Wie zwischen verschiedenen Plattformen navigiert wird

Wer auf die Informationsräume und das Informationshandeln junger Menschen schaut, erkennt schnell, dass unterschiedliche digitale Dienstleistungsplattformen dafür eine Rolle spielen. Wie diese im Informationshandeln verbunden werden, wann ein Subjekt also welche Plattform wofür nutzt und in welchem Moment es die Plattform wechselt, darüber gibt es bisher relativ wenige Daten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Nutzungsmotive und -routinen in Bezug auf die in Informationsräumen vorhandenen Plattformen zwischen einzelnen Subjekten unterscheiden. Einen Eindruck davon, dass die Navigation zwischen einzelnen Plattformen ein wichtiges Element für das Informationshandeln und die Meinungsbildung junger Menschen darstellt, gibt dieses Unterkapitel. Drei Punkte werden dafür ausgearbeitet: (a) Suchmaschinen werden gezielt in die Nutzung sozialer Medien einbezogen; (b) die für die Nutzung einzelner sozialer Medien entscheidenden Motive beeinflussen auch das Informationshandeln; (c) soziokulturelle Rahmenbedingungen der Mediennutzung beeinflussen, auf welcher Plattform welche Informationen rezipiert werden (können). 

Abb. 38, Symbolbild Geld Quelle

Suchmaschinen: Suchmaschinen und insbesondere Google spielten für alle Interviewten eine wichtige Rolle. Sie stellten zum einen ein verbindendes Element der Nutzung sozialer Medien dar, wenn die jungen Menschen bspw. davon sprachen, dass sie weitere YouTube-Videos über Google suchten. Idris bietet dafür ein gutes Beispiel: „Google ist das Tor zu allem“ (Idris, 33:35f.). Für Idris war Geld ein herausgehobenes Thema im Interview. Er war arbeitssuchend und informierte sich über Wege, bspw. mit Krypto-Währungen Geld zu verdienen. Zu seinen wichtigsten Informationszugängen neben Google gehörte YouTube. Im Interview stellte sich heraus, dass er Google vorwiegend als Recherchetool für YouTube-Inhalte zu nutzen schien.    

„Um auf YouTube zu kommen, braucht man Google, also eine Suchplattform, und der Rest genauso. […] Ich kann über Google auch reinschreiben, Krypto, Erklärungen, dann kommt halt YouTube direkt“ (Idris, 26:25, 28:40). 

Als Recherchetools zum Thema nannte Idris nur YouTube und Google, hinzu kam der Austausch mit Freund*innen und Familie. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Idris über Google auch andere Quellen als YouTube fand. Dennoch weisen Idris Ausführungen auf einen wichtigen Punkt hin: Suchmaschinen können je nach Thema, Suchbegriffen und Suchroutinen der Nutzer*innen den Content sozialer Medien prominent verlinken. Für junge Menschen, deren Informationshandeln größtenteils in sozialen Medien stattfindet, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass sie die entsprechenden Suchergebnisse auch nutzen und Suchmaschinen damit zu einem Intermediär zwischen verschiedenen sozialen Medien oder verschiedenen Inhalten auf derselben Plattform werden. Neben dieser Tendenz im Informationshandeln gab es jedoch auch die gegensätzliche Tendenz. 

Für Adina waren Plattformen wie YouTube oder TikTok weniger vertrauenswürdig als die Ergebnisse, die sie über Suchmaschinen wie Google finden konnte – auch wenn sie vor allem TikTok sehr intensiv nutzte (vgl. Kap. 5.1). Deswegen nutzte sie Google nicht vorrangig als Möglichkeit, um weiteren Content in sozialen Medien zu finden: 

„Also wenn ich jetzt irgendwie irgendwas, wenn mir was auf TikTok begegnet, dann würde ich schon gerne mich unabhängig davon informieren über verschiedene Quellen. Da sage ich jetzt mal Medium oder Nachrichtenportal oder sonst irgendwas. Ja, da google ich schon. […] Aber ich finde, hier [auf Google] sind mehr wissenschaftliche Arbeiten auch dabei, wo man sich informieren kann. Google, genau. Und auf YouTube sind es halt einfach irgendwelche Leute, die was erzählen (Adina, 10:25ff., 41:25ff.).  

Adina nutzt Suchmaschinen explizit in Abgrenzung zu Plattformen wie YouTube oder TikTok, weil sie darüber mehr „wissenschaftliche Arbeiten“ findet und dort nicht „irgendwelche Leute […] was erzählen“.  

