2.3 Modelle des (Anti)-Rassismus

Es gibt verschiedene Modelle, Rassismus zu fassen, und damit auch unterschiedliche Ansätze dafür, worauf sich antirassistische Bildungsarbeit und Politik konzentrieren sollte. Anders ausgedrückt: Wenn ich weiß, welche Legitimation einer (abwertenden) Ideologie zugrunde liegt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dann weiß ich auch, wo ich zur Bekämpfung dieses Phänomens ansetzen müsste. John Solomos, ein britischer Rassismustheoretiker, schlug mit Blick auf Modelle von (Anti-)Rassismus in den letzten Jahrzehnten eine Einteilung in drei Haupttendenzen vor (vgl. Solomos 1987):

(1) Konzepte der absoluten Autonomie des Rassismus: Hier wird Rassismus verstanden als ein in sich geschlossenes System, das als solches auf verschiedenen Ebenen bekämpft werden sollte, etwa durch verschiedene pädagogische Ansätze, Fortbildungen, Therapie etc. Die zugrunde liegende Idee ist, dass Rassismus in erster Linie von fehlinformierten oder kranken Menschen ausgeht. Die mit diesem Modell einhergehende Form von Antirassismus kann als moralistischer bzw. humanistischer Antirassismus bezeichnet werden. Eine solche Pathologisierung von Rassismus und von rassistischen Haltungen, die in diesem Modell vor allem auf mangelndes Wissen zurückgeführt werden, läuft aus heutiger Sicht Gefahr, Rassismus zu banalisieren, und blendet auch den strukturellen Charakter von Rassismus und seine kolonialen Kontinuitäten aus. Da Rassismus in diesem Modell als ein punktuelles, an bestimmte Personen und ihr Handeln gebundenes Phänomen verstanden wird, tritt auch antirassistischer Widerstand immer nur reaktiv in Bezug auf bestimmte Ereignisse und Personen in Erscheinung (Pühretmayer 2002, S. 294ff.).

Historisch betrachtet herrschte ein solches Verständnis von Rassismus vor allem in der Auseinandersetzung mit der Rassenlehre des Dritten Reiches vor. Rassismus als ein geschlossenes, punktuelles Phänomen zu verstehen, passt besonders gut zu biologistischen Vorstellungen von Rassismus, wie sie durch die Nationalsozialist*innen gefördert wurden und bis heute teilweise vorhanden sind – auch wenn sie wissenschaftlich schon lange als entkräftet gelten müssen (vgl. Kattmann 2020).

(2) Konzepte der Ableitung des Rassismus aus den ökonomischen Verhältnissen: In dieser Denkschule wird Rassismus als eine in der kapitalistischen Ökonomie angelegte Konstante gesellschaftlicher Ordnung gefasst. Es wird argumentiert, dass eine kapitalistische Wirtschaftsordnung gesellschaftliche Asymmetrien produziert, die rassistische Abwertungen legitimieren und auch durch sie – im Sinne einer Ventilfunktion – kompensiert werden können. In diesem Verständnis sehr verbreitet ist die Rede von sogenannten „Modernisierungsverlierer*innen“. In dieser Argumentation leiden Menschen mit rassistischer Gesinnung unter sozialen Abstiegsängsten und wandeln diese in Hass gegenüber bestimmten Gruppen bzw. Minderheiten um. Rassismus wird auf diese Art als ein Merkmal der „unteren Schichten“ der Gesellschaft verstanden, was gleichzeitig auch als moralische Entlastung der sozio-ökonomisch besser situierten gesellschaftlichen Schichten fungiert.

Für antirassistisches Engagement leitet sich aus diesem Verständnis ab, dass der Fokus vor allem auf dem Ausgleich ökonomischer Benachteiligung gelegt wird. Häufige Ansätze sind Forderungen nach dem Ausbau des Sozialstaates, Förderung von Beschäftigung (sozialtechnische Variante) oder die Überwindung kapitalistischer Produktionsverhältnisse (kapitalismuskritische Variante). Als „technisch“ wird diese Form des Antirassismus deshalb bezeichnet, weil sie auf der Annahme basiert, dass eine gewisse Handlung A automatisch eine antizipierte Folge B hat, in diesem Fall das Verschwinden von Rassismus. Weitere Ausprägungen dieser technischen Formen antirassistischer Politik sind etwa der technisch-legalistische Antirassismus, der sich auf die juristische Bekämpfung von Rassismus beschränkt, oder der technisch-kulturalistische Antirassismus, der über die Betonung der Vorzüge kultureller Vielfalt funktioniert. Die Schwächen dieser Form des Antirassismus liegen vor allem im punktuellen, statischen Charakter der Maßnahmen. Dieser Logik zufolge führen bestimmte, einmalig gesetzte Aktionen zum gewünschten Erfolg. Das mindert die Chancen auf eine konstante antirassistische Politik. Darüber hinaus blenden technische Sichtweisen rassistische Akteur*innen und von Rassismus Betroffene als Individuen aus und betrachten sie als technisch wandelbare Subjekte, die sofort auf eine Veränderung des Systems reagieren (Pühretmayer 2002, S. 296ff.).

(3) Relative Autonomie des Rassismus: Dieses Modell von Rassismus entspricht in seinen Grundzügen dem Verständnis von strukturellem Rassismus. Ihm liegen drei Annahmen zugrunde: (a) Rassismus entspricht nicht unmittelbar spezifischen ökonomischen (Miss-)Verhältnissen; (b) es können mehrere, spezifische Rassismen und Abwertungsdynamiken koexistieren; (c) Rassismus kann nicht isoliert von anderen Herrschaftsverhältnissen betrachtet werden, denn diese beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. Damit nutzt dieses Modell einen multiperspektivischen Erklärungsansatz, in dem die Entstehung von Rassismus sowohl über staatliche als auch zivilgesellschaftliche Bedingungen erklärt wird und auch historische Kontinuitäten beachtet werden (Balibar 1993, S. 71). Der damit einhergehende antirassistische Ansatz kann als emanzipatorisch beschrieben werden. Antirassismus konzentriert sich in diesem Modell weder nur auf einzelne Individuen noch auf einzelne wirtschaftliche Marginalisierungstendenzen – auch wenn diese durchaus miteinbezogen werden. Stattdessen nimmt antirassistische Bildungsarbeit eine holistische Perspektive auf die Gesamtgesellschaft ein. Sie versteht ihre Arbeit als Förderung von Demokratie und Pluralismus, die den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, der Gleichwertigkeit in Bezug auf rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe und den Menschenrechten verbunden ist (Pühretmayer 2002, S. 298f.).