Kontextbezogene Bewertungsstrategien

Kontextbezogene Orientierung, ob eine Information als gut eingeschätzt werden kann, geben (a) das soziale Meinungsklima, (b) das mediale Meinungsklima, (c) das Vertrauen in Medienmarken. 

Abb. 29, Symbolbild Corona-Virus Quelle

Soziales Meinungsklima: Vereinfacht gesagt beschreibt der Begriff des Meinungsklimas, dass Menschen sich an dem orientieren, was ihr soziales (oder mediatisiertes) Umfeld über ein bestimmtes Thema denkt. [1] Diese Form der sozialen Bestätigung in Bezug auf einzelne Informationen beschrieben auch verschiedene junge Menschen, mit denen wir zusammenarbeiteten. Sehr deutlich wurde die Orientierung am sozialen Meinungsklima bei Mario, als wir uns dazu austauschten, wie er sich zum Thema Corona während der Pandemie informierte. In Bezug auf Lockdowns und Verhaltensregeln gab es während der Pandemie verschiedene Informationen, auch nahm er eine Vielzahl von Expert*innen wahr. Sich in dieser Situation nur mithilfe von Informationen aus den Massenmedien und aus sozialen Medien zu orientieren, war für ihn herausfordernd.   

Interviewer: „Wenn es jetzt um Corona geht, da […] müssen wir uns ja alle lange orientieren, gell? Und gibt es irgendwie … Woran hat man am Ende dann erkannt, ob eine Information wirklich auch gut ist oder nicht? Woran würdest du das festmachen?“ 

Mario: „Na ja, wenn es, ich habe es natürlich dann daran festgemacht, wenn es die meisten meiner Eltern oder Freunde so bestätigt haben, dass es so stimmt. […] So, einzelnen Expertenmeinungen einfach Glauben zu schenken, das finde ich einfach, ich weiß auch nicht. Sie werden Experten genannt oder so, aber irgendwie, mein Vertrauen liegt da trotzdem nicht immer ganz drin.“ 

Interviewer: „Wem vertraust du da am meisten?“ 

Mario: „Ich vertraue am meisten meinen Freunden und meiner Familie.“ 

Interviewer: „Das heißt, mit denen besprichst du das dann auch?“ 

Mario: „Ja, genau und am besten, je mehr Meinungen man einholt. […] Bei Corona ja allgemein mit den Freunden. Wie es jetzt weitergeht? Ob jetzt zum Beispiel ein neuer Lockdown kommt? Oder so. Oder was man, an welche Regeln man sich jetzt halten muss. Corona konnte man alles diskutieren“ (Mario, 51:35-53:37). 

Abb. 30, Symbolbild Diskussion Quelle

Dass Freund*innen und Familien bei jungen Menschen für die Meinungsbildung sehr wichtig sind, zeigen auch Hasebrink et al. (2021, S. 33). Informationen werden in ihrer Relevanz und ihrer Bedeutung selten allein durch die Rezeption bestimmt, vielmehr werden sie mit Bezugspersonen verhandelt und ausgelegt. Interessant bei Mario war, dass sich die Bedeutung des sozialen Meinungsklimas vor allem beim Thema Corona zeigte, aber weniger beim Thema Gaming, zu dem es im Interview ebenfalls Austausch gab. Bei Gaming traute sich Mario zu, Informationen selbst einzuschätzen, indem er auf ihre inhaltlichen Merkmale schaute oder die Qualität ihrer Aussage mittels eigener Recherche bestimmte. Als dieser Unterschied im Interview thematisiert wurde, sagte Mario, Gaming sei „deutlich weniger relevant“ als Corona. Diese Relevanzzuschreibung erklärt jedoch nur teilweise, warum Mario bei Corona den Expert*innen weniger glaubte als seinem sozialen Umfeld und bei Gaming auf sein eigenes Urteil vertraute. Mit hinzugezogen werden sollte zum einen, dass Mario sich in Bezug auf Gaming wesentlich mehr Kompetenz zuschrieb als beim Thema Corona. Zum anderen war die Positionierung zu den mit der Coronapandemie verbundenen Verhaltens- und Kontaktregeln sozial wesentlich folgenreicher als beim Thema Gaming. Im Ergebnis stärkte dies die Wichtigkeit, das soziale Meinungsklima in die Bewertung der entsprechenden Informationen miteinzubeziehen.  

Mediales Meinungsklima: Mediales Meinungsklima unterscheidet sich vom sozialen dahingehend, dass es hier nicht um den (eventuell sogar mediatisierten) Austausch mit Peers geht, sondern dass die Subjekte weitere medial zu findende Informationen hinzuziehen, um die Qualität einer Information zu bestimmen. Es geht dann beispielsweise darum, ob junge Menschen einer Information Glauben schenken, weil sie zum Beispiel viele Likes hat oder weil für sie vertrauenswürdige, aber nicht in jedem Fall persönlich bekannte Personen darunter kommentiert haben (Mena et al. 2020; Metzger/Flanagin 2013). In den Interviews mit jungen Menschen trafen wir auf verschiedene Beispiele dafür. Juliana, 14 Jahre, weiblich, Gymnasiastin, zog die Kommentare unter einen Beitrag für die Bewertung von Information hinzu: 

Abb. 31, Symbolbild Kommentare Quelle

„Also, TikTok: Ja, weil dann guckt man Kommentare an und dann weiß man schon, okay, das kann nicht stimmen. Und bei YouTube siehst du halt auch unter den Kommentaren, was da so stimmt“ (Juliane, 41:28ff.).