Abb. 39, Symbolbild Social Media Quelle

Nutzungsmotive für einzelne Plattformen: Ein wichtiger Grund, die Inhalte sozialer Medien zu nutzen, ist ihre niedrigschwellige Zugänglichkeit. Oliver bringt YouTube und TikTok als Beispiele. Auf beiden Plattformen lassen sich Informationen ohne großen Aufwand rezipieren: „[W]enn man […] jetzt irgendwie Informationen rankriegen will und keine Lust hat, sich irgendwie zu bemühen, dann ist YouTube ganz gut geeignet. TikTok ist da fast noch besser geeignet, weil es ist ja alles schön kurz“ (Oliver, 50:11ff.). Google grenzte Oliver von YouTube und TikTok ab, da seien die Informationen „einfach nochmal ausführlicher“ (ebd.). Dass TikTok sehr kurze Informationen biete, betonte auch Jette. Sie führte an, dass sie sich manchmal aus Faulheit mit den kurzen Informationen auf TikTok begnüge: „Ja, also ich schau erst auf TikTok weiter, weil ich meistens zu faul bin, die App zu wechseln oder so“ (Jette, 35:14f.). Wenn Jette weniger faul ist, kombiniert sie mehrere Plattformen miteinander. Sie beschreibt im folgenden Zitat, wie sie ausgehend von TikTok andere Plattformen miteinbezieht, um die Länge und Komplexität der Informationen gezielt zu steigern:  

„Und dann schaust du dir ein paar mehr Videos dazu auf TikTok an. Und dann, hm, das hört sich ja ganz interessant an und dann schaut man auf Instagram, was man da noch sieht. Weil Instagram hat meistens, die Posts auf Instagram sind vor allem von Informationsseiten, halt detaillierter und übersichtlicher als TikTok-Videos. Und deswegen schaue ich dann halt auf Instagram nach oder auf YouTube. […] Dann halt auf YouTube größtenteils Videos darüber angeschaut, wo Menschen das dann halt noch detailliert, also besser erklären, weil TikToks sind ja nur sehr, sehr kurze Videos und Insta halt einfach die Suche auffächert (Jette, 26:28ff., 27:41ff.).  

Ausgehend von einer auf Niedrigschwelligkeit ausgerichteten Nutzungsroutine, die sie auf TikTok verweilen lässt, sucht Jette bei Interesse für ein bestimmtes Thema gezielt nach weiteren Informationen über Instagram und YouTube. An späterer Stelle erzählt sie, dass sie darüber hinaus auch gezielt Wikipedia einbezieht und augenscheinlich über die dort vorhandenen Informationen ihre Suchstrategien über Google verfeinert (Jette, 28:18ff.). Neben den Abstufungen zwischen den Plattformen wird in den Interviews auch deutlich, dass sich die Nutzungsweisen einzelner Plattformen zwischen den Jugendlichen unterscheiden. Während Oliver betont, dass YouTube Informationen zugänglich macht, ohne dass er sich „bemühen“ müsste, beschreibt Jette die Inhalte auf YouTube als wichtige Informationsressource. Erinnert sei an dieser Stelle auch an Sebastian, der über YouTube „Lektüren von Professoren“ besonders schätzt (vgl. 5.2.2).  

Der Moment, in dem eine Plattform verlassen wird, um auf anderen nach Informationen zu suchen, wurde bisher allgemein als „Interesse“ beschrieben und mit der Suche nach weiteren Informationen erklärt. Jette beschreibt diesen Moment im Interview noch etwas genauer: „Ich würde von TikTok runter gehen zu den anderen Plattformen, wenn ich das Gefühl habe, dass ich da etwas über mich herausfinden konnte, das ich vorher nicht wusste“ (Jette, 32:33). Dass Jette über die Motivation spricht, „etwas über mich herausfinden [zu] können“, ist wahrscheinlich mit der methodischen Gestaltung des Interviews verbunden, in dem wir die jungen Menschen gezielt für sie relevante Themen haben aussuchen lassen. Die Motivation verweist aber gleichzeitig darauf hin, dass das Informationshandeln junger Menschen mit ihren subjektiven Bewältigungsstrategien für ihre jeweils wahrgenommenen Entwicklungsaufgaben eng verbunden ist.  

Neben interessengeleiteten Suchstrategien, die verschiedene Plattformen miteinander in Verbindung bringen, spielt für die Nutzung der einzelnen Dienste auch die Stimmungslage der jungen Menschen eine Rolle. Clara beschrieb in ihrem Interview, dass sie neben den für sie wichtigsten Plattformen (WhatsApp, Facebook, Instagram, YouTube) eine Reihe von Diensten nutze:  

„Heißt, auf diesen Plattformen Snapchat, TikTok, Telegram, Reddit bin ich tatsächlich, wenn ich mich selber an einem Punkt befinde, wo es mir irgendwie nicht so gut geht, um mich dann mit anderen Sachen berieseln zu lassen, mich selber mit Sachen nicht auseinandersetzen zu müssen“ (Clara, 25:15). 

