abbildung 5: Ziel der Neuen Rechten ist die gesellschaftliche Homogenität. Das verstecken sie aber hinter dem Konzept des Ethnopluralismus. Quelle: Identitäre Bewegung Deutschland, Telegram-Kanal.

Mit dem Konzept des Ethnopluralismus[1] grenzt sich die „Neue Rechte“ formal von biologistischen Vorstellungen ab, wie sie dem Rassismus historisch zugrunde liegen. Gleichwohl spiegelt sich auch in dieser Vorstellung von besonderen kulturellen Prägungen die Annahme von vermeintlich distinkten und unveränderbaren ethnischen Eigenschaften, die die Angehörigen einer Ethnie ausmachten. Diesem sogenannten kulturalistischen Rassismus zufolge haben Menschen eine statische, unveränderbare Kultur, die nach innen hin homogen ist. Die ethnischen Unterschiede seien unüberwindbar, die Abgrenzung zu anderen Völkern im Rahmen des globalen Ethnopluralismus folglich unumgänglich. Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe läuft hier entlang eines natürlich angestammten Lebensraums der Völker. Diese kulturelle Homogenität gelte es im Rahmen des globalen Ethnopluralismus vor äußerer Bedrohung zu schützen, denn eine Vermischung, wie in pluralistischen Gesellschaften gegeben, führe zur Zerstörung der verschiedenen ethnischen Identitäten und zur Entwurzelung der Individuen (Benoist 1983).

Volkszugehörigkeit wird dabei sowohl in klassischen rechtsextremen als auch neurechten Diskursen der Staatsbürgerschaft entgegengestellt. Diese müsse durch Exklusivität, Abgrenzung und historische Kontinuität geschützt werden, denn nur dadurch sei das „Überleben der Völker Europas“ und eine friedliche Weltordnung möglich (Identitäre Bewegung Deutschland 2022).

Abbildung 6: Der„Great Reset“ diene dazu, eine neue Weltordnung zu legitimieren, in der Finanzeliten die Kontrolle übernehmen. Eine Verschwörungserzählung, die von vielen rechten Akteuren verbreitet wird. Quelle: Revolte Rheinland,Instagram.

Der ethnopluralistische Ruf nach einer Bewahrung kultureller Vielfalt durch Abgrenzung dient letztlich dem Ziel, Menschen entsprechend vermeintlich ethnischer und kultureller Merkmale zu homogenisieren, und begründet damit einen völkischen Nationalismus. Pluralismus bezieht sich hier auf vermeintlich klar abgrenzbare ethnische Gemeinschaften, die nebeneinander bestehen; innergesellschaftlicher Pluralismus hingegen erscheint als Bruch mit einer natürlichen Ordnung, in der die kulturellen Besonderheiten der einzelnen Ethnien nicht mehr gewahrt sind.

Daran geknüpft sind diverse krude Verschwörungserzählungen, so etwa vom „Großen Austausch“, der darauf abziele, die deutsche Kultur und letztlich die Gesellschaft selbst durch Einwanderung zu zerstören. Diese Vorstellung findet sich häufig auch in Verschwörungsmythen, in denen „der“ Politik oder „den“ Medien unterstellt wird, sie würden bewusst Migrationsbewegungen schüren, um Deutschland zu islamisieren und christliche Nationen zu zerstören.