Eingrenzungen der Informationsräume

Eine weitere Form von Räumlichkeit besteht darin, dass junge Menschen über ihre Informationsräume auch Themen bearbeiten, die sie verunsichern, und sie in Reaktion darauf, wenn die Verunsicherung sich nicht verringern lässt, versuchen, diese Thematiken in ihrer Relevanz einzugrenzen. Ein Beispiel dafür zeigte sich bei Clara, 24 Jahre, weiblich, nebenberufliche Studentin. Clara thematisierte in ihrem Interview den Einfluss sozialer Medien auf die Identitätsfindung und psychische Gesundheit. Sie arbeitete hauptberuflich Teilzeit in einem sozialen Tätigkeitsbereich. Das von ihr gesetzte Thema war eines, das sie persönlich beschäftigte, aber auch für ihre Klientel eine wichtige Rolle spielte.  

Abb. 19, Informationsraum Clara (24 Jahre, weiblich, Abitur) zum Thema Social Media/Mental Health. Copyright JFF.

Clara sprach im Interview sehr offen darüber, dass sie teilweise mit Neid auf die Bilder entfernter Bekannter auf Instagram reagiere. Diese stellten sich dort als erfolgreiche Künstler*innen dar, dabei wüsste sie genau, dass die Bilder viele Schwierigkeiten nicht zeigten und Privilegien nicht thematisierten, über die Clara selbst nicht verfügte, was ein Grund dafür war, dass sie selbst den Weg als Künstlerin aufgegeben hatte. Clara reflektierte aber auch, wie unfair ihr Neid teilweise sei, und fühlte sich nicht wohl damit. Darüber tauschte sie sich auch mit ihren Freund*innen aus. Der hier hervorzuhebende Punkt in Bezug auf Claras Informationsraum geht jedoch noch ein Stück weiter: Claras Unwohlsein in Bezug auf die eigenen Reaktionen und ihre Auseinandersetzung damit in digitalen Medien hatte immer wieder zur Folge, dass der Algorithmus ihr scheinbar zunehmend Videos zeigte, die ihre Stimmung weiter verschlechterten. Ganz besonders aufgefallen war ihr das bei TikTok während einer Phase, in der es ihr nicht gut ging:  

„TikTok ist so eine Hassliebe. TikTok ist ganz doll schwierig und betrifft Identitätsfindung und Mental Health ganz enorm. Vor einem Jahr ging es mir sehr schlecht […]. Und da ist mir aufgefallen, dass TikTok merkt oder irgendwie merken muss, auf was für Videos man länger bleibt bzw. irgendwie mitkriegt, worüber man sich unterhält. Weil ich auf einmal in dieser Zeit sehr viele Videos dazu bekommen hatte, wo man sich denkt: Oh, endlich versteht einen jemand! […] Also wirklich sehr grenzwertige Sachen, die ich deswegen grenzwertig finde, weil mir das auch [Zielgruppe ihrer Arbeit] erzählen, wo halt dann zum Beispiel drin geschrieben wird: Ja, wie verletzt man sich selber oder dass es ja gar keinen interessiert, wenn man nicht mehr da wäre. […] TikTok hat da durchaus die Macht, nenn ich es durchaus, einen so stark zu beeinflussen, dass man immer weiter in so ein Loch reinfällt. Man hat immer das Gefühl: Oh Gott, diese App versteht mich! Oder die Leute, die diese Videos hochladen, die verstehen mich und fühlen, was ich gerade fühle. Und es kann aber ganz doll gefährlich sein, wenn man immer wieder merkt, da wird sehr simpel über selbstverletzendes Verhalten gesprochen, da wird sehr simpel über gestörtes Essverhalten gesprochen oder auch Techniken gezeigt, wie man weniger Hungergefühl hat, wie man sich übergeben könnte. Und das wird einfach total breitgetreten. Oder es werden Videos gezeigt. Das und das sind Symptome, wenn du ADHS hast oder Borderline oder, oder, oder, was aber eigentlich, wenn man mehr darüber nachdenkt, ganz simple Sachen sind, die irgendwie jeder macht oder jeder hat, aber man macht sie dadurch sehr dramatisch“ (Clara, 25:49ff.). 

Abb. 20, Visualisierung von Eingrenzung als eine Form von Informationsräumen. Copyright JFF.

Claras Ausführungen sind auf verschiedenen Ebenen interessant. Zum einen thematisieren sie, inwiefern die algorithmische Sortierung die Probleme von Nutzer*innen verstärken kann, zum anderen verdeutlichen sie, dass Clara das als problematisch empfindet – in Bezug auf sich selbst, aber auch auf die Klient*innen ihres sozialen Tätigkeitsbereiches. Clara hatte die Fähigkeit, diese Erfahrung zu reflektieren. Für sie fühlte es sich an, als ob man „in so ein Loch reinfällt“ (27:03ff.) und die Inhalte „dich dann eher noch bestärken in den schlechten Gefühlen“ (44:40ff.). Im übertragenen Sinne beschreibt Clara hier, was Schober et al. als „Grusel“ vor algorithmischen Sortierungen bei anderen jungen Menschen gefunden haben (Schober et al. 2022). Zum anderen weist Claras Zitat aber noch auf eine weitere Besonderheit digitaler Räume hin. Diese werden nicht nur durch soziale Handlungen (re-)produziert, sondern sie haben durch ihre Algorithmizität darüber hinaus einen eigenen Akteurscharakter. Die Möglichkeitsräume sozialer Handlungen in ihnen werden durch ihre algorithmischen Sortierungen in Abhängigkeit vom Medienhandeln der sie (re-)produzierenden Subjekte mitgestaltet.[1] Für themenspezifische Informationsräume junger Menschen kann das heißen, dass sie die Kompetenzen brauchen, mit diesen Dynamiken umzugehen und ihren Informationsraum, wenn nötig, zur ihrem eigenen Wohle eingrenzen zu können. Claras Strategie der Eingrenzung ähnelt dem, was in der Kommunikationsforschung als news avoidance oder news-limiting curation beschrieben wird (Merten 2021)