Claras Nutzungsmotive waren bei anderen jungen Menschen nicht so deutlich zu finden. Sie weisen jedoch darauf hin, dass für die Kombinationen der Plattformnutzung neben Interessen und Routinen auch die Stimmungslage eine wichtige Rolle spielt. Ein weiterer Grund für den gezielten Wechsel zwischen verschiedenen Anbietern ist die Anschlusskommunikation mit Peers und Familie. Wann und wie diese gesucht wird, ist subjektiv unterschiedlich. Jette betonte bspw., dass sie sich erst ausgiebig mit einem Thema beschäftigen wolle, bevor sie über einen Messengerdienst in den Austausch gehen würde. Adina sagte, sie warte lieber, bis sie ihre Freund*innen wiedersähe, und teile nur selten etwas via Messenger. Bei Greta hingegen geschah dies regelmäßiger und auch via Discord. Gemein ist den meisten jungen Menschen, dass sie Anschlusskommunikation zu medialen Inhalten bzw. ihren Interessen im Kontext semiöffentlicher Räume suchen, das heißt zumeist in Chatgruppen, deren Teilnehmer*innen sie kennen und deren Reaktionen sie einschätzen können (Materna et al. 2021, S. 90ff.).   

Abb. 40, Symbolbild Erziehung Quelle

Soziokulturelle Rahmenbedingungen: Welche Plattformen für das Informationshandeln eine Rolle spielen, hängt auch von den soziokulturellen Rahmenbedingungen ab, in denen junge Menschen leben. Besonders bei Jugendlichen unter 18 Jahren spielt eine wichtige Rolle, welche sozialen Medien sie aufgrund ihres Alters und der Medienerziehung der Eltern nutzen dürfen. Bei jungen Erwachsenen drehen sich die Beschränkungen eher um, wenn sie bestimmte Dienste nutzen müssen, weil sie andernfalls in wichtige Kommunikationsprozesse nicht mehr einbezogen sind.   

Ein Beispiel für den letzten Fall bietet Sina (22 Jahre). Für sie ist Datenschutz ein wichtiges Thema in ihrer Mediennutzung. Sie war die einzige interviewte Person, die Threema, Signal und WhatsApp als Messengerdienste nutzte und gleichzeitig die Kommunikation über WhatsApp problematisierte: 

„Also ich versuche im Moment komplett auf Signal umzustellen. Leider ist es halt ganz oft, was die Uni betrifft, also nicht wirklich möglich, weil von meinem engsten Kreis, sage ich jetzt mal, an Menschen, mit denen ich über soziale Medien kommuniziere, haben alle Signal oder Threema. Aber an so einem großen Ort wie beispielsweise der Hochschule ist es halt einfach noch nicht der Fall. Das heißt, würde ich jetzt komplett WhatsApp löschen und nicht mehr benutzen, wäre ich halt zumindest, was die Informationen beispielsweise im Job oder in der Hochschule betrifft, einfach abgeschnitten“ (Sina, 27:03). 

Während Sina gerne auf die Nutzung einer Plattform verzichtet hätte, hat Jette (16 Jahre) in ihrem Freund*innenkreis eine Möglichkeit gefunden, Inhalte von TikTok oder Instagram mit Personen zu teilen, die diese Plattformen nicht nutzen dürfen. Jette und ihre Freund*innen laden die entsprechenden Videos runter oder machen Screenshots und teilen diese dann in der Gruppe mit Freund*innen auf Signal.  

YouTube manchmal, aber Insta eigentlich nie. Also wir sind alle, sind zwar so größtenteils, wir haben alle einen Instagram-Account und so, aber die Plattform, die man halt, die wir aktuell am meisten nutzen, ist TikTok. Und wenn man was von Insta verschicken will, dann ist es halt mehr, dadurch, dass halt eine aus unserer Freundesgruppe nur begrenzte Plattformen nutzen kann, schicken wir halt auch kaum noch Links, sondern laden die Videos von TikTok runter und schicken sie dann in die Gruppe, damit die Videos geöffnet werden können. Und genauso ist es mit Instagram. Die werden gescreenshottet und dann reingeschickt, weil man es halt sonst nicht öffnen kann“ (Jette, 23:33ff.).  

Die Freund*innen-Gruppe auf Signal dient als Knotenpunkt, an dem Inhalte aus unterschiedlichen Plattformen zusammenkommen oder über Links auch zugänglich werden. Nutzungsbeschränkungen werden durch den Download umgangen und damit auch Peers in die Anschlusskommunikation miteinbezogen, die die Inhalte sonst nicht hätten nutzen können.  

Ein letztes Beispiel dafür, wie soziokulturelle Rahmenbedingungen die Nutzung von Plattformen beeinflussen, geben Greta und Suzanna. Beide sind Schülerinnen und wohnen bei ihren Eltern. Sie beschreiben, dass ihre Eltern ihnen Links zu Inhalten auf Facebook schicken und sie damit auf eine Plattform bringen, die von jungen Menschen sonst eher weniger genutzt wird (Feierabend et al. 2022, S. 30). Suzanna bekam von ihren Eltern über WhatsApp bspw. den Link für eine Seite auf Facebook zugeschickt, auf der Rassismus im Umgang mit Schwarzen Geflüchteten thematisiert wurde – ein Thema, das im nächsten Kapitel weiter vertieft wird.