Eine andere Strategie nannte Jette. Sie achtete auf TikTok auf die in den Beiträgen genutzten Hashtags. Wenn sie sich für einen Beitrag interessierte und wissen wollte, was sie davon halten könne, dann klickte sie sich durch einzelne Hashtags, um mehr über das Thema und den Beitrag zu erfahren.   

„Also, man muss auf Social Media natürlich immer aufpassen, dass die Informationen, die man kriegt, valid, also valid sind. […] Also, dass die Informationen halt richtig sind und nicht einfach so ausgedacht von irgendwem, der ganz viel Aufmerksamkeit haben will. Und deswegen schaue ich dann meistens, wenn ich mir denke: ‚Hm, interessant‘, schau ich mir den Hashtag dazu an, oder so. Und wenn es mehrere gibt, die das gleiche darüber sagen, dann weiß ich, dass: ‚Ah, die Information ist richtig‘“ (Jette, 34:18ff.). 

Abb. 32, Symbolbild Suchmaschine Quelle

Eine weitere Möglichkeit, Informationen über das mediale Meinungsklima zu bewerten, beschrieb Clara. Sie sucht zu einem Thema verschiedene Informationen aus unterschiedlichen Quellen und entscheidet erst anschließend, wie sie das Thema einschätzt. Dazu gehört auch, dass gute Informationen solche sind, die durch andere Informationen bestätigt werden:  

„Ich glaube, eine gute Information ist, wenn ich sie durch mehrere Quellen wieder bestätigt bekommen habe. […] Und ich bin immer jemand, der von verschiedenen Quellen sich Infos dazu holt und dann wirklich erst den Schlussstrich darunter zieht, um zu entscheiden, was ist gut und was ist nicht gut […]“ (Clara, 40:47ff.).  

Für die Recherche, mit der Informationen durch andere Informationen überprüft werden, gibt es mehrere Möglichkeiten. Am häufigsten genannt wurde der Einsatz von Suchmaschinen. Ebenso wird aber auch innerhalb von Plattformen geschaut und verglichen, wie Jette über Hashtags oder auch mit der Suchfunktion auf YouTube und TikTok.  

Abb. 33, Symbolbild Nachrichten Quelle

Vertrauen in Medienmarken: Die Interviewten vertrauten ganz unterschiedlichen Medienmarken. Genannt wurden bspw. BILD, Wikipedia, funk-Formate, die taz oder auch speziell die Tagesschau. [2] Als Begründungen für das Vertrauen in diese Medienmarken gaben die Interviewten an, diese seien „groß“, „berühmt“ oder „seriös“ oder dass die politische Ausrichtung der eigenen entspreche. Hinzu kam, dass vereinzelt auch Influencer*innen genannt wurden, denen besonderes Vertrauen entgegengebracht wurde.  

Ein gutes Beispiel für das Vertrauen in „große“ und „berühmte“ Medienmarken bietet Greta (16 Jahre). Sie ist Informationen in sozialen Medien gegenüber sehr kritisch eingestellt, keine Medienmarke bietet für sie zuverlässig gute Informationen. Instagram sieht sie an der Stelle jedoch anders:  

„Also bei Instagram kann man sich auch nicht immer 100 Prozent sicher sein, dass diese Informationen absolut verlässlich sind. Aber zum Beispiel haben auch große Konzerne oder große Zeitungen, die berühmt sind, wie zum Beispiel BILD oder Die Zeit oder auch der Sender ‚Die Tagesschau‘, ja, Instagram, einfach so ein bisschen[, um] ihre Reichweite zu erweitern und vielleicht auch junge Menschen zu erreichen. Und wenn diese großen Konzerne oder diese Unternehmen dann auch Instagram haben und auch alle 24 Stunden da posten, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass diese Informationen dann eventuell auch wahr sind“ (Greta, 38:43ff.).  

Verbunden wird das Vertrauen in Medienmarken damit, dass wichtige Sozialpersonen aus dem Umfeld der Interviewten die jeweiligen Medien als vertrauenswürdig markieren. Dafür gibt Antje ein gutes Beispiel, gleichzeitig wird in diesem Abschnitt auch deutlich, wie Antje die für sie vertrauenswürdigen Medienmarken von nicht vertrauenswürdigen unterscheidet:  

„Also ARD finde ich sehr seriös mit den Nachrichten. Also ich habe da jetzt auch nie [Momente], wo ich mir denke: ‚Oh Gott!‘ Die sehen auch immer seriös aus und ich finde auch immer, wenn wir gerade noch bei den Eltern waren, die Eltern gucken das halt auch immer, wenn die sagen: ‚Okay, das ist gut, es ist nichts Falsches‘, macht man das natürlich automatisch auch. […] Also finde ich, dass es seriös ist […]. Wenn ich manchmal YouTube sehe, da können irgendwelche kleinen Kinder irgendwas hochladen, finde ich jetzt nicht so seriös und da muss man halt mehr aufpassen, was man guckt“ (Antje, 51:21). 

