Wie mit Desinformationen umgegangen wird

Kurz zusammengefasst lässt sich sagen, dass die interviewten jungen Menschen Desinformationen in ihrem Informationshandeln eher vermeiden wollten. Wie oben bereits dargestellt, swipten sie weiter, wenn sie einer Information nicht vertrauten, oder sie gaben bei Plattformen, wo das möglich war, das Feedback, an einem Inhalt nicht interessiert zu sein. Zur Vermeidung gehörte das Ziel, die algorithmische Sortierung aktiv so zu beeinflussen, dass sie weniger der entsprechenden Inhalte in den Feed spielte. Dass sie entsprechende Inhalte auch melden konnten, war vielen Interviewten bewusst, und sie hatten es auch schon getan. Das taten sie jedoch wesentlich seltener, als einfach weiter zu swipen. Neben dem Vermeiden von Desinformationen wurden in einigen Interviews auch Beispiele dafür genannt, dass Desinformationen bzw. Accounts und Gruppierungen, von denen ausgegangen wurde, dass sie Desinformationen verbreiteten, aktiv etwas entgegengesetzt wurde. Als Beispiele dafür wurden (a) Argumente genannt, aber auch (b) Beleidigungen oder (c) eigene Desinformationen.  

Auslöser für Engagement war in den meisten Fällen, dass die (Des-)Informationen identitätsrelevante Dimensionen der interviewten Personen berührten. Ein Beispiel dafür gibt Sebastian (18 Jahre). In Kapitel 4.2 wurde er bereits zitiert, als er darüber berichtete, dass die Zeitung Die Welt in seinen Augen „Misinformationen“ (hier Desinformationen) über trans* Personen verbreitete. Thema des Artikels waren das Kinderprogramm öffentlich-rechtlicher Sender und die Einschätzung von fünf Expert*innen, dass dieses zu stark an einer „Trans-Gender-Ideologie“ ausgerichtet war. Der Artikel wurde von vielen queeren Personen als diskriminierend wahrgenommen und in den Folgemonaten kontrovers diskutiert. Der Presserat entschied nach Prüfung, dass der Artikel zulässig, aber grenzwertig sei, was wiederum auf Kritik stieß. [1] 

Abb. 46, Symbolbild Streit Quelle

Sebastian fühlt sich von dieser Berichterstattung selbst betroffen. Als trans* Mann hat er sich mit den politischen Diskursen um LGBTQI+ vertieft auseinandergesetzt. Für ihn ist das Thema jedoch nicht nur medial, sondern ein wichtiger Teil seiner Lebenswelt. Auf diese Weise ist er für das Thema sensibilisiert und bringt sich auch online dazu ein. Sein Ziel ist es eigentlich, mit Argumenten auf Desinformationen und Hass gegen die queere Community zu reagieren. Gelegentlich wird er jedoch im Kontext von Transfeindlichkeit auch ausfallend: 

Sebastian: „Also, bei Social Media auf jeden Fall, bin ich da, ich bin ein sehr, nicht wirklich streitliebender Mensch, sondern ein argumentationsliebender Mensch. Also wenn ich irgendwie, irgendwo was sehe und dem halt nicht, dem nicht meiner Meinung ist, dann versuche ich so nicht-aggressiv wie möglich darauf zu antworten und halt auch so ein bisschen zu gucken, ist es halt so, ist es das wert, darauf zu antworten.“ 

Interviewer: „Woran machst du das fest, ob es das wert ist?“ 

Sebastian: „Also meistens halt so, wenn ich Transphobie sehe, jetzt spezifisch. Wenn zum Beispiel Leute sind, die einfach nicht viel Erfahrung mit trans* Menschen haben, sagen wir zum Beispiel irgendwie, die queeren Gender-Leute schneiden 5-Jährigen den Penis ab, dann weißt du, dass …“ 

