Inhaltsbezogene Bewertungsstrategien

Inhaltsbezogene Kriterien beziehen sich vor allem darauf, wie ein Sachverhalt dargestellt wird. Die von den Interviewten genannten Kriterien ähneln denjenigen, die auch für journalistische Inhalte gelten. Mit Blick auf alle Interviews wurden inhaltsbezogene Kriterien von vielen jungen Menschen erwähnt, allerdings zumeist nur in Bezug auf einzelne Beispiele. Von allen 13 Interviewten gab nur Sina zusammenhängend mehrere Kriterien an. Auf die Frage, was gute Information ausmache, antwortete sie:  

„Also, ich würde auf jeden Fall sagen eine insofern neutrale Berichterstattung oder eine als Meinung oder Wertung gekennzeichnete Berichterstattung. Was halt einfach der Anspruch von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist, in den meisten Fällen, oder sein sollte. Dann auf jeden Fall unter Angabe von Sekundarquellen, wenn welche benutzt wurden. Also kann ich nachvollziehen, woher die Information kommt, so, genau. Das auf jeden Fall. Dann natürlich so was wie, ja, wo, also mit welchem Interesse, also wer veröffentlicht eine Information? Mit welchem Interesse veröffentlicht die Person diese Information? In welchem Kontext steht diese Information? Genau. Wenn es jetzt irgendwo lesbar ist, ist eben erkennbar, überhaupt, wer das geschrieben hat, ob da eine Institution dahintersteckt. Wo sich dann eben die Fragen, die ich jetzt schon vorgegriffen habe, stellen. Genau, das auf jeden Fall. Ist es eine offensichtlich in dem Sinne populistische Information? Also ist sie so geschrieben, dass sie die breite Masse der Gesellschaft anspricht, eben, entweder weil sie besonders emotional gekennzeichnet ist oder weil sie eine bestimmte Brisanz hat. Ja, also ist es eine Schlagzeile, wo alle erstmal gucken irgendwie.“ (Sina, 54:47ff.).  

Abb. 37, Symbolbild Zeitung Quelle

Sina zählt mehrere Kriterien auf: Neutralität, Angabe von Quellen, Transparenz der Absender*innen und von Interessenkonflikten, Kontext der Information und Grad der Emotionalisierung. Sie erwähnt auch, dass sie sich am „Anspruch“ der öffentlich-rechtlichen Medien orientiert, also an journalistischen Qualitätskriterien, die für alle Medien gelten, aber denen öffentlich-rechtlicher Journalismus besonders verpflichtet sein sollte. Einzelne der von Sina genannten Kriterien wurden auch von anderen Interviewten erwähnt. Besonders häufig kam der Hinweis, dass die Quellen von Informationen erkennbar sein sollten. Dieses Kriterium wird einerseits damit verbunden, Informationen selbst nachprüfen zu können. Anderseits verweist es darauf, dass Inhalten geglaubt wird, wenn die Absender*innen vertrauenswürdig sind.  

Als ein weiteres Qualitätskriterium wurde von mehreren Interviewten genannt, dass Informationen möglichst „objektiv“ formuliert sein sollten. Einerseits ging es den Interviewten an der Stelle um Sachlichkeit. Adina war beispielsweise sensibilisiert in Bezug auf den Ton, in dem berichtet wurde:   

„Ja, aber wenn da wieder irgendwas herablassend ist oder so etwas oder wenn man mit dem Finger auf jemanden zeigt, gesagt wird, die hat das aber so gemacht und so, dann ist die Quelle für mich auch wieder uninteressant. Man muss schon irgendwie objektiv bleiben. Ansonsten lese ich auch nicht mehr weiter“ (Adina, 19:53). 

Adina spricht hier über die Berichtserstattung, dass sich Bibi und Julian getrennt hatten und es viele mediale Spekulationen über die Gründe gab. Inwiefern die Sensibilisierung für den Ton von Soft News übertragen werden kann auf den kritischen Umgang mit populistischen Inhalten, deren Ton auch oftmals abwertend ist, bleibt jedoch eine offene Frage. Objektivität hatte aber noch eine weitere Bedeutung für die jungen Menschen. Es ging ihnen wiederholt darum, dass ein Thema nicht zu einseitig dargestellt werden sollte:  

„Also, so wie ich das kenne und mag, ist es, von jeder Partei seine Seite zu hören, wie man es in der Kindheit gelernt hat. Und dadurch findet man ja die Wahrheit, sage ich jetzt mal so. Weil jeder sieht es ja anders, jede Person sieht es anders und ich finde, das kann man immer ganz leicht übertragen. Klar ist das so ein großes Ding, aber wenn zum Beispiel zwei Menschen einen Streit haben, dann sagt jeder ja seine Position, seine Meinung, was er empfindet. Und vielleicht hat der eine andere Wahrheit als der andere. Natürlich finden beide: ‚Okay, jeder hat das gleiche gesagt, [die] Wahrheit gesagt.‘ Aber es ist halt nicht so. Und so finde ich, kann man es da auch gut übertragen“ (Antje, 15:11). 

Antje spricht sich für Vielstimmigkeit aus. Damit spricht sie einen wichtigen Punkt an. Ein Kriterium journalistischer Berichterstattung ist, dass unterschiedliche Perspektiven dargestellt werden. Antjes Interview zeigte jedoch darüber hinaus auch die Herausforderung dieser Vielstimmigkeit: Es war für Antje nicht leicht, mit den unterschiedlichen Positionen im LGBTQI+-Spektrum, die ihr in ihrer sozialen und medialen Lebenswelt begegneten, umzugehen. Ihre Strategie war, ihren Informationsraum so zu verdichten, dass sie mehr Informationen bekam, die ihre Sicht bestätigen. Eine weitere Herausforderung des Anspruchs auf Vielstimmigkeit besteht darin, dass es zwar stets unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema gibt, diese aber nicht immer im gleichen Maße berechtigt sind, auch medial dargestellt zu werden (vgl. Kap. 7).