Antje vertraut der ARD, weil ihre Eltern ihr vertrauen und weil sie „seriös“ im Auftreten ist. Sie grenzt die ARD von Plattformen ab, auf denen auch „irgendwelche kleinen Kinder irgendwas hochladen“ können. Mit dem Argument, dass auf bestimmten Plattformen jede*r Content hochladen oder bearbeiten kann, wurde von verschiedenen Interviewten begründet, warum sie Plattformen und ihren Informationen im Allgemeinen nicht vertrauen. Oftmals richtete sich das Argument auch gegen Wikipedia. Dass die gemeinsame Bearbeitung und Überprüfung von Darstellungen – wie in Wikipedia – auch ein Qualitätsmerkmal sein kann, wurde von den Interviewten nicht artikuliert. Allerdings gab es einzelne Interviewte, die Wikipedia vertrauten und die Qualität einer Quelle auch danach unterschieden, welche Informationen sie dort suchten. Ein Beispiel dafür ist Sebastian. Nachdem er gesagt hatte, dass er immer erst mal googele, wenn er sich informieren wolle (vgl. Kap. 5.1), führte er aus, dass er im Ergebnis sehr häufig auf Wikipedia lande:  

Sebastian: „Dann ist halt so Wikipedia eigentlich eher so der erste Anlaufpunkt. Wenn ich irgendwie wissen wollte, wann ist das und das passiert und. Das ist halt so von Dingen wie zum Beispiel historischen Events oder wenn ich halt irgendwas wissen will, was sind zum Beispiel Milliampere oder so was. Dann gucke ich auf Wikipedia nach, aber so bei Nachrichten. Ja. Man hat als linker Mensch schon so einige Nachrichtenseiten und Zeitungen, denen man vertraut.“ 

Interviewer:Welche zum Beispiel?“ 

Sebastian:Ich habe schon wieder den Namen vergessen. Ich glaube die taz. Taz war das, aber es gibt halt auch so ne queere Zeitung, da hab ich auch schon wieder den Namen vergessen“ (Sebastian, 01:12:20-01:13:31). 

Für „historische Events“ und „irgendwas“ schaut Sebastian auf Wikipedia, bei Nachrichten über das Zeitgeschehen nutzt er Informationsquellen, die politisch seinen Einstellungen entsprechen und denen er deswegen sein Vertrauen schenkt. Von einer solchen Differenzierung der Informationsquellen berichtete auch Sina. Bei Wikipedia sei sie vorsichtig, sagte sie. Sie nutze es jedoch, um bspw. herauszufinden, welche die älteste Brauerei Deutschland sei: „Dann checke ich das auch nicht mehr gegen. […] [A]ber wenn es jetzt irgendwie um, also ja, wirklich um politische Themen zum Beispiel geht, dann nutze ich die Bundeszentrale für politische Bildung“ (Sina, 38:33ff.). Die Bundeszentrale war für sie besonders vertrauenswürdig.   

Mit zu den vertrauenswürdigen Medienmarken werden in dieser Arbeit auch Influencer*innen gezählt. Sie sind für junge Menschen wichtige Medienpersonen. Ein Beispiel dafür war der trans* Mann Skylar Jay auf Instagram (@trans.ginger), dem Sebastian folgte, um mehr Informationen zur Geschlechtsangleichung zu bekommen.  

Abb. 34, Symbolbild Influencer*innen Quelle

„Also es gibt auf jeden Fall zum Teil auch Influencer auf Instagram. Ein Influencer wie Aktivist, dem ich folge, ist … Ich habe den Nachnamen vergessen, aber er heißt Skylar mit Vornamen. Er ist ein trans* Mann und macht so viel Informationen über Transition und wie man zu Hormonen kommt und wie das Ganze abläuft. Hormone, Top-Surgery, Bottom-Surgery, alles was so trans* maskuline Themen sind“ (Sebastian, 23:50ff.). 

Als weiteres Beispiel nannte Adina den Account von „Herr Anwalt“, der auf TikTok über sechs Millionen Follower*innen hat (herranwalt) und auch auf YouTube und Instagram (@herr_anwalt) präsent ist. Der Fachanwalt für Familienrecht und Notar gibt kurzweilige Tipps über Rechte und Pflichten in Schule, Haushalt und Co. Die Mischung aus Fachkompetenz und unterhaltsamem Auftritt kommt bei der Zielgruppe gut an. Vertraut wird Skylar Jay und Herr Anwalt aus unterschiedlichen Gründen. Herr Anwalt lässt sich Vertrauenswürdigkeit aufgrund seiner unterhaltsam verpackten Fachkompetenz zusprechen, Skylar Jay wird von Sebastian vor allem gefolgt, weil er durch seine Lebenssituation besonders hilfreiche Informationen und Einblicke geben kann.