Interviewer: „So was kommt?“ 

Sebastian: „Genau, so was, so was ist halt auch so, so sehr viele Misinformationen über Hormontherapie oder halt so Operation. So sehr viele Misinformationen, die halt einfach aus Unwissenheit herkommen. Und das ist halt so ein Ding, man versucht so auf die Leute zuzugehen und zu sagen: ‚Ja, das ist nicht so. Das wird anders gemacht hier. So wird es gemacht.‘ Und man hofft natürlich, dass die Leute dann realisieren, so: ‚Oh, da habe ich was irgendwie falsch gedacht.‘ Und dass man halt so versucht, so gut wie möglich, die Leute zu informieren, was natürlich nicht immer geht. Zum Beispiel, wenn man so sieht, dass da steht ‚Tötet alle trans* Menschen!‘, da weiß man sofort, dass entweder die Person trollt oder das ernst meint und halt faschistisch ist oder verdammt rechtsradikal ist.“ 

Interviewer: „Da würdest du auch reagieren? Oder wie würdest du da reagieren?“ 

Sebastian: „Entweder nicht, wenn ich gerade keinen Bock hab oder ich trolle halt zurück, indem ich halt dümmere Scheiße runterschreibe“ (Sebastian, 01:14:09-01:16:21ff.). 

„Dümmere Scheiße“ ist nach eigener Aussage, wenn Sebastian auf Beleidigungen und Gewaltandrohungen gegen queere Menschen selbst mit Beleidigungen und Gewaltandrohungen reagiert. Sebastian findet selbst nicht gut, dass er so reagiert, sagt er später im Interview. Sein Beispiel zeigt, dass Desinformationen auch auf affektiver Ebene wirken können, indem sie beleidigen und abwerten. Hiermit als betroffene Person einen Umgang zu finden, ist sehr herausfordernd.  

Abb. 47, Symbolbild Emotionalität Quelle

Um die Problematik von Desinformation und Hassrede weiß auch Clara (24 Jahre). Sie arbeitet im sozialen Bereich und setzt sich persönlich, aber auch in Bezug auf die Zielgruppe ihrer Tätigkeit, mit Rechtspopulismus und der Querdenker-Bewegung auseinander. Dafür nutzt sie unter anderem auch die Plattformen Telegram und Facebook. Auf Telegram ist sie nach eigener Aussage nur, um zu beobachten:  

„Auf Telegram bin ich, um mir Informationen versteckt zu holen, wann hier diese Querdenker-Demos sind, also schon wieder politisch orientiert, einfach, weil es mich frustriert, wie viel Dummheit tatsächlich herrscht, wie viel Paranoia gemacht wird, um vor irgendwelchen Sachen Angst zu haben und ich gehöre tatsächlich zu den Leuten, die Telegram als Plattform nutzt, um da so ein bisschen Ruhe reinzubringen: In Form von Demos absagen, die Location verändern, einfach weil es mich frustriert, dass da gerade sehr viel Bewegung herrscht. Vor allem, weil hier in [Arbeitsort] auf Telegram durch die AfD sehr viel mobilisiert wird und die Leute das gar nicht checken, mit wem sie da auf die Straße gehen. Und das ist das, was ich bei Social Media immer wieder schwierig finde, dass man da halt schnell irgendwo reinrutscht, einfach nur, weil man nicht weiß, woher diese Information kommt und sie einfach glaubt, weil irgendjemand redet drüber. Also muss es ja stimmen. Und das ist dann das, was ich immer wieder frustrierend finde, dass die Leute sich nicht die Zeit nehmen, diese Infos nach wahr oder falsch zu checken und zu gucken: ‚Worauf kann ich jetzt vertrauen und worauf nicht‘“ (Clara, 23:01ff.).  

Um sich gegen Querdenker und rechtsextreme Gruppierungen zu engagieren, verbreitet sie selbst irreführende Informationen darüber, wo eine Demonstration beginnt oder ob sie überhaupt stattfindet. Sie sagt: „Es hatte insofern Erfolg, dass Verwirrung geherrscht hatte und Leute da nicht mehr hingegangen sind, weil die dann meinten: ‚Könnt ihr euch mal einig werden?‘ Genau das war ja das Ziel, dass im Endeffekt weniger Leute hingehen“ (Clara, 57:44). „Fake News mit Fake News bekämpfen“ (Clara, 57:20) – diese Form des Engagements ist nicht unproblematisch, sie zeigt aber auch, wie junge Menschen im Netz kreativ nach Wegen suchen, gesellschaftspolitische Aushandlungsprozesse mitzugestalten.